Interview mit Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des deutschen Fondsverbands BVI
Herr Richter, welche Bilanz zieht die Branche angesichts des Ukrainekriegs, der Energiekrise und der Zinswende für das Jahr 2022?
Die Fondsbranche war widerstandsfähig. Trotz der Marktturbulenzen flossen Fonds netto 66 Mrd. Euro neue Gelder zu. Die Stützen waren Spezialfonds, die das Kapital institutioneller Anleger verwalten, und die inzwischen große Zahl von Fondssparplänen. Das verwaltete Vermögen ging von Anfang bis Ende 2022 zwar um 12% auf 3.804 Mrd. Euro zurück. Im Schlussquartal standen die Zeichen aber wieder auf Erholungskurs. In Europa bestätigte der deutsche Fondsmarkt erneut seine Spitzenposition. Deutschland ist nach Angaben der EZB mit einem Anteil von 28% der größte Fondsmarkt in der EU und auch beim Wachstum in den letzten fünf Jahren führend.
Wie sah es beim Neugeschäft der offenen Publikumsfonds aus? Für welche Asset-Klassen lief es gut und für welche nicht?
Aus Publikumsfonds flossen im Gesamtjahr netto 4 Mrd. Euro ab. Das ist deutlich weniger ist als in den Krisenjahren 2008 mit 27 Mrd. Euro und 2011 mit 15 Mrd. Euro. Mischfonds und Immobilienfonds führten die Absatzliste mit Zuflüssen an. Auch das Neugeschäft der Aktienfonds war noch positiv. Hier standen hohe Zuflüsse in Fonds mit globalem Anlageschwerpunkt Abflüssen aus Fonds, die in Europa investieren, gegenüber. Bei Rentenfonds sorgten die steigenden Zinsen für deutliche Abflüsse.
In den letzten Jahren sind nachhaltige Investments verstärkt in das Interesse von Anlegern gerückt. Hat die Nachfrage 2022 angehalten?
Ja. Fonds, die die Transparenzanforderungen an Artikel 8 oder 9 der EU-Offenlegungsverordnung erfüllen, erhielten über 5 Mrd. Euro neue Gelder. Inzwischen entfällt mit 604 Mrd. Euro knapp die Hälfte des verwalteten Publikumsfondsvermögens auf solche Produkte.
Seit vielen Monaten wird viel über Greenwashing-Vorwürfe debattiert. Die EU-Behörden wollen nun mehr Klarheit schaffen. Was halten Sie von dem Vorhaben?
Wir unterstützen das Vorhaben der EU-Behörden, gegen Grünfärberei vorzugehen. Angesichts der vielen offenen Fragen zur Auslegung der EU-Regulierung ist der aktuelle Fokus der Behörden auf eine breit angelegte Marktuntersuchung zu Verdachtsfällen jedoch zu früh. Bevor man von Verdachtsfällen spricht, müssen erst die Kriterien für nachhaltige Investitionen im Sinne der Offenlegungsverordnung geklärt werden.
Seite 1 „Wir lehnen einen Staatsfonds in der privaten Altersvorsorge ab“
Seite 2 Auf EU-Ebene wird noch ein wichtiges Thema für Ihre Branche erneut diskutiert: ein Provisionsverbot für Wertpapiere. Das finden Sie sicherlich nicht gut.
Seite 3 Bleiben wir bei der Altersvorsorge. Viele Kundengelder fließen in Produkte, die in Fonds investieren. Welche Rolle kommt der Fondswirtschaft bei der Altersvorsorge hierzulande zu?
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