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18. Juni 2024
„Ich rechne fest mit einer ‚Renaissance der AO‘“

„Ich rechne fest mit einer ‚Renaissance der AO‘“

Wie steht es in den Versicherungsagenturen und bei den Exklusivvertretern um Digitalisierung und KI, Regulatorik sowie Demografie und Fachkräftemangel? Gibt es dort auch Konsolidierungsprozesse? Wie sieht es mit der Nachwuchsgewinnung aus? Fragen an den Vorstandsvorsitzenden des AVV.

Interview mit Marco Seuffert, Vorstandsvorsitzender des Arbeitskreis Vertretervereinigungen der Deutschen Assekuranz e. V. (AVV)
Herr Seuffert, großes Trendthema ist aktuell die künstliche Intelligenz (KI). In welchem Maße ist sie bereits in den Versicherungsagenturen und bei den Exklusivvertretern angekommen?

Teilweise nutzen die Vermittlerbetriebe ChatGPT zum Briefeschreiben. Ansonsten beschränkt sich die Digitalisierung eher auf andere Themen wie digitale Unterschriften (Flixcheck usw.). Die Telefonie findet weitestgehend noch mit natürlicher Intelligenz statt.

Versicherer investieren viel in KI. Sehen Sie hier ein Problem für die Agenturen?

Das kommt drauf an. Wenn die KI durch natürliche Intelligenz überwacht wird und man nicht „Blind“ darauf vertraut, was die KI als Ergebnis auswirft, dann kann das eher positive Auswirkungen haben. Falls das nicht passiert, würde der Service noch weiter zurück­gehen und die Beschwerden würden weiter zunehmen.

Überhaupt scheint sich im Wettbewerb viel über die Digitalisierung zu entscheiden. Wie sehr stehen denn der Exklusivvertrieb und der Maklervertrieb hier in Konkurrenz?

Ich denke nicht, dass das ein Vertriebswegethema ist. Es geht darum, bereit zu sein und wie schnell man es schafft, sein eigenes Unternehmen – egal ob Exklusivvermittler oder Makler – auf Veränderungen einzustellen. „Gehe mit der Zeit, sonst gehst Du mit der Zeit!“, hieß es schon vor 20 Jahren, und das gilt heute noch genauso wie früher. Das gilt für alle Vermittlerbetriebe gleichermaßen, aber das Problem sehe ich auch bei den Versicherungsgesellschaften. Wer da keine Veränderungsbereitschaft zeigt und Prozesse des Unternehmens nicht fortlaufend hinterfragt und optimiert, wird gegenüber der Konkurrenz verlieren. Auch hier ist bei allen Bestrebungen vom Kunden aus über die Vermittlerbetriebe hin zum Versicherungsunternehmen zu denken und nicht wie in der Vergangenheit meistens genau andersherum.

Welche Themen treiben Sie aktuell sonst noch um? Wir denken hier etwa an Fachkräftemangel, Provisionsverbot oder auch Vertriebssteuerung.

Die großen Themen sind Digitalisierung und IT, Regulatorik und die Themen Demografie und Service, inklusive Fachkräftemangel bzw. „War for Talents“. Provisionsverbot und Vertriebssteuerung fallen unter das Thema Regulatorik. In diesem Bereich waren wir bis vor Kurzem froh, in Brüssel wichtige Meilensteine erzielt zu haben. Aktuell droht aber schon wieder neues Ungemach vonseiten der deutschen Aufsicht. Vertriebssteuerung ist auch immer wieder ein Thema. Sie ist nicht per se schlecht, sondern nur dann, wenn sie dem berechtigten Kundeninteresse entgegensteht. Da sehe ich bei wenigen Gesellschaften noch Potenzial nach oben.

Der Markt der Versicherungsmakler unterliegt Konzentrationsprozessen. Werden die Versicherungsagenturen denn auch immer größer?

Ja, auch im Bereich der Exklusivvermittlung erleben wir seit zwei, drei Jahren eine Fokussierung auf größere Einheiten über Bestandsnachfolgen und Integrationen. Die größeren und stabileren Einheiten sind gut für die Branche und die Kunden. Daneben gibt es aber genauso noch „kleinere Einheiten“, die sich zunehmend auf Ausschnittsbereiche fokussieren werden.

Jedenfalls verschiebt sich einiges am Markt. Wird es dabei auch so was wie eine „Renaissance der AO“ geben?

Ich rechne fest damit. Die größeren Einheiten werden natürlich auch professioneller und ein Stück weit selbstbewusster. Darüber hinaus wird der Profitabilitätsdruck in den Unternehmen größer. Wir gehen davon aus, dass es zukünftig deutlich weniger Vollsortimenter geben wird als heute. Es wäre keine Überraschung, wenn gerade im Gebäude- und Kfz-Bereich einige Unternehmen in der nahen Zukunft die Reißleine ziehen. Dem folgend müssen den Exklusivvermittlern aber andere Türen aufgemacht werden in Richtung Mehrfachagenturen. Wenn man sich die TUI-Reisebüros ansieht, könnte das ein Zukunftsszenario sein. Dort kann man alles kaufen, verkauft bekommt man aber nur TUI-Produkte. Dieses Zusatzgeschäft könnte dann auch für den Exklusivvertrieb der Zukunft gelten.

Wie attraktiv ist denn der Beruf des Versicherungs­vertreters heute allgemein und für den Nachwuchs?

Aktuell tun wir uns – egal ob Makler oder Exklusivvermittler – noch schwer, Nachwuchs zu finden. Perspektivisch zähle ich dieses Berufsbild zu den Gewinnern. Im Zuge der gesamten Automatisierung, der KI und des World Wide Web werden die Verbraucher künftig noch mehr den Rat des empathischen Vermittlers schätzen, der die Informationsüberflutung vereinfacht und einen begründeten Rat in einfacher Sprache zu einer komplexen Thematik erteilt. Und davon wird es in fünf bis zehn Jahren noch deutlich weniger geben als die heutigen ca. 184.000 Registrierten.

Zum Abschluss: Was erhoffen Sie sich für den Exklusivvertrieb in den nächsten zehn Jahren?

Der Value-for-Money-Gedanke wird sich auch in den Vermittlerbetrieben weiter ausgeprägt haben. Gute Beratung wird wichtiger und deren Wert muss daher zwangsläufig steigen. Die Vermittlerbetriebe sollten auch nicht mehr für Mofaschilder oder E-Scooter-Plaketten eingespannt werden. Das gibt es dann nur noch für Rundum-Kunden als Annex. Das müssen auch die Kritiker der Branche endlich mal einsehen, dass wir nicht nahezu fehlerfrei – siehe Beschwerdestatistik des Versicherungsombudsmanns – arbeiten können, und das vor allem nicht auf Dauer für wenig auskömmliche Entlohnung.

Ich gehe zudem davon aus, dass die Exklusivbindung in Teilen aufgebohrt werden wird. Der „War for Talents“ um die Vermittlerbetriebe läuft ja auch erst an. Zudem werden die Unternehmen sich in naher Zukunft strategisch entscheiden müssen, ob sie überall irgendwie mitspielen oder sich in „unprofitablen Bereichen“ entlasten, um in profitablen Bereichen eine deutlich bessere Rolle im Markt spielen zu können. Die Schließung von Geschäftszweigen wäre dabei unter Umständen auch eine Möglichkeit für eine außerplanmäßige Eigenkündigung für die Vermittler, sodass diese Themen daher besser im Vorfeld sauber mit der Vertretervereinigung ausdiskutiert werden sollten und nach gemeinsamen Lösungen gesucht werden sollte.

Wenn das passiert und die Vermittlerbetriebe zudem fortlaufend eine hohe Veränderungsbereitschaft und Weiterentwicklungsbereitschaft an den Tag legen, dann mache ich mir wenig Sorgen um unsere Zukunft.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 06/2024 und in unserem ePaper.

Bild: © Marco Seuffert, AVV

 
Ein Interview mit
Marco Seuffert