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14. August 2018
Kunstversicherung: Wenn der Sachverständige ans Werk muss
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Kunstversicherung: Wenn der Sachverständige ans Werk muss

Was ist ein Kunstwerk wert und wie verändert sich dieser Wert nach einem Schaden? Ob bei Versicherungsfragen, Erbschaft oder vor Gericht – Kunstsachverständige kommen immer dann zum Einsatz, wenn eine neutrale Expertise gefordert wird. Einblicke in die Praxis gibt der selbstständige Kunstsachverständige Dr. Martin Pracher.

Der Wert von Kunst und Kultur ergibt sich nicht zuletzt aus ihrem lokalen und historischen Kontext, aus ihrer Bedeutung für Ort und Menschen. Kultur ist kein Zahlenspiel.“ Dieses hier aus dem Kontext genommene Zitat eines deutschen Kulturpolitikers ist im Prinzip richtig. Dennoch ist es die Aufgabe des Kunstsachverständigen, genau dies zu tun: Kunstwerke nachvollziehbar und wenn möglich belastbar in Zahlen umzusetzen.

Wert ist nicht gleich Wert

Je nach Bewertungsanlass können einem Werk verschiedene Werte zugewiesen werden. Bei Nachlassbewertung und Schenkung wird zum Beispiel der gemeine Wert ermittelt. Dieser Wert nach Bewertungsgesetz wird durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Für Kunstwerke und Sammlungen ist er, aufgrund der oftmals schwierigen Verwertungsaussichten, zudem vorsichtig und zurückhaltend zu ermitteln. Es ist also ein Verkaufspreis, gleichzusetzen dem Verkehrswert, je nach Standpunkt im ungünstigsten Fall ein Händlereinkaufspreis. Im Gegensatz dazu stehen der Versicherungswert und der Wiederbeschaffungswert. Beide beruhen auf dem Einkaufspreis im Fachhandel. Der Wiederbeschaffungswert findet im Versicherungswesen im Total- und Teilschadenfall Anwendung. Er beschreibt den Geldbetrag, der aufgewendet werden muss, um ohne zeitlichen Druck ein in Art und Güte vergleichbares Kunstwerk im Fachhandel zu erwerben. Der Versicherungswert wird meist noch höher angesetzt, da eine potenzielle Wertsteigerung mit einkalkuliert wird. Da es sich bei Kunstobjekten meist um singuläre und sammlungswürdige Stücke handelt, können Definitionen wie Neuwert oder Zeitwert, der eine verwendungs- bzw. altersbedingte Abnutzung voraussetzt, nicht zur Anwendung kommen.

Wertbildende Kriterien

Wie aber kann der Wert eines Kunstwerks zu einem bestimmten Zeitpunkt ermittelt werden? Zentrales Hilfsmittel dafür ist die Betrachtung der wertbildenden Kriterien eines Werks. Jedes Kunstwerk besitzt Eigenschaften, die auf dem Kunstmarkt eine gewisse Resonanz erzeugen. Sie geben Auskunft darüber, welche Bedeutung ein Künstler bzw. vergleichbarer Künstler und ein in Art und Güte vergleichbares Werk auf dem Markt haben. Wertbildende Kriterien sind unter anderem: Authentizität, Künstler, Schule, Signatur und Datierung, Gattung, Technik, Maße, Motiv, Innovation, Zustand, Marktfrische, kunst- und kulturhistorische Bedeutung, Qualität, Provenienz, Restitutions­freiheit, Seltenheit, Schaffensperiode, Charakteristik und Performance.

Die Authentizität

Die wichtigste Aussage über den Wert eines Objekts ist die Frage der Authentizität. Erkenntnisse über die Authentizität, die Echtheit eines Werks, können über stilkritische Betrachtung, Kennerschaft (Connaisseurschaft), Materialanalyse, Maltechnik und Materialverwendung (Technische Kunstgeschichte) sowie über die Provenienz, die lückenlose Herkunft, gewonnen werden. Hier sei angemerkt, dass es wesentlich einfacher ist, eine Fälschung zu erkennen, als die Echtheit zweifelsfrei nachzuweisen.

Ist das Kunstwerk signiert?

Der Künstler und seine Bedeutung bilden ein weiteres Kriterium des Werts genau wie die Frage, ob das Stück signiert ist oder lediglich als „zugeschrieben“ gilt. Die Gattung und Technik des Werks spielt ebenfalls eine Rolle. So werden Zeichnungen traditionell niedriger gehandelt als Aquarelle, diese wiederum niedriger als vergleichbare Ölgemälde, es sei denn, der Künstler ist für eine der genannten Techniken besonders bekannt. Ein Gemälde im Oeuvre eines Bildhauers stellt eine Ausnahme dar, die dadurch zwar selten, aber eben auch untypisch ist. Kleinere Werke sind meist günstiger als große, marktfreundlichere Motive finden ein breiteres Sammler­interesse. Das Biedermeier-Porträt einer jungen Schönheit wird sich besser verkaufen als das einer älteren Dame in gleicher künstlerischer Qualität.

Der Erhaltungszustand

Der Erhaltungszustand eines Kunstwerks steht in Relation zur Seltenheit und Bedeutung des Künstlers. Bei einem seltenen, gesuchten Werk wird ein Sammler auch einen schlechteren Zustand akzeptieren. Ein Werk mit vergleichbarem Zustand eines schwächeren Künstlers wird sich auf dem Markt schwerer tun. Die bereits erwähnte Provenienz hat einen deutlichen Einfluss auf die Wertbildung. Wer war der Vorbesitzer, war das Werk Teil einer bedeutenden Sammlung, wurde es bereits publiziert und ist somit nachweisbar? Im besten Fall lässt sich ein Werk bis ins Künstleratelier zurückverfolgen. Provenienzforschung fragt und hinterfragt auch, ob es Unsicherheiten in der Eigentümerschaft gibt, ob das Werk beispielsweise gestohlen, geraubt oder unrechtmäßig angeeignet wurde. Ein weiterer wichtiger Punkt der wertbildenden Kriterien ist die Performance. Untersucht wird, wie der Künstler bzw. ein vergleichbarer Künstler in den letzten Jahren und Jahrzehnten gehandelt wurde.

Kunstpreisdatenbanken

Diverse Kunstpreisdatenbanken geben Schätzwerte, Limit- und Hammerpreise vergleichbarer Werke wieder, die eine Tendenz im Preis erkennen lassen. Hier gilt es zu berücksichtigen, welche Preise dort genannt sind und ob es zum Zeitpunkt des Verkaufs Besonderheiten gab, die den Preis beinflusst haben könnten. Anlass kann eine zeitnahe Ausstellung, mediale Aufmerksamkeit, ein Bietergefecht oder ein besonders hoher Verkauf eines vergleichbaren Werks gewesen sein. Zu klären ist auch, ob die Auktionsdaten den Künstler und sein Werk repräsentativ abbilden oder ob er stärker im Kunst- bzw. Galeriehandel vertreten ist. Unter Berücksichtigung der genannten wertbildenden Kriterien lassen sich, je nach Erfahrung des Kunstsachverständigen und nach Rechercheaufwand, zu erwartende Wiederbeschaffungs-, gemeine Verkehrs- und Versicherungswerte nachvollziehbar und auch bis zu einem gewissen Grad belastbar ermitteln.

Unbekannte Künstler

In Haftpflichtfällen mit Total- oder Teilschaden kommt es häufig vor, dass Werke von Künstlern bewertet werden müssen, die nie gehandelt wurden. Dennoch ist ein Schaden entstanden, der beziffert werden muss. In diesem Fall müssen durch Marktrecherche vergleichbare Künstler mit ähnlicher Vita, Ausbildung und künstlerischer Herangehensweise gefunden werden, die bereits gehandelt wurden. Nach Angleich gemäß wertbildender Kriterien lassen sich die Handelspreise auch in diesen Fällen nachvollziehbar definieren.

Wertminderung nach Restaurierung

Etwas komplexer gestaltet sich die Wertänderung eines Kunstwerks im Teilschadenfall. Der Verursacher meldet zusammen mit dem Geschädigten den Schaden nebst Ansprüchen an die Versicherung. In der Schadenmeldung werden, neben Informationen zum Schadenhergang, auch Angaben zum Wert bzw. zum Kaufpreis des Objekts gemacht.

Der emotional betroffene Geschädigte hat verständlicherweise vom Wert und vom Umfang des Schadens oftmals nur eine vage oder überlieferte Vorstellung. Ein externer Kunstsachverständiger kann hier als neutrale Instanz von der Versicherung eingeschaltet werden, um einerseits die Plausibilität des Schadenhergangs zu prüfen, das heißt ob die Schäden am Kunstwerk mit den räumlichen Gegebenheiten und dem beschriebenen Verlauf übereinstimmen, und andererseits, ob ein Total- oder Teilschaden vorliegt und vor allem welchen Wert das beschädigte Objekt hatte und hat.

Der Sachverständige als Schlichter

Dem Kunstsachverständigen kommt hier auch die Rolle eines Schlichters zu, der unparteiisch den Sachverhalt beurteilt. Nach eigenhändiger Untersuchung des beschädigten Objekts und Prüfung der Umstände gilt es zunächst die Fragen zu klären, wie stark die Beschädigung ist, ob eine Restaurierung möglich ist und wie viel weniger das Werk nach Restaurierung wert wäre. Betrachtet man ausschließlich den akuten Schaden, so ist ein restauriertes Werk stets weniger wert als das unbeschädigte Kunstwerk vor dem Schaden. Je stärker ein Objekt beschädigt und darauffolgend überarbeitet ist, desto unattraktiver wird es auf dem Markt. Es gilt also abzuschätzen, wie der Kunstmarkt auf die Veränderung des Erhaltungszustands reagieren würde. Voraussetzung ist, dass die Schäden und die Restaurierung den Kaufinteressenten bekannt sind.

Da jedes Kunstwerk in Art, Geschichte und Zustand einzigartig ist, muss gemäß dem Zusammenhang von Schaden und Marktreaktion, auch eine individuelle Bedeutung des Schadens für das Kunstwerk definiert werden. Mit dem Ziel der Transparenz und Nachvollziehbarkeit wird dafür der Schaden am Kunstwerk fragmentiert und unter materiellen und immateriellen Schadenaspekten betrachtet und bewertet. Es reicht dabei nicht, die Größe eines Schadens zu benennen, sondern auch weitere Aspekte zu berücksichtigen wie die Lage in der Komposition, die Offensichtlichkeit, den Erhaltungszustand vor dem Schaden, die Beeinträchtigung der zugewiesenen Funktion oder ob es ein Erstschaden oder ein Mehrfachschaden ist, um nur einige zu nennen.

Mit der Betrachtung der materiellen und immateriellen Schadenaspekte wird eine Aussage über die Bedeutung des Schadens in Quantität und Qualität möglich. Diese individuelle Bedeutung wird auch „relativer Schaden in %“ genannt. Wenn bekannt ist, wie stark das Objekt beschädigt wurde, kann der Transfer zur Marktreaktion, der Wertminderung, vollzogen werden. Hier ist ausschlaggebend, ob der Schaden mediale Aufmerksamkeit erzielte, wie erfolgreich die Restaurierung umgesetzt wurde und wie selten oder austauschbar das Werk war. Die intensive Auseinandersetzung mit der individuellen Bedeutung des Schadens und der Erläuterung der Marktreaktion trägt zur Akzeptanz der Ergebnisse beim Geschädigten bei. Die Marktreaktion als Wertminderung wird in der Regel erst nach erfolgter Restaurierung benannt. Zwischen Untersuchung des Kunstwerks durch den Sachverständigen und der Benennung der Wertminderung steht die praktische Restaurierung, die durchaus mehrere Monate dauern kann. Der Autor ist aber der Überzeugung, dass die Wertminderung vom Kunstsachverständigen auch vor der Restaurierung benannt werden kann, wenn der Passus „Wertminderung nach Restaurierung“ zur „Wertminderung nach bestmöglicher Restaurierung“ umgedeutet wird. Dies verkürzt und beschleunigt die Schadenregulierung deutlich.

Zusammenfassung

Kunstsachverständige werden als neutrale, unabhängige und unparteiische Experten zu den verschiedensten Bewertungsanlässen hinzugezogen. Sie recherchieren und vermitteln komplexe Sachverhalte transparent und nachvollziehbar, was bei allen involvierten Parteien zu einer erhöhten Akzeptanz der Ergebnisse führt.

Diesen Artikel finden Sie auch in AssCompact 08/2018 im Sonderthema „Kunstversicherung“ auf Seite 52 f.
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Ein Artikel von
Dr. Martin Pracher