Die Einführung von Unisex-Tarifen und die Auswirkungen für Mann und Frau auf Produkte und Preise, ließ viel Platz für Spekulationen. Langsam lichtet sich nun der Nebel und lässt erste detaillierte Einblicke in den „Tarif-Dschungel“ zu. Unterschiedliche strategische Entscheidungen der einzelnen Versicherungsunternehmen zur konkreten Umsetzung der geforderten Rechtsprechung, grundsätzliche zukünftige Ausrichtungen und Folgen aufgrund des EuGH-Urteils zur Einführung von geschlechtsneutralen Produkten in der PKV, werden sichtbar und zeigen eines deutlich: Vielfalt bei der Umsetzung fördert die Qualität und Produktentwicklung in Sinne des Verbrauchers.
Ausgehend von den Anforderungen an eine substitutive Krankenversicherung hätte ein PKV-Interessent vor dem 21.12.2012 grundsätzlich die Wahl aus 2.293 Tarifangeboten der PKV- Anbieter in der Bisex-Welt gehabt. 1.518 waren es bei Anlegen von den grundsätzlichen Kriterien (z.B. Wahlleistungen) die eine PKV generell ausmachen. So die Berechnungen aus der KVpro-Tarifdatenbank LUX. Mit der Umstellung auf Unisex haben die Unternehmen ihre Tarifwelten teils gründlich gelichtet und geliftet. Heute stehen einem neuen PKV-Interessenten noch 787 Tarifkombinationen auf grundsätzlichem PKV-Niveau zur Auswahl. Je nach Betrachtungsweise eine Reduzierung der Tarifangebote mit Einführung von Unisex um 65% oder 50% im Vergleich zum alten Bisex-Markt.
Selbstverständlich, so der Marktbeobachter KVpro.de, sind diese neuen Unisex-Tarifangebote nach den persönlichen Präferenzen des Verbrauchers (Was soll mir der Versicherer, sprich Tarif, im Leistungsfall bezahlen? Was bezahle ich selbst?) für eine Kaufentscheidung weiter zu differenzieren. Für den Vertrieb wird die Produktauswahl für Neukunden einfacher. Auch die Haftungsfallen und Risiken werden aufgrund der AVB-Klarstellungen zum Beispiel im Hilfsmittelbereich geringer. Eines hat sich, laut KVpro, auch in der neuen, geschlechterneutralen Tarifwelt nicht geändert: Vertrieb und Verbraucher sollten sich bei jedem Angebot die „VW-Formel – Von was? / Verglichen mit was? / Von was wie viel?“ vor Augen halten und stets hinterfragen, welche Leistungen in Prozent und Euro bei welchem Tarif wirklich beinhaltet sind.
Unterschiedlichen Strategien der Versicherer in der Praxis
Ein halbes Jahr nach Einführung der einheitlichen Tarif-Welt wird die Sicht auf Produkte und Strategien der Versicherer klarer, es lassen sich erste konkrete Rückschlüsse ziehen. Viele Versicherer nutzen mit Einführung der Unisex-Tarife die Chance, ihre Produktpalette teils gründlich zu Bereinigung und zu „tunen“. Keinen bzw. den geringsten Modernisierungsbedarf haben dabei jene Unternehmen, die schon immer, also auch in der „alten Bisex-Welt“, starke TOP-Produkte (bezogen auf die existenziellen Risiken aus Sicht des Verbrauchers) hatten. Als Beispiele nennt KVpro.de: Alte Oldenburger, Inter, Mannheimer, R+V, uniVersa.
Diese führen ihre Bisex-Produkte unisexkalkuliert für das Neugeschäft weiter. Der Änderungsbedarf beschränkte sich im Wesentlichen auf die mit Unisex erforderliche geänderte Kalkulation (Sicherheitszuschlag, Rechnungszinsabsenkung). Prozentual und in absoluten Euro sind hier auch die geringsten Beitragssteigerungen zu beobachten. Werthaltige Bisex-Tarife bieten darüber hinaus auch die Allianz, ARAG, AXA, Deutscher Ring, Hallesche, HUK, Nürnberger, SDK, Signal, die ihre Produkte – teils in der Anzahl stark bereinigt und ausgedünnt – in der Unisex-Welt fortführen.
Wechsel bei bestehendem Bisex-Tarif
Für Bestandskunden, die vor dem 21.12.2012 eine PKV gekauft haben, gilt der Merksatz: „Upgrade geht immer, Downgrade geht nimmer!“, erläutert KVpro. Der Verbraucher hat, je nach Zeitpunkt des Erwerbs seiner PKV, innerhalb seiner Gesellschaft teils komfortable Wechselmöglichkeiten. Oder er kann in die neue Unisex-Welt wechseln. Dabei werden seine erworbenen Rechte und Pflichten – egal in welchem Tarif, ob offen oder geschlossen – voll angerechnet. Es geht nichts verloren, es geht jedoch auch nicht mehr zurück. Deshalb gilt vor einer möglichen Wechselentscheidung: Immer als erstes einen inhaltlichen Tarifvergleich des bestehenden Bisex-Tarifs mit dem möglichen neuen Unisex-Tarif durchzuführen und erst dann im nächsten Schritt gezielt den neuen Beitrag beim Versicherer dafür erfragen.
Dieses Tarif-Update bedarf einer sach- und fachkundigen Beratung, laut Einschätzung von KVpro. Insbesondere soll sich der Verbraucher die mit einer Tarifänderung verbundenen individuellen Nachteile vom Berater exakt dokumentieren lassen und erst dann die möglichen Vorteile gegenüberstellen, den neuen Tarif berechnen lassen und daraufhin eine Entscheidung treffen. Denn: Ein Downgrade von Unisex nach Bisex geht nicht mehr.
Die PKV reformiert sich
Die PKV wird 2012 / 2013 nicht mehr die Wachstumszahlen der Vergangenheit erreichen können, die Umsetzung von Unisex mit all ihren Auswirkungen und Folgen benötigt ihre Zeit. Der Vertrieb, die Versicherungsgesellschaften, aber auch der Verbraucher, müssen sich erst auf die Unisex-Tarifwelt einstellen, neu sortieren, einordnen und entsprechend ausrichten. Viele Probleme der PKV in der Vergangenheit waren hausgemacht. Aber auch politische Entscheidungen trugen immer wieder dazu bei, dass die PKV stets vor neuen Herausforderungen und zum Teil unverschuldet in der öffentlichen Kritik stand.
Dies gilt es bei aller Kritik am System der PKV zu beachten. Nicht selten zeigen oder kritisieren Politiker und Verbraucherverbände auf Ergebnisse bzw. Entwicklungen sowohl in der PKV als auch GKV, deren Ursachen sie selbst ausgelöst oder mitbestimmt haben, vor allem auch die Entwicklung der Tarifbeiträge.
Die PKV reformiert sich, das ist klar erkennbar. Sie ist mit den Unisex-Produkten tendenziell besser geworden, so KVpro. Die Idee, einer Versicherungspflicht für bestimmte Berufsgruppen mit billigen Einsteigerprodukten zu begegnen, schlägt fehl. Diese Produkte dünnen sich weiter aus, gleichwohl sich vereinzelte Anbieter davon noch hohe Zuwachsraten im Bestand erhoffen. Neue Unisex-Kunden haben weniger, aber qualitativ hochwertigere Produkte zur Auswahl.
Vermittler und der Vertrieb sind laut Einschätzung von KVpro.de im Allgemeinen gefordert. Vor allem bei der Bisex-/ Unisex-Beratung, dem „Reparieren“ und „Tunen“ von Policen bei Kunden der alten und neuen Welt. Hierzu braucht es mehr denn je fachkundige Beratung und kundenorientierte, gut geschulte und informierte Dienstleister, die die europäischen und nationalen gesetzlichen Vorgaben mit zum Teil massiven Einflüssen auch auf die Welt der PKV, im Sinne des Verbrauchers umsetzen können.
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