Frau Härtel-Herrmann, mit Ihrem „Frauenfinanzdienst“ beraten Sie überwiegend Kundinnen. Was zeichnet die Beratung für diese Zielgruppe aus?
Im Laufe meiner Arbeit habe ich die Erkenntnis gewonnen, wie unglaublich interessant und vielfältig es ist, Frauen zu beraten. Zunächst unterscheiden sich die Anliegen von Frauen in Sachen Finanzen nicht sehr von denen der Männer, aber es schwingen oft noch weitere Themen mit, die im Verlauf der Beratung dann besprochen werden, etwa bei einer Kundin, die eine Berufsunfähigkeitsversicherung braucht, aber eine Psychotherapie gemacht hat. Meist geht es in der Beratung nicht nur um die Suche nach einem Produkt oder Finanzkonzept, sondern um Fragen zum Lebensentwurf, an dem ich mich als Beraterin orientiere. Im Konzept steckt dann auch entsprechend viel aus dem Leben der Kundin.
In Ihrem Grundverständnis sind Frauen keine „defizitären“ Wesen, die lernen müssen, das Thema Vorsorge anzugehen wie Männer. Sie sehen Frauen als Vorreiterinnen für ein zeitgemäßes Herangehen an Finanzplanung. Was heißt das konkret?
Viele Frauen wollen und müssen eine Balance hinbekommen, einerseits selbst für ihre Finanzen Verantwortung zu übernehmen, andererseits aber auch an bestimmten Stellen zu delegieren. Diese Balance empfinde ich als zeitgemäß. Denn die Finanzbranche ist heutzutage so komplex, nicht nur was die Produktauswahl anbetrifft, dass oft die Zeit nicht reicht, sich selbst mit allem auseinanderzusetzen. Dies ist den meisten Frauen bewusst, und das unterscheidet sie von Männern, die beispielsweise lange im Internet recherchieren auf der Suche nach einem passenden Produkt.
Frauen erkennen häufiger, dass sie jemanden brauchen, wollen die Finanzplanung aber nicht einfach nur abgeben, sondern an bestimmten Stellen einen Teil der Verantwortung an jemanden delegieren, dem sie vertrauen und der sie begleitet.
Können Sie als Frau Ihre Kundinnen besser beraten als Ihre männlichen Kollegen?
Viele meiner männlichen Kollegen sind richtig fähige Berater, die auch Frauen gut beraten. Es gibt einerseits gute Berater und andererseits schlechte Beraterinnen. Grundsätzlich zählt zunächst die fachliche Kompetenz und die Frage, ob der Berater oder eben die Beraterin kommunizieren kann und in der Lage ist zu erarbeiten, worum es den Kunden wirklich geht. Ich persönlich bin der Meinung, dass ich sowohl Männer als auch Frauen gut beraten kann.
Und wollen Kundinnen lieber von Frauen beraten werden?
Was Kundinnen bei Beraterinnen gezielt suchen, das ist der spezielle Draht unter Frauen. Wenn sensible Themen etwa im Zusammenhang einer Scheidung mitschwingen, die nicht gleich beim ersten Termin zur Sprache kommen, schätzen es Kundinnen, mit einer Frau zu sprechen. Als Beraterin muss ich nicht alle diese Erfahrungen selbst gemacht haben, um Frauen gut zu beraten, sondern ich muss mich einfühlen können und erkennen, was die Kundin wirklich braucht und will. Vielleicht können sich Beraterinnen besser in Frauen einfühlen – also ich kann es jedenfalls ganz gut.
Generell stelle ich fest, dass Frauen die Unabhängigkeit der Beraterin sehr wichtig ist. Kundinnen reagieren sehr sensibel, wenn sie das Gefühl haben, da soll ihnen irgendetwas verkauft werden. Viele Frauen, aber auch Männer, gehen daher inzwischen nicht mehr so gerne zu einer Bank, sondern lieber zu einer unabhängigen Finanzberaterin.
Sie sind mittlerweile seit über 30 Jahren im Geschäft. Wie hat sich die Einstellung von Frauen zum Thema Finanzplanung in dieser Zeit verändert?
Heutzutage sind mehr Frauen berufstätig und haben ihr eigenes Einkommen. Vor Jahren spürte man als Beraterin bei Frauen noch eine gewisse gequälte Grundstimmung oder schlichtweg wenig Lust, sich mit dem Thema Finanzen auseinanderzusetzen. Diese Grundstimmung erlebe ich heute nur noch selten. Frauen wollen sich heute selbst um ihre Finanzen kümmern, und zwar mit Sinn und Verstand.
Zudem gab es früher mehr Frauen, die ihr Vermögen ihren Kindern vererben wollten. Heute sagen sich viele Frauen, dass sie erstmal schauen müssen, selbst im Alter finanziell über die Runden zu kommen. Die Einstellung gegenüber der Familie, die es zu versorgen gilt, ist lockerer geworden.
Wie setzt sich Ihre Kundengruppe denn zusammen?
Meine Kundinnen haben unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen. Beim Alter zeigt sich eine große Bandbreite, das hängt ganz vom Anliegen ab. Ich berate viele Kundinnen der Zielgruppe 50plus, viele sind Selbstständige oder Freiberuflerinnen. Meine jüngeren Mitarbeiterinnen beraten aber auch viele jüngere Frauen.
Bietet der Finanzmarkt heutzutage Produkte, die an die Bedürfnisse von Frauen angepasst sind?
Ganz grundsätzlich benötigen Frauen keine speziellen Produkte. Diese Einschätzung teilen auch meine Kolleginnen, mit denen ich bundesweit vernetzt bin. Der Markt ist groß genug und bietet alles, was Frauen brauchen.
Was mir allerdings auf dem Markt fehlt, ist eine private Rentenversicherung mit einer kurzen Aufschubzeit – zum Beispiel für Kundinnen, die in fünf Jahren in Rente gehen wollen und einen größeren Einmalbeitrag haben. Bis vor Kurzem gab es hierzu gute Angebote, jetzt aber nicht mehr. Das ist natürlich dem Garantiezins, dem Zinsniveau und den allgemeinen Rahmenbedingungen geschuldet, aber ich habe auch das Gefühl, dass sich in der Branche niemand darüber Gedanken macht, was man diesen Kunden bieten kann. Die Versicherungen wollen keine Garantieprodukte mehr. Und das finde ich schade.
Außerdem halte ich es für ungerecht, dass Risikoprüfer bei Gesundheitsprüfungen, sei es in der Berufsunfähigkeits- oder Pflegeversicherung, beim Thema Psychotherapie gar nicht genau hinschauen. Es wird nicht differenziert, ob es sich um einen medizinischen Befund handelt, eine ernsthafte Erkrankung oder aber um eine kurzzeitige Befindlichkeitsstörung etwa nach einem Todesfall, in der jemand zehn Sitzungen Psychotherapie in Anspruch nimmt und dann nicht mehr versicherbar ist.
Zeichnen sich Produkte ab, an denen Ihre weiblichen Kunden mehr Interesse zeigen als die männlichen, etwa nachhaltige Angebote?
Hier kann ich keine Unterschiede zwischen Frauen und Männern feststellen. Das Thema Nachhaltigkeit ist beiden Geschlechtern sehr wichtig. Das liegt aber wohl auch an meiner Beratung, weil mir das Thema ganz wichtig ist. Ich kenne den Markt und seine nachhaltigen Angebote und thematisiere dies bei der Beratung, auch wenn Kunden nicht von sich aus danach fragen. Der Zuspruch meiner Kunden zu nachhaltigen Produkten ist da, zumal man dabei keine Renditeeinschränkungen in Kauf nehmen muss.
Frau Härtel-Herrmann, investieren Frauen Ihrer Einschätzung nach anders als Männer?
Tendenziell spielt bei Frauen das Thema Sicherheit eine größere Rolle als bei Männern, zumal Sicherheit ja immer relativ ist. Das hat zwei Gründe: Zum einen müssen Kundinnen bei kleinerem finanziellem Spielraum auch das Risiko stärker einschränken. Sie können sich Verluste einfach nicht erlauben. Zum anderen hat das höhere Sicherheitsbedürfnis von Frauen oft auch mit mangelnder Souveränität zu tun: Fehlende Erfahrungen oder frühere Verluste führen manchmal zu Misstrauen. Männer analysieren, lernen dazu und haken ab. Hier müsste sich in Sachen Gleichstellung noch etwas verändern.
Das Interview lesen Sie auch in AssCompact 05/2017, Seite 98 f.
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