In den vergangenen Monaten hat der Bundesgerichtshof (BGH) einige Urteile zum sogenannten Werkstattrisiko in der Kfz-Versicherung gefällt und damit konkretisiert, wie weit die Haftung des Unfallverursachers geht. Nach der kürzlichen Rechtsprechung ist es so, dass der Verursacher bzw. dessen Versicherer im Grunde auch dann bezahlen muss, wenn die vom Geschädigten beauftragte Werkstatt unsachgemäß oder zu teuer Reparaturarbeiten durchführt. In einem aktuellen Urteil überträgt der BGH diese fortentwickelten Grundsätze zum Werkstattrisiko auf überhöhte Kostenansätze eines Sachverständigen.
Sachverständiger erhebt Kosten für Corona-Schutzmaßnahmen
In dem Fall wollte der Haftpflichtversicherer eines Unfallverursachers, dessen volle Haftung im Grunde unumstritten war, eine Kostenposition des beauftragten Sachverständigenbüros nicht übernehmen. Der geschädigte Fahrzeughalter hatte ein Sachverständigenbüro mit der Begutachtung seines verunfallten Pkw beauftragt und trat gleichzeitig seine diesbezüglichen Schadensersatzansprüche gegen den Haftpflichtversicherer an die Inhaberin des Sachverständigenbüros ab. Der Versicherer erstattete die Kosten für das Gutachten mit Ausnahme der in Rechnung gestellten Position „Zuschlag Schutzmaßnahme Corona“ in Höhe von 20 Euro. Die Rechnungsposition wurde von der Sachverständigen damit begründet, dass sie insbesondere Desinfektionsmittel, Einwegreinigungstücher und Einmalhandschuhe habe anschaffen müssen. Nachdem der Versicherer die Zahlung ablehnte, hat die Sachverständige mit einer Klage die Verurteilung des Versicherers zur Zahlung von 20 Euro nebst Zinsen verlangt.
Die Klage wurde zunächst vom Amtsgericht abgewiesen und vom Landgericht zurückgewiesen. Dagegen legte die Klägerin Revision ein und hatte nun vor dem BGH Erfolg. Die Verhandlung wurde zur neuen Verhandlung zurückverwiesen.
Was für Werkstätten gilt, gilt auch für Sachverständige
Laut BGH sind für überhöhte Kostenansätze eines Kfz-Sachverständigen die Grundsätze zum Werkstattrisiko anwendbar. Das Gericht verweist dabei auf ein Urteil zum Werkstattrisiko vom 16.01.2024 (Az. VI ZR 253/22).
Nachdem der geschädigte Halter das Sachverständigenbüro beauftragt hatte, wozu er das Recht hatte, hatte er keine Möglichkeit mehr, auf die Vorgehensweise des Büros einzuwirken. Ersatzfähig im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger sind demnach auch diejenigen Rechnungspositionen, die ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise unangemessen, mithin nicht zur Herstellung erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB sind.
Bei einem Kfz-Sachverständigen, der sein Grundhonorar nicht nach Stunden, sondern nach Schadenshöhe berechnet, kommt ein für den Geschädigten nicht erkennbar überhöhter Ansatz beispielsweise auch dann in Betracht, wenn der Gutachter den Schaden unzutreffend zu hoch einschätzt. Diesbezügliche Mehraufwendungen sind dann ebenfalls ersatzfähig, ebenso Rechnungspositionen, die sich auf – für den Geschädigten nicht erkennbar – tatsächlich nicht durchgeführte Maßnahmen im Zusammenhang mit der Begutachtung beziehen. Allerdings kann der Schädiger im Rahmen des Vorteilsausgleichs die Abtretung gegebenenfalls bestehender Ansprüche des Geschädigten gegen den Sachverständigen verlangen.
Verständnis für Corona-Schutzmaßnahmen
Das Urteil besagt noch nicht, dass das Gutachterbüro die Klage für sich entscheiden kann. Denn hat sich der Sachverständige die Schadensersatzforderung des Geschädigten in Höhe der Honorarforderung abtreten lassen, kann er sich als Zessionar nicht auf das Sachverständigenrisiko berufen.
Da im vorliegenden Fall die Klägerin aus abgetretenem Recht des Geschädigten vorgeht, kann sie sich auf das Sachverständigenrisiko nicht berufen. Sie hat vielmehr darzulegen, dass die mit der Pauschale abgerechneten Corona-Schutzmaßnahmen tatsächlich durchgeführt wurden und objektiv erforderlich waren und dass die Pauschale auch ihrer Höhe nach nicht über das Erforderliche hinausgeht.
Das BGH zeigt aber Verständnis dafür, dass die Corona-Schutzmaßnahmen durchgeführt wurden – zum Schutz der Gutachter und aller Beteiligten. Der BGH steht der Klägerin auch zu, dass sie die Corona-Pauschale gesondert berechnet. Einem Kfz-Sachverständigen stehe es frei, neben einem Grundhonorar Nebenkosten als eigene Kostenpositionen abzurechnen.
BGH, Urteil vom 12.03.2024 – Az. VI ZR 280/22
Vorinstanzen: AG Nordhausen, Urteil vom 05.01.2022 – Az. 26 C 357/21 und LG Mühlhausen – Urteil vom 07.09.2022 – Az. 1 S 12/22
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