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Steuern & Recht
17. Februar 2022
Schmerzensgeld: BGH verwirft „taggenaue Berechnung“
Schmerzensgeld: BGH verwirft „taggenaue Berechnung“

Schmerzensgeld: BGH verwirft „taggenaue Berechnung“

Soll nach einem Unfall die Höhe des Schmerzensgelds festgestellt werden, geht es dem BGH zufolge darum, eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich aber nicht streng anhand einer rechnerischen Methode ermitteln lässt.

Ein Mann war bei einem Verkehrsunfall erheblich verletzt worden. Über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren verbrachte er im Rahmen von 13 stationären Aufenthalten insgesamt 500 Tage im Krankenhaus, u. a. musste ihm der rechte Unterschenkel amputiert werden. Seither ist der Mann, der im konkreten Fall als Kläger auftritt, zu mindestens 60% in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. Die Einstandspflicht der Beklagten (Fahrer, Halter und Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Pkw) steht dem Grunde nach außer Frage.

Bisheriger Prozessverlauf

Das Landgericht hat dem Kläger, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, ein Schmerzensgeld von 100.000 Euro zugesprochen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von insgesamt 200.000 Euro verurteilt.

Nach der vom Berufungsgericht hierbei angewendeten Methode der sogenannten „taggenauen Berechnung“ des Schmerzensgeldes ergibt sich dessen Höhe in einem ersten Rechenschritt (Stufe I) unabhängig von der konkreten Verletzung und den damit individuell einhergehenden Schmerzen aus der bloßen Addition von Tagessätzen, die nach der Behandlungsphase (Intensivstation, Normalstation, stationäre Reha-Maßnahme, ambulante Behandlung zuhause, Dauerschaden) und der damit regelmäßig einhergehenden Lebensbeeinträchtigung gestaffelt sind.

Das Berufungsgericht hat diese Tagessätze – ausgehend von bestimmten Prozentsätzen eines durchschnittlichen Einkommens – für die verschiedenen Behandlungsstufen auf 150 Euro (Intensivstation), 100 Euro (Normalstation), 60 Euro (stationäre Reha) und 40 Euro bei einem 100%-igen Grad der Schädigungsfolgen angesetzt.

In einem zweiten Rechenschritt (Stufe II) können von der zuvor „taggenau“ errechneten Summe je nach Gestaltung und Schwere des Falles individuelle Zu- und Abschläge vorgenommen werden. Das Berufungsgericht hat auf dieser Stufe wegen der erheblichen Vorerkrankungen des Klägers aber einen Abschlag vorgenommen. Von der nach dieser Methode grundsätzlich vorgesehenen abschließenden Erhöhung des Schmerzensgeldes bei Dauerschäden und besonders schwerwiegenden Verfehlungen des Schädigers (Stufe III) hat das Berufungsgericht im Streitfall keinen Gebrauch gemacht.

Mit der vom Berufungsgericht insoweit zugelassenen Revision begehren die Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils (100.000 Euro Schmerzensgeld ohne „taggenaue Berechnung“.

BGH: Einheitliche Entschädigung für das gesamte Schadensbild festsetzen

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Entscheidung des Berufungsgerichts nun aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung dorthin zurückverwiesen.

Laut BGH sind für die Höhe des Schmerzensgeldes im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das dadurch bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers maßgebend. Es gehe nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falles, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände. In erster Linie seien dabei die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung sei eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lasse.

Diesen Grundsätzen wird die vom Berufungsgericht vorgenommene „taggenaue Berechnung“ des Schmerzensgeldes aber nach Ansicht des BGH nicht gerecht. Die schematische Konzentration auf die Anzahl der Tage, die der Kläger auf der Normalstation eines Krankenhauses verbracht hat und die er nach seiner Lebenserwartung mit der dauerhaften Einschränkung voraussichtlich noch wird leben müssen, lasse nämlich wesentliche Umstände des konkreten Falles außer Acht. So bleibe beispielsweise unbeachtet, welche Verletzungen der Kläger erlitten habe, wie die Verletzungen behandelt worden seien und welches individuelle Leid bei ihm ausgelöst worden sei. Gleiches gilt dem Urteil des BGH zufolge auch für die Einschränkungen in seiner zukünftigen individuellen Lebensführung. Das Berufungsgericht wird daher nun erneut über die Höhe des Schmerzensgeldes zu befinden haben. (ad)

BGH, Urteil vom 15.02.2022 – VI ZR 937/20

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