Interview mit Stefanie Symmank, Geschäftsführerin der VFS Personalberatung GmbH
Frau Symmank, Sie haben sich mit Ihrem Unternehmen auf die Versicherungs- und Finanzdienstleistungsbranche spezialisiert. Wie kam es dazu?
Meine Spezialisierung liegt bereits 23 Jahre zurück und ist eher einem glücklichen Zufall geschuldet. Ich wollte damals unbedingt Headhunterin werden und erhielt diese Chance bei einer internationalen Personalberatung, die mich seinerzeit dem Bereich Versicherung/Finanzdienstleistung zugeordnet hat. So bin ich in der Branche gelandet. Seither mache ich nichts anderes als die Vermittlung von Führungs- sowie sehr spezialisierten Fachkräften im Versicherungsumfeld, und dies nun auch seit fünf Jahren unter dem Dach meines eigenen Unternehmens.
Wie würden Sie die aktuelle Personalsituation in der Versicherungswirtschaft beschreiben?
Die unfreiwillige Virtualisierung der Arbeitswelt während der Pandemie hat auch in der Versicherungswirtschaft zu neuen Erwartungen bei Mitarbeitern geführt und viele traditionelle Beschäftigungsmodelle verändert. Um weiterhin ein attraktiver Arbeitgeber zu bleiben, muss die zugrunde liegende Arbeitskultur in vielerlei Hinsicht verändert werden. Mitarbeiter wünschen sich ein Zusammenspiel aus Vielfalt, Gerechtigkeit und Einbindung, einer finanziellen Sicherheit und Entwicklungsperspektive, einer extrem hohen Flexibilität bezüglich Arbeitsmodellen sowie persönlichen Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten in einer „Wohlfühlkultur“. Viele Gesellschaften haben es versäumt, rechtzeitig Nachwuchs aufzubauen bzw. interne Kandidaten in eine entsprechende Richtung zu entwickeln.
Als Sie mit Ihrer Arbeit vor über 20 Jahren begannen, war die Branche männlich geprägt – gab es denn Frauen im ausreichenden Maße, die sich für Führungspositionen bewarben?
Nicht wirklich, Frauen waren zu dieser Zeit eher Mangelware, was die Besetzung von Führungspositionen betraf. Das heißt nicht zwingend, dass es keine Frauen zu dieser Zeit gab, es war einfach nicht üblich, weibliche Besetzungen in Betracht zu ziehen, gerade bei Vertriebsführungspositionen.
Ich erinnere mich, dass meine durch die Bank weg männlichen Auftraggeber im Auftragsklärungsgespräch den „Ideal-Kandidaten“ auch immer männlich beschrieben haben und auch oft auf meine Frage hin, ob die Stelle auch mit einer Frau besetzt werden könnte, so wir eine geeignete finden würden, verneint haben. Die Begründung lag häufig im „kritischen Alter“ der Frau, aber auch in der mangelnden Erfahrung aus der Historie heraus, sodass man lieber auf das Altbekannte zurückgegriffen hat nach dem Motto: „Die Stelle war doch schon immer mit einer männlichen Führungskraft besetzt!“. Man nennt dies auch das „Thomas-Prinzip“: Der männliche Auftraggeber sucht damit eigentlich sein Ebenbild, nur eben als etwas jüngere Version.
Wo gab es Ihrer Ansicht nach in den letzten 20 Jahren in Sachen Diversität und Gleichberechtigung bei den Recruitingprozessen der Unternehmen die größten Veränderungen?
Die größten Veränderungen sind durch ein Umdenken in den Köpfen der Entscheider entstanden sowie in den letzten zwei bis drei Jahren auch aufgrund einer Notwendigkeit wegen Mangels.
Wenn ich zehn Jahre zurückgehe, habe ich oft bei einer Beauftragung den Hinweis bekommen „Bitte nicht älter als Mitte 40“, was sich in den letzten Jahren dahingehend geändert hat, dass Unternehmen auch gerne qualifizierte Mitarbeiter mit Mitte 50 bis sogar 60 Jahren einstellen, um sich einmal die Erfahrung im Markt einzukaufen, aber auch, um sichergehen zu können, dass der Mitarbeiter nicht wieder nach kurzer Zeit erneut wechselt, sondern idealerweise dem Unternehmen erhalten bleibt.
Wir hatten gefühlt bis vor der Pandemie eine Art „Jugendwahn“, in dem die Stellen am liebsten alle nur noch mit jungen, erfolgreichen Menschen besetzt werden sollten, bis die Erkenntnis kam, dass diese auch nicht unendlich zur Verfügung stehen und gleichzeitig durch den demografischen Wandel in den Unternehmen Know-how verschwindet, das „die Jungen“ so gar nicht auffüllen können.
Ist in diesem Zusammenhang „Female Recruiting“ etwas, mit dem Sie sich beschäftigen? Und was ist überhaupt darunter zu verstehen?
Mit dem Thema Female Recruiting setzen wir uns auf jeden Fall auseinander. Darunter zu verstehen ist das gezielte Aufmerksam-machen von Frauen auf verschiedene Vakanzen und berufliche Möglichkeiten und im Ergebnis das gezielte Ansprechen bzw. Anwerben und dann das Besetzen von Stellen mit weiblichen Führungskräften bzw. auch mit weiblichen Fachkräften.
Grundsätzlich gibt es aktuell Tendenzen im Markt, Stellen auch gerne in Teilzeit mit Frauen zu besetzen bzw. sehr kreative Arbeitszeitmodelle anzubieten, um so zum einen Frauen zu fördern und etwas anzubieten und zum anderen ein wenig dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Nun arbeiten bereits mehr Frauen in der Branche, Frauen in obersten Führungspositionen sind allerdings diversen Studien zufolge immer noch rar, v. a. im Vertrieb. Worin liegen denn die Chancen, mehr weibliche Talente zu finden?
Frauen in Führungspositionen in der Versicherungsbranche sowie im Vertrieb sind ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Unternehmen, und dieser entwickelt sich zunehmend auch dadurch, dass Frauen heute um ein Vielfaches besser ausgebildet sind als noch vor 20 Jahren und damit auch etwas anfangen wollen.
Die Chancen, mehr weibliche Talente zu finden, zu fördern und zu besetzen, liegen definitiv in der anderen Sicht- und Herangehensweise, die Frauen in den Arbeitsalltag einbringen. Frauen haben eine andere, oft effektivere Art der Kommunikation, gleichzeitig bringen sie mehr Empathie und ein anderes Verständnis in berufliche Situationen hinein und geben damit auch jungen Mitarbeitern die Chance, sich anders zu öffnen. Sie haben eine andere Art der Motivation und sorgen so auch für eine andere Art der Mitarbeiterbindung. Der Zuwachs an Frauen in Führungspositionen und im Vertrieb in einer sich wandelnden Gesellschaft wird als „Womanomics“ beschrieben, was perspektivisch auch die Lebens- und Arbeitswelt der Männer verändern wird.
Was ist Frauen denn an ihren Jobs und Arbeitgebern besonders wichtig, wenn man das überhaupt allgemein sagen kann, ohne in Stereotype zu verfallen?
Frauen, die eine Familie haben und dies mit einem Job vereinbaren wollen, legen sicherlich viel Wert auf flexible Arbeitszeiten, bei Führungspositionen auch auf die Möglichkeit, in Teilzeit führen zu können oder Jobsharing-Modelle über den Arbeitgeber angeboten zu bekommen, sowie im Idealfall auf eine Betriebskindertagesstätte oder einen Zuschuss zur Kinderbetreuung. Insgesamt legen Frauen zunehmend mehr Wert auf das Thema Equal Pay bei gleicher Qualifikation, gefolgt von einer fairen Gehaltsentwicklung, die auch über gute Leistung erzielt werden kann. Weiter sind Frauen durchaus eine Karriere und auch Aufstiegsmöglichkeiten wichtig, aber auch ein gutes Betriebsklima sowie kollegialer Zusammenhalt und eine Wohlfühlumgebung.
Letztendlich suchen Sie ja die beste Bewerberin oder den besten Bewerber – unabhängig vom Geschlecht. Wie bringen Sie alles unter einen Hut?
Als Dienstleisterin ist es mein absoluter Anspruch an meine Arbeit, den bestmöglichen Mitarbeiter für meinen Auftraggeber zu finden und zu besetzen – unabhängig von Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Religion etc., um ihm damit das zu erfüllen, wofür er mich beauftragt hat, nämlich seine Stelle zu besetzen. Ich liebe meinen Job und setze bei jeder Beauftragung alles daran, die Stelle mit dem richtigen Menschen zu besetzen und diesem mit der vorgenommenen Veränderung idealerweise eine langfristige und nachhaltige Perspektive zu schaffen, die ihn glücklich macht.
Was kann die Branche in Sachen Recruiting noch von anderen lernen?
Geschwindigkeit! Gefühlt ist die Versicherungsbranche oft noch sehr langwierig und umständlich unterwegs, teils noch mit sehr veralteten Prozessschritten im Recruiting und einem suboptimalen Zeitmanagement bei der Terminierung, was im schlechtesten Fall dazu führt, dass ein potenzieller Kandidat in der Zwischenzeit etwas anderes gefunden hat und damit nicht mehr zur Verfügung steht, obwohl ursprünglich ein Interesse und eine Offenheit vorhanden waren.
FemSurance
Auf der DKM 2023 fand erstmals die FemSurance mit Top-Speakerinnen statt. Ihr Ziel ist, mehr Frauen für die Versicherungsbranche zu begeistern sowie Frauen in Führungspositionen zu unterstützen. Die FemSurance wird künftig das ganze Jahr über eine Rolle spielen, unter anderem in Form von Interviews und Beiträgen in AssCompact.
Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 01/2024 und in unserem ePaper.
Bild: © Stefanie Symmank, VFS Personalberatung GmbH
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