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2. April 2024
„Die Zielgruppe ‚junge Menschen‘ ist für das Thema Nachhaltigkeit offen“
„Die Zielgruppe ‚junge Menschen‘ ist für das Thema Nachhaltigkeit offen“

„Die Zielgruppe ‚junge Menschen‘ ist für das Thema Nachhaltigkeit offen“

Um die Bedeutung nachhaltiger Vorsorgelösungen stand es beim Kundenkreis und in der Maklerbranche schon mal besser. Wieso ist der Stellenwert in letzter Zeit gesunken? Warum ist eine Beratung für Versicherungsmakler dennoch ein lohnenswertes Geschäftsfeld? Und welche Voraussetzungen sind Erfolg versprechend?

Interview mit Gottfried Baer, Geschäftsführer der MehrWert GmbH
Herr Baer, noch vor wenigen Jahren stand das Thema „Nachhaltige Versicherungsprodukte und -beratung“ bei vielen Marktteilnehmern hoch im Kurs. Nun scheint das Interesse in den Maklerhäusern daran zurückgegangen zu sein. Wie ist Ihre Einschätzung?

Ich kann natürlich nicht für die Kolleginnen und Kollegen im Markt sprechen. Das, was bei mir in Gesprächen ankommt, scheint aber tatsächlich in die Richtung zu gehen, dass das Thema in den Maklerhäusern aktuell nicht mehr ganz so hoch im Kurs steht wie noch vor ein oder zwei Jahren.

Haben Sie denn auch Veränderungen im Interesse an nachhaltigen Produkten bei Ihren Kunden festgestellt?

Ja, auch wir nehmen Veränderungen wahr. Da gerade im Jahr 2023 nachhaltige Fonds in ihrer Performance deutlich hinter konventionellen Fonds hinterherhinkten, fragten viele Kunden im Rahmen ihrer Fondspolicen oder Depots bei uns nach, weshalb dies so sei. Einige waren mit der Entwicklung sehr unzufrieden und wechselten in konventionelle Strategien.

Wie kommunizieren Sie das Thema Nachhaltigkeit gegenüber eher skeptischen Kunden?

Wir stülpen unsere Überzeugungen unseren Kunden nicht über. Das wäre in meinen Augen nicht der richtige Weg. Vielmehr fragen wir detailliert, was den jeweiligen Menschen in Sachen Nachhaltigkeit bewegt oder nicht bewegt; sozusagen welche nachhaltigen Themen (soziale, ökologische, Wertethemen) er oder sie für sich als sinnstiftend ansieht und welche vielleicht eher nicht. Damit bekommen wir den Rahmen des Nachhaltigkeitsanspruches und können entsprechende Produkte in der Beratung einsetzen.

Welche Faktoren sehen Sie als ausschlaggebend für den Rückgang des Stellenwerts von Nachhaltigkeit unter Versicherungsmaklern?

Es sind in meinen Augen mehrere Aspekte. Zum einen ist es sicher die aktuelle politische Diskussion hier im Land – wie etwa „zurück zur Atomkraft“, „die Grünen sind an vielem schuld, weshalb es in unserem Land gerade so ist, wie es ist“ … – und die Themen, die die Welt und die Medien seit Monaten beherrschen: Krieg in zwei Regionen, kaum Wirtschaftswachstum bei uns etc. Vielleicht gibt es auch Unsicherheiten durch die Entwicklung von Fridays for Future und den Klimaklebern. Der zweite Aspekt ist meiner Wahrnehmung nach der, dass in der Folge nachhaltige Finanzprodukte – gerade Aktien und Fonds – nicht die Performance abgeliefert haben, die man von den Jahren vorher gewohnt war. Drittens bietet mittlerweile jeder Ver­sicherer mehr oder weniger nachhaltige Finanzprodukte an bzw. hatte diese in den letzten zwei Jahren auch stark beworben. Eventuell ist bei dem einen oder anderen Kollegen dabei das Gefühl des Green­washings eingetreten.

Insgesamt tritt hierdurch möglicherweise das Thema Nachhaltigkeit aktuell bei dem oder der einen oder anderen Kollegen oder Kollegin etwas in den Schatten.

Hat auch die EU-Regulatorik wie eine wenig verbraucherfreundlich gestaltete ESG-Ab­fragepflicht ihren Anteil daran?

Davon gehe ich persönlich aus. Die ESG-Abfragepflicht ist für Vermittlerinnen und Vermittler wie auch für die meisten Kunden zu komplex und nicht nachvollziehbar bzw. schwer praktisch umsetzbar. Hier hat die Regulatorik Beratern wie auch Kunden keinen guten Dienst in der Art der Abfrage erwiesen. In verschiedenen Umfragen wurde in den letzten Wochen auch deutlich, dass weniger Kunden als noch vor 12 oder 24 Monaten in der Abfrage den Wunsch nach Nachhaltigkeit geäußert haben. Die Hintergründe dafür dürften auch in den auf die Frage vorher genannten Antworten liegen.

Und dennoch bleibt die Nachhaltigkeitswende wichtig für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen. Wie lässt sich das Interesse an Beratung zu nachhaltigen Versicherungsprodukten unter Maklern entfachen?

Ich glaube persönlich, dass dies ein wenig Zeit braucht. Viele der vorher genannten Ursachen müssen sich erst einmal setzen. Dass deswegen die Probleme wie Umweltverschmutzung, Über­fischung, Raubbau an der Natur, Klimawandel usw. nicht von der Bildfläche sind, dürfte jedem klar sein. Die Zielgruppe der jungen Menschen ist nach wie vor für das Thema Nachhaltigkeit/Gemeinwohl extrem offen und der Stellenwert des Themas ist hier sehr hoch, dies hat sich wenig verändert. Deshalb bleibt und ist dieses Beratungsfeld ein Wachstumsmarkt.

Welche Chancen bietet dieses Beratungsfeld?

Ich glaube, dass man nicht mit Worthülsen arbeiten darf, sondern als Anbieter nachhaltiger Produkte genau beschreiben muss, welche tatsächliche soziale oder ökologische Wirkung das jeweilige Produkt hat. Nur mit Ausschlusskriterien von negativen Branchen gewinnt man heute keinen Markt mehr. Eine ehrliche Darstellung, was womit und wie bewirkt wird, würde Menschen wieder mehr begeistern. Ich glaube auch, dass man damit gerade junge Maklerinnen und Makler sehr begeistern kann.

Die Nachhaltigkeitsqualität eines Vorsorgeprodukts ist schwer zu fassen. Schnell sehen sich Anbieter mit dem Vorwurf „Greenwashing“ konfrontiert. Wobei sollte man als Vermittler aufpassen?

Menschen erwarten heute, dass Nachhaltigkeitsbeschreibungen von Finanzprodukten nicht mit den typischen Floskeln versehen werden. Mit solchen Floskeln sind sie genauso austauschbar wie nach vielen anderen Kriterien. Es gilt mehr denn je zu prüfen, wie ein Vorstand, eine Geschäftsführung usw. sich zu diesem Thema äußert und zu diesem Thema steht. Was tut das Unternehmen an sich für die eigene Reduzierung der CO2-Emissionen – außer möglicherweise nur Zertifikate zu kaufen? Was wird wie aktiv an weiteren Maßnahmen im sozialen und ökologischen Kontext umgesetzt? Hier empfiehlt sich ein Blick in die Nachhaltigkeitsberichte der Häuser. Nur die Regulatorik zu erfüllen und vielleicht Marktanteile mit einer nachhaltigen Produktlinie in einem interessanten Markt zu generieren, wird Produktanbietern langfristig nicht wirklich helfen. Wir sprechen mit den Verantwortlichen von Produktanbietern und hören genau hin. Wir lesen sehr aufmerksam und beobachten die Häuser. Nach gut 13 Jahren Erfahrung mit unserer Spezialisierung auf Nachhaltigkeit haben wir ein ganz gutes Gespür dafür entwickelt, wer es ernst meint. Hierfür gibt es viele Kriterien wie zum Beispiel den Vergleich des Nachhaltigkeitsberichtes des Unternehmens mit anderen Versicherern, die Produktbeschreibungen, Umfang und Tiefe der beschriebenen Nachhaltigkeitskriterien usw. Das kann gerne auch bis hin zur verwendeten Papierart und weiteren Marketingartikeln gehen.

Welche Bedeutung messen Sie der Transparenz und Nachverfolgbarkeit von Nachhaltigkeitskriterien in Versicherungsprodukten bei?

Ich finde, dass dies die wesentlichen Merkmale für die Qualität der Nachhaltigkeit darstellen. Gerade die Nachverfolgbarkeit, sprich die ehrliche Beschreibung, macht einen Versicherer glaubwürdig. Maklerinnen und Makler wollen wissen, was hier wirklich beim Versicherer passiert: Wie laufen die Prozesse in Sachen Nachhaltigkeit im Unternehmen ab, wie wird Nachhaltigkeit verstanden und konkret umgesetzt, wie wird tatsächlich angelegt und welche echte Wirkung wird damit erzielt, wo unterscheidet sich dieses Produkt eindeutig in Sachen Nachhaltigkeit von Wettbewerbsprodukten etc.

Dabei spielen dann auch die Produktgeber eine entscheidende Rolle. Fühlen Sie sich von den Versicherern ausreichend unterstützt?

Ich erlebe es so, dass Nachhaltigkeit bei vielen Häusern als Thema vorhanden ist. In der Kommunikation vermisse ich aber ein Know-how zu diesem Thema. Das erlebe ich im Austausch mit Versicherern eher selten. Die Fokussierung liegt meist auf anderen Produkteigenschaften, was oft auch sinnig ist. Beispiel Berufsunfähigkeitsversicherung (BU): Hier ist die Qualität der BU-Kriterien für Kunden in meinen Augen der entscheidende Punkt, nicht die Nachhaltigkeit – sie ist dort ein gutes Randthema. Aber bei Versicherungsprodukten wie zum Beispiel Altersvorsorgeprodukten könnten Versicherer viel besser punkten, wenn sie ihre Anstrengungen in Sachen Nachhaltigkeit konkreter, transparenter und wirkungsorientierter erklären würden.

Wo sehen Sie darin weiteren Handlungsbedarf? Was muss unbedingt besser werden?

Ganz klar die Beschreibung der Wirkungsorientierung der nachhaltigen Versicherungsprodukte. Nach dem Motto: „Welche praktische, soziale oder ökologische Wirkung erlebt mein Kunde, wenn er dieses nachhaltige Versicherungsprodukt bei mir kauft?“ Diese Beschreibungen und die entsprechende Kommunikation mit Maklerinnen und Maklern sollte deutlich verbessert werden. Der zusätzliche Sinn, der für Menschen erlebbar gemacht werden muss, ist der springende Punkt. Es gibt zum Glück einige Häuser, denen dies heute schon gelingt.

Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 04/2024 und in unserem ePaper.

Bild: © Gottfried Baer, MehrWert GmbH bzw. Summit Art Creations – stock.adobe.com

 
Ein Interview mit
Gottfried Baer