Interview mit Claudia Müller, Expertin für nachhaltige Geldanlage und Gründerin von Female Finance Forum
Frau Müller, Ihre Themen sind Female Finance und Nachhaltigkeit. Sind die beiden Themen für Sie verflochten?
Ja, unbedingt. Geschlechtergleichheit ist das Nachhaltigkeitsziel 5 der Vereinten Nationen. Wir sehen auch, dass Frauen sich stark für Nachhaltigkeit in der Geldanlage interessieren. Mich persönlich motiviert Gerechtigkeit: Geschlechtergerechtigkeit – Female Finance – ebenso wie Generationengerechtigkeit, also ökologische Nachhaltigkeit.
Wichtig ist Ihnen die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen. Auf welche Fragen stoßen Sie da?
Viele Frauen kommen mit einer diffusen Angst vor Altersarmut zu uns. Leider berechtigt! Wir helfen also, diese Angst zu nehmen und einen konkreten Handlungsplan zu entwickeln. Außerdem gibt es einige Irrtümer, die sich hartnäckig halten, z. B. „Investieren ist nur für Reiche“, „Zum Investieren braucht man viel Zeit und Wissen“ und „Finanzen sind Männersache“. Viele Frauen scheuen sich, ihre Fragen zu stellen. Deshalb bieten wir einen geschützten Rahmen, in dem Frauen sich austauschen und voneinander lernen können.
Auf femalefinanceforum.de werden Sie zitiert: „AltersvorFREUDE statt AltersvorSORGE“. Was steckt denn dahinter?
Altersvorsorge klingt so negativ, nach Sorge eben. Dabei ist positive Sprache enorm wichtig, denn sie prägt unsere Gefühle, unser Denken und somit unser Verhalten. Vor der Altersvorsorge schrecken viele Frauen zurück, weil sie den Blick auf ihre Renteninformation scheuen – und das leider zu Recht, denn Frauen sind deutlich häufiger von Altersarmut betroffen als Männer. Das Wort AltersvorFREUDE aber weckt Neugierde, Begeisterung und Vorfreude. Es suggeriert auch, dass wir Gestaltungsmöglichkeit haben. Damit lösen wir die Altersvorsorge auf und transformieren sie in Altersvorfreude.
Reformideen für die Altersvorsorge gibt es viele, für den Gender Pension Gap auch. Die Diskussion um Elterngeld und Ehegattensplittung wurde im Sommer hart geführt. Welche positiven Signale wünschen Sie sich vom Gesetzgeber?
Ich wünsche mir eine echte soziale Verbesserung unseres Sozial- und Vorsorgesystems: eine Rente, die mehr als die Grundsicherung abdeckt, eine Familienunterstützung, die zuerst die finanziell schwächeren Familien unterstützt und außerdem Care-Arbeit wertschätzt, ein Steuersystem, das Familien mit Kindern unterstützt. Eine Regierung, die sich selbst als Fortschrittsregierung bezeichnet, sollte in Kinder und Familien investieren, denn sie sind die Zukunft. Gleichzeitig wünsche ich mir aber auch eine Veränderung des Finanzsystems: Eine Abschaffung des Provisionsvertriebs und ein klarer Fokus auf Nachhaltigkeit sind zwei Aspekte, die veränderungswert sind. Und ich wünsche mir flächendeckende Finanzbildung an allen Schulformen.
Sehen Sie in neuen Arbeitsformen auch Impulse für ansprechendere Karrierewege für Frauen?
Auf jeden Fall! Ich sehe es sogar in meinem eigenen Unternehmen. Alle Teammitglieder arbeiten von unterschiedlichen Orten im In- und Ausland und haben flexible Arbeitszeiten. So ermögliche ich es meinen Mitarbeiterinnen, die Erwerbsarbeit mit ihrem individuellen Lebensentwurf zu vereinbaren. Frauen übernehmen in unserer Gesellschaft immer noch häufiger unbezahlte Care-Arbeit und können durch New-Work-Konzepte besser einer bezahlten Arbeit nachgehen. Natürlich löst das nicht das gravierende Problem der unbezahlten Care-Arbeit. Es ermöglicht aber eine Erwerbstätigkeit für Personen, die dem Arbeitsmarkt bisher nicht oder nur begrenzt zur Verfügung standen.
Es ist aber auch eine Herausforderung: Teamgefühl und Motivation können im Online-Alltag schon mal verloren gehen, und Flexibilität funktioniert nur mit hervorragender Kommunikation und Zuverlässigkeit. Ich versuche, dies abzufedern, beispielsweise durch regelmäßige Teamtreffen.
Glauben Sie denn, dass Frauen eine spezielle Frauen-Finanzberatung benötigen?
Inhaltlich nein. Es gelten dieselben Regeln und Gesetzmäßigkeiten beim Investieren für Männer und Frauen. Bei der Ansprache und der Umsetzung jedoch ein eindeutiges Ja! Es ist erwiesen, dass Mädchen und Frauen in einem rein weiblichen Umfeld besser lernen und eher Fragen stellen, wenn sie unter sich sind. Zudem ist der Finanzsektor in erster Linie von Männern für Männer konzipiert: Frauen fühlen sich nicht angesprochen oder sogar eingeschüchtert. Und das leider zu Recht: Frauen bekommen strukturell schlechtere und teurere Finanzprodukte verkauft als Männer. Dem wirken wir entgegen, indem wir explizit Frauen ansprechen und als weibliche Vorbilder im Finanzbereich fungieren. Frauen brauchen aber keine speziellen Produkte. Inhalte und Gesetzmäßigkeiten sind, wie erwähnt, für alle Menschen dieselben. Das Finanzprodukt soll zur Lebenssituation passen, und die muss individuell analysiert werden.
Vor der Finanzberatung kommt die Bereitschaft des Kunden, sich damit zu befassen. Wie motiviert man denn Frauen gekonnt, mehr Blicke auf ihre Finanzen zu werfen?
Frauen müssen – wie gesagt – explizit angesprochen und in ihrer eigenen Lebensrealität abgeholt werden. Das geht zunächst über inhaltliche Schwerpunkte, beispielsweise mit Themen wie finanzielle Unabhängigkeit, Vorsorge für Kinder oder Nachhaltigkeit. Zudem sprechen wir die Frauen dort an, wo sie sich aufhalten: in der Schule oder Ausbildung, bei der Arbeit, aber auch bei Frauennetzwerken und anderen Einrichtungen, wo Frauen zusammenkommen. Dadurch senken wir die zeitlichen und finanziellen Hürden und bilden die Frauen präventiv, damit sie gar nicht erst in die Abhängigkeit rutschen.
Zudem verkaufen wir keine Finanzprodukte, sondern sind eine reine Bildungsplattform. Dadurch können sich die Frauen darauf verlassen, dass wir ihnen die beste Bildung bieten und keine eigenen Interessen verfolgen. Und unsere Workshops unter Gleichgesinnten führen dazu, dass die Teilnehmerinnen merken, dass sie nicht allein sind mit ihren Ängsten und ihren Schwierigkeiten beim Thema Finanzen.
Studien zeigen, dass Frauen erfolgreicher investieren als Männer – wobei sie weniger Geld anlegen. Darauf kann man doch aufbauen, oder?
Das macht definitiv Mut! Frauen sind die besseren Investorinnen. Leider investieren sie seltener als Männer. Ich finde, wir können uns jeweils etwas voneinander abschauen: Frauen tendieren dazu, gar nicht erst zu investieren. Wenn sie es aber wagen, dann sinnvoll, gut informiert und breit gestreut – mit wenig Risiko und Emotion. Das Problem dabei ist: Manchmal kann man nicht alles vorausplanen, sondern muss einfach springen.
Männer hingegen springen. Allerdings manchmal ins eiskalte Wasser, und das kommt ihnen nicht immer zugute. Sie könnten sich also die Ruhe und Geduld der Frauen abschauen und weniger risikoreich investieren.
Welche Investmentvehikel empfehlen Sie denn?
Wir wollen nicht empfehlen, sondern über Vor- und Nachteile von Anlageklassen aufklären und Frauen dazu ermächtigen, ihre Finanzen in die eigenen Hände zu nehmen. Unser inhaltlicher Schwerpunkt liegt aber auf nachhaltigen ETFs. Sie sind einfach, unaufwendig, praktisch und risikoarm – perfekt für Einsteigerinnen.
Und wie wird das Thema Frauen und Geldanlage in der Investmentbranche behandelt?
Female Finance ist schon längst keine kleine Branche mehr. Es gibt z. B. Themenfonds zu Gleichberechtigung; dabei wird in Unternehmen investiert, die viele Frauen in Führungspositionen haben. Allerdings kann man hier auch schnell Pinkwashing zum Opfer fallen: Produkte werden teurer verkauft oder sind schlechter, weil sie sich an Frauen richten. Mittlerweile gibt es aber auch viele hervorragende Mitstreiterinnen. Ich freue mich darüber sehr, da wir so mehr Menschen erreichen können! Trotzdem gibt es Verbesserungsbedarf: Erst kürzlich hat Finanzminister Christian Lindner Finfluencer zum gemeinsamen Gespräch gebeten. Die Frauen musste man mit der Lupe suchen. Es gibt noch viel zu tun!
Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 09/2023 und in unserem ePaper.
Bild: © Claudia Müller, Female Finance Forum
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