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10. März 2021
„Berater sollten sich ernsthaft mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen“
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„Berater sollten sich ernsthaft mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen“

Die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen von Kunden ist in der Beratung künftig verpflichtend. Was braucht es für eine kompetente Beratung im Bereich nachhaltiger Investments und was ist Beratern zu empfehlen, die sich noch nicht mit dem Thema beschäftigt haben? Nachgefragt beim Netzwerk ökofinanz-21.

Interview mit Nadja Schiller, Finanzberaterin Finanzideen Berlin sowie Mitglied bei ökofinanz-21, und Dr. Marcel Malmendier, Finanzberater und Geschäftsführer Qualitates sowie Vorstandsmitglied bei ökofinanz-21, einem bundesweiten Netzwerk von nachhaltigen Beratern
Frau Schiller, Sie beraten Kunden bei der Entwicklung einer persön­lichen Anlagestrategie, die nachhaltigen Kriterien entspricht. Was bedeutet für Sie das Thema Nachhaltigkeit?

Nadja Schiller: Nachhaltigkeit bedeutet für mich sowohl einen verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen als auch ein ehrliches und faires Miteinander im beruflichen wie im privaten Bereich. Für Investments heißt dies, dass in jede Empfehlung eine Reihe von Nachhaltigkeitskriterien eingehen. Research in diesem Bereich ist in meiner Arbeit zentral. Für meine Beratung bedeutet das unter anderem einen ganzheitlichen Blick auf die Situation und Wünsche meiner Mandanten und eine langfristig vertrauensvolle Geschäftsbeziehung.

Das Interesse an nachhaltigen Finanz- und Versicherungsprodukten steigt. Schlägt sich das auch schon in Ihrem Beratungsalltag nieder?

Nadja Schiller: Die Berücksichtigung individueller Wertvorstellungen und nachhaltiger Anlagekriterien gehört seit dem Beginn meiner selbstständigen Tätigkeit vor gut fünfzehn Jahren zu meinem Beratungsalltag. Das spricht sich herum und deshalb fragt der Großteil der neuen Mandanten gezielt nach nachhaltigen Finanz- und Versicherungslösungen. Darüber hinaus beobachte ich bei den Verbrauchern ein zunehmendes Bewusstsein über die eigenen Werte und die Auswirkungen ihrer finanziellen Entscheidungen.

Wie setzt sich denn Ihr Kundenstamm zusammen?

Nadja Schiller: Zu meinen Kunden gehören überwiegend Privatkunden. Es sind überwiegend gut ausgebildete, infor­mierte und anspruchsvolle Menschen auf der Suche nach einer ganzheitlichen Beratung und einem umfassenden Blick auf ihre finanzielle und Versorgungssituation.

Herr Malmendier, wird das Thema Nachhaltigkeit angesichts der Corona-Krise noch wichtiger? Und wie nehmen Sie die Entwicklung innerhalb Ihres Netzwerks wahr?

Marcel Malmendier: Diesen Zusammenhang kann man teils bereits beobachten, teils erahnen. Zu­nächst ist diese globale Krise Folge des Eindringens der Menschen in die Lebensräume anderer Spezies. In vielen solchen Fällen sind die Folgen schleichend. Diesmal hat das expansive menschliche Verhalten unmittelbar spürbare Auswirkungen, die gleichzeitig unsere Lebensweise, Gesundheit und Ökonomie hart treffen. Damit wird der Zusammenhang zwischen Ökologie, Ökonomie und sozialen wie ethischen Fragen, der seit den Anfängen des Club of Rome die zentrale Idee hinter dem Begriff der Nachhaltigkeit ist, für jeden unmittelbar erlebbar. Und dies geschieht, wenn auch mit erheblichen sozialen Unterschieden, global über alle regionalen und politischen Grenzen hinaus.

Die Corona-Krise ist ein Brennglas, das den Menschen ihre Achillesferse zeigt, die mit ihrem eigenen Verhalten verbunden ist. Und sie zeigt, dass wir als Weltgesellschaft reagieren können. Eine solche kollektive Erfahrung wird die Umsteuerung auf Nachhaltigkeit in jedem Fall pushen. Wir werden das auch in unserer Branche sehen. Und schließlich ein Wort zum Finanzsystem: Schuldenkrise, Oligopolisierung und große spekulative Volumen an Finanzkapital sind kein Ausweis von Nachhaltigkeit. Da ist entschiedenes Gegensteuern gefragt, das sicherlich aus dem politischen System initiiert werden muss. Nachhaltige Investitionskriterien werden es in diesen Themenbereichen nicht richten.

Die EU hat einige regulatorische Maßnahmen auf den Weg gebracht, um sicherzustellen, dass das Thema Nachhaltigkeit auch in der Finanzberatung mehr berücksichtigt wird.
Wie bewerten Sie denn die bisherigen Schritte?

Marcel Malmendier: Diese Schritte sind aus unserer Sicht richtig. Dass momentan die Generierung von Daten zur Nachhaltigkeitsbeurteilung von Unternehmen und Projekten wie vor allem die EU-Taxonomie Priorität hat, ist klar. Das ist eine wichtige Basis für Investments generell und damit auch für Finanzberatung. Mit der Offenlegungsverordnung kommt nun für Produktanbieter wie für Finanzberater ab dem 10. März 2021 ein wichtiger Schritt hinzu. Finanzberater, die ihre Ernsthaftigkeit im Bereich der Nachhaltigkeit zeigen wollen, sollten diese Chance nutzen und offen ausweisen, wie sie mit dem Thema Nachhaltigkeit umgehen.

Kritisiert wird zum einen, man würde Anleger durch Gesetze und Vorschriften bevormunden, die gar nicht von dem Thema Nachhaltigkeit überzeugt sind, und zum anderen Gefahr laufen, dass Anbieter Greenwashing betreiben.

Marcel Malmendier: Jede Veränderung erzeugt Widerstände. Ob der EU-Weg unter Changemanagement-Gesichtspunkten gut aufgesetzt ist, darüber kann man streiten. Aber die generelle Richtung ist gut und ist im Übrigen eine folgerichtige Umsetzung der Agenda 2030 der UN. Greenwashing ist ein Trittbrettfahrer-Phänomen. Hier ist ein kritischer Diskurs gefordert, der zeigt, dass viele große Investmenthäuser derzeit im Kern vor allem die Marketingfarbe ändern.

Nun wird ja die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden in der Beratung verpflichtend. Was raten Sie Kollegen, die sich bislang noch nicht mit dem Thema beschäftigt haben?

Nadja Schiller: Die Erfassung der Nachhaltigkeitspräferenzen sollte man als Chance und nicht als notwendiges Übel sehen. Die Menschen sind immer besser informiert und haben konkrete Vorstellungen von ihrem finanziellen Engagement und dessen Auswirkungen. Wir Berater sollten uns ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen, eigene Werte formulieren und uns die Produkte genau ansehen. Es genügt nicht, bei der Suche nach geeigneten Investmentfonds und ETFs in der Fondsdatenbank Filter wie „nachhaltig / ESG“ oder „FNG-Siegel“ des Forum Nachhaltige Geldanlagen zu aktivieren oder auf Bezeichnungen wie „sustainable“, „ESG“, „SRI“, also Socially Responsible Investment, etc. zu vertrauen.  Häufig genügt ein Blick auf die aktuellen Top-10-Positionen oder in die Vermögensaufstellung des letzten Jahres- bzw. Halbjahresberichts, um kritische Unternehmen zu finden, die nicht mit den Werten des Anlegers vereinbar sind. Neben diesem anschaulichen Ansatz, Produkte nach Ausschlusskriterien zu filtern, ist es aus meiner Sicht wichtig, dass Finanzberater weitere Ansätze für nachhaltiges Investieren verstehen. Dazu gehören zum Beispiel Best-in-Class-Ansätze und verschiedene Konzepte des Impact Investing, bei dem die Unternehmen positiv selektiert werden, die einen Beitrag leisten, um beispielsweise soziale und ökologische Probleme zu lösen. Zudem sollte sich jeder mit den SDGs, also den Sustainable Development Goals, aus 2015 vertraut machen, die zukunftsweisende Investmentthemen definieren.

Worin liegt denn die größte Herausforderung in der Beratung rund um nachhaltige Finanz- und Versicherungsprodukte?

Beide: Kompetente Beratung im Bereich nachhaltiger Investments erfordert neues Know-how in einem sich rasant entwickelnden Markt. Dieses Know-how ist nicht im Vorbeigehen zu erwerben. Mit welcher Situation haben es Finanzberater zu tun? Es gibt heute keine einheitliche Definition für Nachhaltigkeit, auch keine einheitlichen und verbindlichen Mindeststandards. Wie beschrieben gibt es eine Pluralität an Ansätzen für nachhaltiges Investieren. Und aktuell sehen wir noch einen deutlichen Mangel an vielen wichtigen Daten zur Nachhaltigkeitsperformance von Unternehmen und Projekten, woran allerdings auf EU-Ebene intensiv gearbeitet wird.

Auch die Pluralität an Nachhaltigkeits-Ratings mit ihren üblicherweise hochaggregierten und damit oftmals durchaus intransparenten Bewertungen erfordert Aufmerksamkeit: Woran soll man sich aus welchen Gründen halten? Zusätzlich muss man sich auf das einstellen, was noch kommt und dann für Investmentprodukte und Beratung relevant wird. Dabei ist eins klar: Das Ziel deutlich höherer Transparenz ist ein Leitmotiv auch dieser neuen Regulierungen. Damit werden gewisse Hürden für rein vertriebliches Handeln in der Beratung nachhaltiger Investments errichtet und die Chancen erhöht, sich mit Qualität im Markt abzuheben.

Und wie können sich Berater das notwendige Know-how aneignen, um die Spreu vom Weizen trennen zu können?

Beide: Nach unserer Erfahrung sind folgende Dinge gefordert: Investmentprüfungen mit kritischem Sachverstand, Vernetzung und für diejenigen, die das Thema noch nicht gut kennen, zunächst klassische Qualifizierung.

Um beim Thema Wissen zu bleiben: Herr Malmendier, inwieweit sehen Sie denn Handlungsbedarf in puncto Aus- und Weiterbildung von Beratern?

Marcel Malmendier: Im Bereich Weiterbildung sind wir bei ökofinanz-21 – wie andere auf Nachhaltigkeit spezialisierte Organisationen – selbst aktiv. Angebote von Investmenthäusern, die das Thema schon lange ernsthaft bewegen, sind zum Teil gut. Für Weiterbildungen ist bereits einiges da. Langfristig wird sich die Politik für den Finanzberatermarkt allerdings unter Qualitätsgesichtspunkten überlegen müssen, ob hier nicht eine echte Professionalisierung mit einer grundständigen Ausbildung wie bei anderen Professionen ansteht. Dort kann Nachhaltigkeits-Know-how dann ein zentrales Thema sein.

Eine Frage zum Abschluss: Wo sehen Sie nachhaltige Finanz­beratung in fünf Jahren?

Beide: Alle werden Angebote haben. Nachhaltigkeit ist ein Thema, in dem Qualität und Know-how der Finanzberater erkennbar werden. Klimawirkung, Biodiversität, Investments als Change-Instrumente zur Umsteuerung auf Nachhaltigkeit wie auch ESG-Berichterstattungen über den Impact von Investments sind zentrale Beratungsthemen. Und vielleicht öffnen sich der Markt und die Politik auch für diese Idee: Anleger müssen einen expliziten Wunsch äußern, um in kontroverse Geschäftsfelder investieren zu können.

Bild oben: © rangizzz – stock.adobe.com

 
Interview mit
Dr. Marcel Malmendier
Nadja Schiller