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6. Juli 2024
Wirtschaftsweiser Werding: Wohin steuert die Rentenpolitik?
Wirtschaftsweiser Werding: Wohin steuert die Rentenpolitik?

Wirtschaftsweiser Werding: Wohin steuert die Rentenpolitik?

Das Altersvorsorgesystem in Deutschland ist unter Druck. Vor allem aufgrund des bevorstehenden Renteneintritts der Babyboomer sind Reformen unumgänglich geworden. Wie ist die Lage im Moment? Welche Veränderungen sind angedacht? Und werden sie zeitnah die nötigen Lösungen bringen? Das beleuchtet Prof. Dr. Martin Werding für AssCompact.

Ein Artikel von Prof. Dr. Martin Werding, Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen, Ruhr-Universität Bochum, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

Die Renteneintritte der Babyboomer erzeugen in Deutschland in den nächsten 10 bis 15 Jahren einen massiven Alterungsschub. Mit einschneidenden Reformen hat sich die Rentenpolitik Ende der 1980er- und Anfang der 2000er-Jahre schrittweise auf diese seit Langem absehbare Herausforderung vorbereitet. 2018 setzte die damalige Große Koalition eine Kommission ein, die weitere Reformpläne für die nun anstehende Phase akuter demografischer Alterung erarbeiten sollte, aber keinen Konsens erreichte. Im Koalitionsvertrag für die jetzige Legislaturperiode hat sich die neue Bundesregierung von einer Fortsetzung des Reformkurses für die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) weitgehend abgewandt. Geplant sind jedoch Neuregelungen im Bereich der privaten Altersvorsorge sowie der betrieblichen Altersversorgung.

„Rentenpaket II“: Ein Schritt in die falsche Richtung

Die demografische Alterung setzt die Finanzen umlagefinanzierter Alterssicherungssysteme wie der GRV unter Druck. Mit den Reformen der Jahre 2001 bis 2007 wurde in Deutschland eine Reformstrategie eingeschlagen, bei der die daraus resultierenden Lasten zwischen den beteiligten Generationen geteilt werden. Ältere Versicherte sollten länger arbeiten und mit anhaltenden Dämpfungen der Anhebungen ihrer Renten leben. Jüngere Versicherte sollten verstärkt für eine ergänzende Altersvorsorge sparen und gleichzeitig langsam, aber sicher steigende Beitragssätze zur GRV zahlen. In der Folgezeit hat eine unerwartete Trendwende bei der Arbeitsmarktentwicklung in Verbindung mit stark gestiegener Zuwanderung den Anstieg der Beitragssätze zwar aufgehalten, für die Zukunft sind die Perspektiven diesbezüglich aber weiter ungünstig.

Trotzdem beendet das aktuell im Gesetzgebungsverfahren stehende „Rentenpaket II“ die bisher vorgesehene Lastenteilung. Die geplante Fixierung des Sicherungsniveaus gesetzlicher Renten und die bereits im Koalitionsvertrag festgehaltene Absage an weitere Anhebungen der Regelaltersgrenze, die bis 2031 auf 67 Jahre steigt, stellen ältere Versicherte von einer Beteiligung an den ab sofort stark steigenden Lasten der demografischen Alterung frei. Die Rechnung dafür wird einseitig den zukünftigen Beitragszahlern des Rentensystems sowie – wegen eines verstärkten Anstiegs des Bundeszuschusses zur GRV – zukünftigen Steuerzahlern auferlegt.

Ergänzende Kapitaldeckung als Ausweg

Dies engt nicht nur die Handlungsspielräume im Bundeshaushalt bezüglich anderer großer Herausforderungen ein. Es nimmt jüngeren Versicherten auch die Mittel für eine ergänzende, kapitalgedeckte Vorsorge. Dabei bleibt diese für die Lebensstandardsicherung im Alter selbst nach einer Fixierung des Rentenniveaus nötig. Längerfristig könnte sie – und nur sie – sogar einen Ausweg aus dem in der bisherigen Rentenpolitik angelegten Dilemma bieten, dass das Sicherungsniveau der staatlichen Umlage-Renten trotz steigender Beitragssätze ständig sinkt. Darauf hat der Sachverständigenrat neben verschiedenen Optionen für nachhaltige Reformen der GRV in seinem Jahresgutachten 2023/24 deutlich hingewiesen.

Die kapitalgedeckte Altersvorsorge auszubauen, stellt eine ursachengerechte Reform für die Folgen des ausgeprägten Geburtenrückgangs dar, der in Deutschland unmittelbar auf den Babyboom folgte – so wie eine weitere Heraufsetzung des Rentenalters ursachengerecht auf den absehbaren Anstieg der Lebenserwartung reagieren würde. Seit der Einführung der „Riester-Rente“ bildet ergänzende Kapitaldeckung ein wichtiges Element der Reformstrategie zur Bewältigung der demografischen Alterung. Aufgrund von Design-Fehlern und einer lang anhaltenden Niedrigzinsphase ist sie bis heute aber unter ihren Möglichkeiten geblieben.

Mit Spannung ist daher abzuwarten, welche Schritte die Bundesregierung in ihrer verbleibenden Amtszeit noch unternimmt, um die Rahmenbedingungen für die ergänzende kapitalgedeckte Altersvorsorge zu verbessern. Vorbereitungen dafür wurden, anknüpfend an den Koalitionsvertrag, in der Fokusgruppe „private Alterssicherung“ getroffen, deren Abschlussbericht seit dem Sommer 2023 vorliegt. Neben dem Bundesministerium der Finanzen, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz waren in dieser Gruppe die Sozialpartner, verschiedene Stakeholder sowie die Wissenschaft vertreten. Ziel der Beratungen war vor allem, einen verbesserten Ersatz für die „Riester-Rente“ zu entwickeln.

Verbesserter Ersatz für „Riester-Rente“

Einigkeit herrschte in der Fokusgruppe, dass die ergänzende Altersvorsorge einfacher und renditestärker werden muss als bisher. Folgerichtig wurde darüber gesprochen, förderfähige Produkte stärker zu standardisieren und die bisher geforderte Garantie für die eingezahlten Beiträge, die eine Anlage mit hohem Aktienanteil faktisch ausschließt, zu lockern oder sogar aufzugeben. Diskutiert wurde auch darüber, die in Deutschland besonders hohen Vertriebs- und Verwaltungskosten durch weniger Produktanforderungen und Bürokratie sowie intensiveren Wettbewerb bei leichterem Anbieterwechsel zu senken. Weiteres Thema der Beratungen war, den Kunden in der Auszahlungsphase mehr Optionen für die Nutzung ihres Vorsorgevermögens zu geben.

Kein Konsens bestand in der Gruppe darüber, die ergänzende Vorsorge durch eine automatische Einbeziehung aller Erwerbstätigen mit Opt-out-Möglichkeit verbindlicher zu machen, wie es der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten empfohlen hat. Auch zeichnete sich keine Einigung auf ein klar definiertes Standardprodukt ab. Stattdessen stehen im Bericht der Fokusgruppe Konzepte des GDV für ein versicherungsförmiges Produkt mit verringerten Garantien („Bürgerrente“) bzw. des BVI Bundesverband Investment und Asset Management e. V. für ein wenig reguliertes „Fondsspardepot“ nebeneinander.

Kurz vor der Veröffentlichung steht schließlich noch ein Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein „Betriebsrentenstärkungsgesetz II“. Er zielt vor allem darauf, das für die betriebliche Altersversorgung zuletzt eingeführte „Sozialpartnermodell“ mit rein beitragsbasierten Zusagen auf breiterer Basis in die Praxis umsetzen und zumindest hierbei eine automatische Beteiligung mit Opt-out zu realisieren.

Perspektiven

Die Aufgabe, ergänzende Kapitaldeckung der Altersvorsorge auf eine neue Grundlage zu stellen, ist dringlich, da diese immer eine gewisse Ansparzeit erfordert. Hierzu sind schnelle Entscheidungen jetzt also wünschenswert. Durch die derzeit geplanten Reformen der GRV geht dagegen Zeit verloren. In der nächsten Legislaturperiode springt der Beitragssatz schnell auf annähernd 20%. Dann stehen neue Diskussionen über einen vertretbaren Kompromiss für die Entwicklung von Sicherungsniveau und Beitragssätzen an, die unweigerlich auch das Renteneintrittsalter betreffen.

Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 07/2024 und in unserem ePaper.

Bild: © Sachverständigenrat Wirtschaft bzw. © Gohgah – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Prof. Dr. Martin Werding

Leserkommentare

Comments

Gespeichert von Wilfried Stras… am 06. Juli 2024 - 19:09

Jetzt haben wirklich alle die Lösung für lebenslange adäquate Renten, die Überzeugung der Verantwortlichen, Jahr für Jahr, seit vielen Jahren. Das stimmt bestenfalls für die Versicherer und Vermittler. Das ist so, wie wenn man ein schiefes Haus bei instabiler Bodenbeschaffenheit ungerührt weiterbaut, vielleicht abstützt, es wird alles nicht helfen, und garantiert irgendwann einstürzen.

Mit Renditen um 0%, nach allen Kosten, selbst bei 2% Inflation, mit dem Mantra-jetzt haben wir die Lösung für die eigenen Kunden, blockt man seelenruhig die Innovation für 9% Rendite. Vorerst für eine Gesellschaft mit Alleinstellung, innerhalb Jahresfrist von allen kopiert, weltweit einsetzbar, für wenige Cents. Wie lange will man den Bürgern, selbst bei 2% berechnet, reelle Altersversorgung noch vorenthalten? Beispiele:

€ 300,00 monatlich 47 Jahre erzielen aktuell bestenfalls 2%= € 280.903,63, bei 4% € 488.973,15. Über uns aber 9% € 2.685.637,92

Ein Kindersparplan €100,00 monatlich 62 Jahre, bei 2% € 473.989,22. Bei 9% € 3.294.736,23! 

Wenn das den Bürgern mal klar wird, sind auch die Arbeitsplätze aktueller Versicherungsmultis bedroht.

Ist der Ruf erstmal ruiniert……

Packen wir es gemeinsam, im Interesse aller Beteiligten an-JETZT! Seit 7 Jahren bereit

Wilfried Strassnig