Während meines Studiums arbeitete ich als Berater in einem Strukturvertrieb. Die Berater dort waren gute Storyteller: Sie nahmen dem Kunden die Angst vor der Aktie, indem sie den gesamten Tagesablauf des Kunden in einer Art Customer Journey skizzierten und zeigten, dass jeder doch immer mit Produkten zu tun habe, die von Aktiengesellschaften kommen.
Dein Wecker klingelt. Von Siemens. Aktiengesellschaft.
Du isst Toast. Von Metro. Aktiengesellschaft.
Föhnst dir die Haare. Auch Siemens.
Liest die Zeitung. Axel Springer. Aktiengesellschaft.
Steigst ins Auto. BMW. Aktiengesellschaft.
Gehst zur Arbeit. Bayer. Auch eine Aktiengesellschaft.
Bekommst einen Anruf von der Allianz. Ebenfalls eine Aktiengesellschaft.
Trinkst abends ein Guiness. Diageo. Aktiengesellschaft.
Schaust abends Streaming TV. Amazon Prime. Aktiengesellschaft.
Träumst nachts von einem Porsche. Auch eine Aktiengesellschaft.
Wenn überall Aktiengesellschaften waren, konnte die Welt wohl ohne Aktiengesellschaften nicht existieren. Also würde es diese AGs auch noch eine Weile geben. Was sie zu einer durchaus guten Anlagemöglichkeit machten.
Diese Art von Storys in der Finanzbranche haben mich schon damals fasziniert. Und mir gezeigt: Je abstrakter ein Produkt ist, desto besser muss die Story sein. Später war ich Trainee und Vermögensberater bei der Dresdner Bank, bevor ich dann im Bereich Financial Services bei der Boston Consulting Group keine Bankkunden, sondern gleich Banken beraten habe. Die Herausforderung war immer die gleiche: Wie mache ich ein abstraktes Produkt, wie es Banken anbieten, greifbar, nachvollziehbar und am Ende begehrenswert?
Fachidiot schlägt Kunden tot
„Fachidiot schlägt Kunden tot“, hieß eine Weisheit in dem Strukturvertrieb. Die Finanzbranche glaubt allerdings häufig, dass Komplexität vom Kunden als Kompetenz angesehen wird. Doch das Gegenteil ist der Fall. Produktnamen wie „Rainbow Barriere Euro Stoxx 50 Bonus Zertifikat“ tragen nicht zu größerer Klarheit bei. Und so neigen nach wie vor viele Vermögensberater dazu, den Kunden mit Informationen zu überfrachten, anstatt eine spannende Story zu ihren Produkten zu erzählen. Weil wir glauben, dass Masse Klasse ist. Und nicht glauben, dass weniger mehr sein kann.
Aber wenn Sie in einem Restaurant sitzen würden, was würden Sie lieber essen: ein Steak oder gleich eine ganze Kuh? Wahrscheinlich das Steak, auch wenn Sie mit der Kuh darüber hinaus noch das Fell, die Hörner, die Hufe, eventuell Milch und sonstiges dazubekommen würden. Gute Vertriebler servieren ihre Produktvorteile ebenfalls häppchenweise. Sie haben von Krimiautoren gelernt, dass man Spannung nur dadurch aufbaut, indem man nicht auf der ersten Seite schreibt, dass der Mörder der Gärtner ist. Und Sie wissen, dass besonders abstrakte und nicht greifbare Finanzprodukte immer eine gute Story brauchen, um für den Kunden verständlich zu sein.
Die Macht von spannenden Geschichten
Nicht jede Story, an die wir uns erinnern, hilft uns im Job weiter. Aber dennoch erinnern wir uns. Warum eigentlich? Wie kommt es, dass Menschen freiwillig bis 3 Uhr nachts wach bleiben, auch wenn sie morgens früh aufstehen müssen, um irgendeinen Bestseller zu lesen, und dafür auch noch Geld bezahlen – während teure, hochglanzlackierte und fünffarbige Wertpapierprospekte, die von der Bank auch noch kostenlos an den Kunden verteilt werden, normalerweise ungelesen im Mülleimer landen? Und wieso sitzen Zuschauer bei „The Dark Knight“ oder „Herr der Ringe“ fast drei Stunden geduldig im Kino, zahlen vorher 10 Euro, kaufen die DVD und empfehlen den Film auch artig weiter – während in Präsentationen im Unternehmen nach fünf Minuten fast alle entweder ihre Mails checken, durch Facebook scrollen oder gleich einschlafen? Und vor allem: Das Meiste, was wir in Krimis oder Filmen sehen, enthält keine wichtigen Informationen, die uns in unserem Job helfen.
Ja, wir erfahren, dass Frodo den Ring nach Mordor bringen muss. Nur was hilft uns das? Die 20% Kunden, die wir noch nicht angesprochen haben, die Killer Application für den perfekten Vertrieb oder das Segmentierungstool, das ein für alle Mal die Spreu vom Weizen trennt, haben wir nicht vermittelt bekommen. Doch unserem Gehirn ist das egal! Denn dennoch erinnern wir uns an gute und spannende Geschichten. Was dazu führte, dass ich dachte: Das will ich auch können! Und ich entschied mich, einen Thriller zu schreiben. So ähnlich wie Dan Brown. Das war 2006. Mittlerweile bin ich Thrillerautor und versuche, genau die Elemente zu finden, die eine Story spannend machen. Und zu vermitteln, was zum Beispiel Vertriebsorganisationen davon lernen können.
Menschen sind Storyteller
Die Begründung, warum wir uns an Storys so erinnern, ist simpel: Wir Menschen sind geborene Storyteller. Durch Storys haben wir uns seit der Steinzeit unsere Überlebenspraktiken in einer feindlichen Welt erklärt. Wie man das Mammut besiegt, wie man dem Säbelzahntiger ausweicht und wie man das Feuer in der Höhle nicht ausgehen lässt. Unser Gehirn ist dabei nicht nur eine Speichereinheit. Es ist auch ein Mechanismus, der unser Überleben sichert. Darum weiß das Gehirn: Wenn Storys erzählt werden, erfahre ich etwas, wodurch ich in einer feindlichen Welt überleben kann. An Überlebenshinweise in Power Point kann sich unser Gehirn nicht erinnern. Denn unser Gehirn will Storys und Bilder hören und sehen und keine langatmigen Datenwüsten. Storys sind die Art und Weise, wie wir uns die Realität erklären. Die ganz wichtigen Dinge werden in unserem Gehirn von der Amygdala (auch „Angstzentrum“ genannt) verarbeitet. Dies ist sozusagen der „Vorstandschef“ des Gehirns. Klar ist, dass dort alle hinwollen. Klar ist auch, dass dort, wie bei einem richtigen CEO, nicht alle hinkönnen. Darum hat die Amygdala nicht nur eine Vorzimmerdame, sondern gleich einen beinharten Türsteher, den Hypothalamus. Und der winkt lieber Storys durch als faktenschwangere und trockene Datenwüsten. Power Point, Charts und Zahlenkolonnen gehören zu diesen unerwünschten Gästen. Erzählen Sie hingegen eine gute Story, kommen Sie am Türsteher im Gehirn vorbei und haben die volle Aufmerksamkeit des „CEOs“ des Gehirns.
Das Story-Element in der Finanzwelt
Die scheinbaren Nachteile der Finanzwelt, die Komplexität, die Menge an Zahlen und Informationen, die scheinbar trockene Materie und die Vielzahl an Wettbewerbern sind sicherlich, im Vergleich zu typischen „Impulskaufprodukten“ wie Schuhen, nicht zu unterschätzen. Sie sind aber immer noch gering im Vergleich zu den Vorteilen: „Geld“, sagt man, „ist gedruckte Freiheit.“ Wo Sie dem Kunden helfen, mit seinem Geld erfolgreich zu sein, und ihn bestmöglich verstehen, erfüllen Sie Träume. Heute und in der Zukunft. Wo, wenn nicht im persönlichen Gespräch, können Sie zeigen, dass Sie den Wendepunkt für das Desaster des Kunden parat haben, eine Lösung und damit ein Happy End? Gute Vermögensberatung stellt den Kunden als Helden in den Mittelpunkt. Und wenn der Kunde einen anderen Kunden sieht, der das gleiche Problem hat wie er – wir könnten sagen „vom gleichen Schurken bedrängt wird“ – und dann ebenso sieht, wie dieses Problem von einem guten Berater elegant gelöst wurde, dann ist doch die naheliegende Reaktion: „Das will ich auch haben! Genau das hat mir gefehlt!“
Storytelling versucht nicht, dem Kunden etwas in den Kopf zu drücken. Storytelling ist kein Hard Selling, wie es manche Strukturvertriebe nutzen. Storytelling zieht den Kunden zu sich. „Smart Selling“ statt „Hard Selling“. Und damit ist Storytelling wie geschaffen für anspruchsvolle Vermögensberatung im gehobenen Segment. Und damit maßgeblich verantwortlich für Ihren Vertriebserfolg. Denn es gilt: „To tell is to sell!“
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