Interview mit Ute Geishauser, Beraterin und Coach für Frauen in der Versicherungsbranche bei Flow im Business, und Sabrina Kraft, Beraterin und Mediatorin bei KRAFT Consulting
Frau Kraft, welche Erfahrungen haben Sie in Ihrer Arbeit bisher gemacht: Wie divers „denken“ Unternehmen in der Versicherungsbranche?
Sabrina Kraft Bei vielen Gesellschaften ist das Thema Diversität bereits präsent. Es wurden Verantwortliche für Chancengleichheit benannt, Positionen für Frauen- und DEI-Beauftragte geschaffen und Maßnahmen zur Steigerung der Diversität beschlossen. In Bezug auf diverses Denken und diverses Handeln gibt es – aus unserer Sicht – im Markt allerdings sehr große Unterschiede und im Vergleich zu anderen Branchen Handlungsbedarf.
Können Sie drei Aspekte nennen, die Frauen sich von einem Arbeitgeber wünschen? Oder kann so etwas nicht verallgemeinert werden?
SK Definitiv nehme ich wahr, dass sich die Bedürfnisse der Frauen decken. Vorab möchte ich jedoch schon einmal deutlich sagen, dass flexible Arbeitszeitmodelle heutzutage schlichtweg erwartet werden, und das nicht nur von Frauen. Darüber brauchen wir spätestens seit Corona nicht mehr viel zu reden und damit kann sich auch kein Arbeitgeber mehr abheben. Was sich die Frauen wirklich wünschen und was Mitarbeiter*innen bindet, sind ein Verständnis für Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sprich der erlebte Perspektivwechsel im Alltag durch die Führungskraft und die Kolleg*innen, Wertschätzung und tatsächliche Chancengerechtigkeit sowie Unterstützung bei der beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung. In Summe bedeutet es, dass die Arbeitgeber*innen sehen, dass es sich lohnt, in die Frauen zu investieren, und die „Gefahr“ von (drohender) Care-Arbeit nicht mehr als Manko, sondern als Chance gesehen wird. Insbesondere Angebote zur individuellen Karriereplanung und zu persönlichem Coaching können Frauen enorm unterstützen, sich gezielt weiterzuentwickeln und ihre beruflichen Ziele zu erreichen. Der Mehrwert, der sich so deutlich zeigt, ist für beide Seiten enorm – wenn Energie durch gewonnene Klarheit frei wird.
Frau Geishauser, Sie geben u. a. Coachings und Mentorings für Karriere-Einsteigerinnen. Was ist darunter zu verstehen und wer sind Ihre Kundinnen?
Ute Geishauser Die Coachees oder Mentees kommen sowohl von Versicherungskonzernen, mittelständischen Gesellschaften als auch aus Maklerorganisationen, von denen sich momentan die Mehrzahl neu ausrichtet. Im Coaching für Karriere-Einsteiger*innen geht es in der Vorbereitung auf die Führungsrolle u. a. um Laufbahnentscheidungen und die Identifizierung und Entwicklung ausbaufähiger Skills bei der Übernahme neuer Verantwortungsbereiche.
Mit welchen Zielen kommen die Menschen und mit welchen neuen Perspektiven gehen sie heraus? Und kommen mehr Männer oder mehr Frauen?
UG Bei den Karriere-Einsteigerinnen stellt sich die Frage nach dem Karrierepfad „Führungskraft vs. Expert*in“ und dem persönlichen „Career Family Design“. Die Balance von Beruf und Familie wird von den Frauen oft schon vor der Familienplanung bewusst thematisiert. Außerdem geht es bei erfahrenen Führungskräften um eine Karriere-Neuausrichtung, die Zusammenarbeit mit der Generation Z und New-Work-Rahmenbedingungen. In diesem Bereich beträgt der Anteil der männlichen Coachees über 40%. Ein häufiges Thema ist der Umgang mit Umstrukturierungsprozessen, Unternehmenszusammenschlüssen und der damit verbundenen Unsicherheit in Bezug auf die eigene Karriereauswirkung.
Sie beide haben kürzlich eine Kooperation gestartet. Worum geht es dabei und welche Rolle spielt soziale Nachhaltigkeit?
UG Der Aufbau sozialer Nachhaltigkeitskompetenzen ist für Versicherer gleich in zwei Dimensionen erforderlich, da die Unternehmen sowohl als Arbeitgeber*innen als auch als Risikoträger*innen und Lösungsanbieter*innen in einem volkswirtschaftlich und gesellschaftlich relevanten Geschäftsfeld vertreten sind. Unser neues Qualifizierungsprogramm hat direkten Impact auf die soziale Nachhaltigkeit der Branche in deren Rolle als Arbeitgeber*in.
SK Die Zukunft erfordert mehr als den optimalen Einsatz von Personalressourcen. Es geht darum, die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Menschen zu erkennen und zu berücksichtigen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Klassische Vereinbarkeitsgedanken, die ihren Ursprung vor über 20 Jahren hatten, stoßen hier an ihre Grenzen. Es ist an der Zeit, den Schritt zu echt gelebten, familien- und sozialbewussten Strategien zu machen – Strategien, die die Bereicherungspotenziale einer ausgewogenen Verbindung von Beruf und Privatleben anerkennen und fördern. Dazu haben wir die Konzepte von Familienfreundlichkeit und Vereinbarkeit weiterentwickelt. Wir setzen auf die Integration von Menschlichkeit und digitaler Transformation. Durch die Entwicklung der Unternehmenskultur, unterstützt von digitalen Tools und Frameworks, die die Verantwortlichen befähigen und vor allem im Alltag bei der Mach- bzw. Handhabbarkeit unterstützen, schaffen wir eine Arbeitswelt, in der Beruf und Privatleben sich nicht ausschließen, sondern gegenseitig bereichern.
In Ihrem Programm machen Sie Familienfreundlichkeit und Vereinbarkeit messbar. Wie funktioniert das?
SK Wie eben bereits angedeutet, haben wir Vereinbarkeit weiterentwickelt, deshalb sprechen wir auch nicht mehr von Familienfreundlichkeit, sondern von einer Familienbewusstheit. Das ist ein großer Unterschied. Und ja, die Messbarkeit ist mir als Betriebswirtin ein besonderes Anliegen. Wenn wir von der weiterzuentwickelnden Kultur sprechen, geht es natürlich um ein weiches Thema, aber das heißt nicht, dass es nicht messbar ist. Im vergangenen Jahr habe ich für den Public Sector die sogenannte „Family Culture Ladder“ entwickelt und bereits erfolgreich eingesetzt. Sie basiert auf insgesamt sechs Dimensionen, die die Grundlage für die Definition der Prozessziele sowie für die Messbarkeit der Kulturentwicklung sind. Dieses Framework haben wir nun gemeinsam auf die Versicherungsbranche übertragen und zudem eine eigene Analyseplattform aufgebaut, um so im Zeitverlauf Kulturveränderungen in Unternehmen messbar zu machen.
Welche Chancen bieten sich Arbeitgebern durch solch ein Programm?
UG Der Aufbau der Family & Social FIT Culture erfordert eine Kompetenzerweiterung in den jeweiligen Führungsteams der Fach- und HR-Bereiche und hat Impact auf die gesamte Mitarbeiter*innen-Journey – vom Recruiting über das Re-Boarding bis zum Off-Boarding. In unseren Workshops wird den Beteiligten bewusst, dass es nicht darum geht, eine Fülle von Benefits einzuführen. Ebenfalls geht es nicht um die bloße Erfüllung von Berichtspflichten. Es geht um Vereinbarkeit 2.0, die über die Wettbewerbsfähigkeit entscheidet und erheblichen Einfluss auf das Business Continuity Management der Unternehmen hat.
SK Vor allem ist es enorm wichtig, nicht nur das WARUM – sprich den Erkenntnisgewinn – zu bieten, sondern auch das WIE. Es ist nicht der erhobene Zeigefinger, den die Gesellschaften brauchen, sondern direkte Hilfen und Lösungen für die Umsetzung.
Gibt es denn schon erste Erfahrungsberichte?
SK Ja, wir freuen uns schon auf das in Kürze erscheinende E-Book. Hier geben wir Einblicke in unsere Kunden-Workshops und lassen Teilnehmer*innen unterschiedlicher Gesellschaften zu Wort kommen.
Die Versicherungsbranche ruft schon länger nach mehr Frauen in Vorständen. Wie ist hier Ihrer Meinung nach der aktuelle Stand und welche Schritte müssen noch gegangen werden?
UG Wunsch und Wirklichkeit liegen weiterhin auseinander. Auf C-Level- und F1-Ebene besteht noch viel Handlungsbedarf, ganz besonders in den Vertriebsressorts. Veranstaltungen wie der Female Insurance Summit sind wichtig, damit Role Models unterschiedlicher Gesellschaften den hochqualifizierten Frauen Mut machen, Vorstandspositionen einzunehmen. Selbst in dieser Zielgruppe existiert häufig noch eine Hemmschwelle, den nächsten Karriereschritt zu gehen.
Warum sollten sich auch Versicherungsmakler dieser Themen mehr annehmen und was gewinnen sie dadurch?
UG Im Bereich der Maklerorganisationen finden gerade viele Post-Merger-Integrationsprozesse statt. Studien zeigen, dass durch diverse Teams auf allen Führungsebenen unterschiedliche Sichtweisen und neue Perspektiven entstehen und die Kraft und Innovationsfähigkeit der Organisationen erhöht. Im immer anstrengender werdenden disruptiven Umfeld sowie im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter*innen kann die Branche mehr Frauen gebrauchen. Also auch auf C-Level gilt hier: Must win: Frauen!
Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 11/2024 und in unserem ePaper.
Bilder, Grafik: © Ute Geishauser, Sabrina Kraft
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