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Assekuranz
26. Juli 2022
Welche Folgen hat ein Gaslieferstopp für die Assekuranz?
Welche Folgen hat ein Gaslieferstopp für die Assekuranz?

Welche Folgen hat ein Gaslieferstopp für die Assekuranz?

Die deutsche Bundesregierung steht vor der schwierigen Frage, Gaslieferungen womöglich zwischen Wirtschaft und Privathaushalten rationieren zu müssen. Das könnte in der Industrie zu Betriebsunterbrechungen führen. Doch was bedeutet das für den Versicherungsschutz?

27% beträgt der Anteil von Erdgas am deutschen Primärenergiebedarf – also des gesamten Energiegehalts aller hierzulande eingesetzten Energieträger. Und rund 55% dieses Erdgases lieferte 2021 nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen e. V. Russland. Doch der Hauptlieferant setzt Erdgas angesichts der bestehenden EU-Sanktionen vermehrt als Gegendruckmittel ein, variiert die Liefermengen nach Gutdünken und treibt damit auch die Gaspreise ordentlich nach oben. So hält es der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, momentan für unrealistisch, dass bis zum 01.11.2022 die Gasspeicher wie geplant zu 90% gefüllt seien. Derzeit liege der Füllstand bei etwa 66%. Seit Tagen und Wochen diskutieren daher Politik, Verbraucherschützer und Wirtschaft über die Folgen nur teilweise gefüllter Gasspeicher oder, im schlimmsten Fall, die vollständige Einstellung der Gaslieferungen aus Russland nach Europa.

Notfallstufe Gas zöge Lieferrationierung nach sich

Spätestens mit der Ankündigung des staatlichen Gaslieferanten Gazprom, die Liefermenge auf nur noch ein Fünftel der vertraglich vereinbarten Menge zu reduzieren, muss sich auch Deutschland auf den Ernstfall vorbereiten. Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) hatte schon Ende März 2022 die erste Stufe des Notfallplans Gas ausgerufen, im Juni folgte dann Stufe zwei. Sie wird in Kraft gesetzt, wenn eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas vorliegt, die zu einer „erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage“ führt. Noch aber ist der Markt in der Lage, die Störung zu bewältigen, ohne dass der Staat eingreifen muss.

Das würde sich aber mit Ausrufen der dritten und letzten Stufe – der Notfallstufe – ändern. Denn dann greift der Staat in den Markt ein und verordnet zusätzlich „nicht-marktbasierte Maßnahmen“, um die Gasversorgung in Deutschland so weit wie möglich sicherzustellen. Gas könnte in einem solchen Szenario zwischen den Verbrauchern, Haushalten, Kommunen und Wirtschaft rationiert werden. Und nach Aussagen von BMWK und Bundesnetzagentur könnte auch die Industrie davon betroffen sein.

Gasrationierung würde Betriebsschließungen wahrscheinlich machen

Sofern die Unternehmen also nicht auf Alternativen zum Gas umstellen können, drohen Einbußen in der Produktion: Fließbänder könnten stillstehen, Schmelzöfen erkalten, Chemieanlagen verstummen, Maschinen weder stanzen noch walzen. Selbst Firmen, die kein Gas benötigen, könnten durch Produktionsausfälle bei Zulieferern indirekt betroffen sein. Konsequent weitergedacht wären in einem solchen Szenario Betriebsschließungen unumgänglich. Was aber bedeutet das für die deutsche Assekuranz? Müssten die Versicherer auch für solche Schließungen bei vorliegendem Versicherungsschutz leisten? Genau mit dieser Frage hat sich der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) e. V. beschäftigt.

GDV gibt Entwarnung

Und der GDV gibt Entwarnung. Denn: Versichert seien solche Produktionsausfälle nicht. Zwar können Betriebsunterbrechungen gesondert abgesichert werden. Eine Entschädigung setzt aber immer einen Sachschaden voraus. Heißt: Kommt die Produktion aufgrund eines Feuers in einer Fabrik zum Erliegen, sind daraus resultierende Schäden über eine Betriebsunterbrechungsversicherung abgedeckt. Produktionseinbußen durch eine staatlich angeordnete und im Voraus geplante Rationierung von Rohstoffen hingegen nicht.

Ein aktuelles Gutachten, das der GDV in Auftrag gegeben hat, bestätigt diese Auffassung. Die Rechtsexperten kämen darin nämlich zu dem Ergebnis, dass es sich bei Ausrufen der Notfallstufe um eine „planmäßige Abschaltung“ handele und der entsprechende Risikoausschluss in den Musterklauseln greife. Selbst wenn in einer Klausel das Vorliegen eines Sachschadens nicht konkret vereinbart ist – was bei älteren Policen der Fall sein kann –, greift letztlich der Risikoausschluss „planmäßige Abschaltung“, so die Einschätzung der Gutachter.

Ratingagentur Fitch bekräftigt GDV-Auffassung

Und auch die Ratingagentur Fitch kommt in einer aktuellen Analyse zum gleichen Urteil: Der Versicherungssektor wäre demnach nicht von Betriebsunterbrechungsschäden betroffen, die aus einem Stopp russischer Gaslieferungen nach Europa resultieren. Die sogenannten Business-Interruption-Policen deckten nur Verluste ab, die durch physische Schäden an Geschäftsräumen oder Produktionsanlagen entstehen. Auch die Chancen der Firmen auf Ansprüche aus politischen Risikoversicherungen seien gering.

„Für Versicherer sind solche Ausschlussklauseln wichtig, um sich vor vielen gleichzeitigen Ansprüchen zu schützen, die sie selbst überfordern würden. Das ist immer bei sogenannten Kumulrisiken der Fall“, erläutert dazu der GDV. Damit meint der GDV Gefahren, die in relativ kurzer Zeit sehr viele Schäden anrichten könnten, wie beispielsweise ein Krieg, eine Pandemie oder eine über Monate im Voraus geplante Unterbrechung der Strom- oder Gasversorgung. Allerdings würde in einem solchen Kumulfall – wenn also viele Unternehmen gegenüber den Versicherern gleichzeitig einen Schaden geltend machen würden – das Prinzip der Risikostreuung nicht mehr funktionieren, gibt der GDV zu bedenken.

Fitch: Auf Versicherer könnten indirekte Schäden zukommen

Allerdings: Indirekt könnten die Versicherer laut Fitch sehr wohl die Auswirkungen eines Gas-Lieferstopps zu spüren bekommen. Einsparungen bei der Heizenergie könnten beispielsweise dazu führen, dass im Winter mehr Wasserrohre in Häusern bersten – ein klassischer Fall für die Gebäudeversicherung. Denkbar ist auch, dass vorübergehende Produktionsstopps in den Betrieben in der Folge zu mehr Maschinenschäden führen, für die die Assekuranz dann aber einstehen müsste, lässt die Ratingagentur in einer Pressemitteilung wissen. Und generell könnten die gesamtwirtschaftlichen Folgen einer Gasmangellage wie steigende Arbeitslosigkeit oder sinkende Reallöhne zu einer geringeren Nachfrage nach Versicherungsprodukten führen. (as)

Bild: © ANTON – stock.adobe.com