Ein Artikel von Andreas Wollermann, Berater und Trainer für Versicherer und Finanzdienstleister unter der Wortmarke GENsurance®
Hand aufs Herz – das klassische Bild des Verkäufers ist nicht nur verstaubt, sondern für viele Menschen in unserer Gesellschaft abschreckend. Bezeichnungen wie „Verkäufer“ oder „Sales Manager“ rufen bei vielen jungen Menschen kaum positive Assoziationen hervor. Vielmehr stehen sie für unnachgiebigen Druck, für Manipulation und das berüchtigte „Anhauen, umhauen, abhauen!“ Ein Vorgehen, das in Zeiten von sozialem Bewusstsein und dem Wunsch nach Sinnstiftung bei jungen Menschen nicht mehr zeitgemäß ist.
Warum ist das so? Junge Generationen, vor allem die Gen Z, sind in einem Umfeld aufgewachsen, in dem Werte wie Authentizität, Nachhaltigkeit und Ethik eine große Rolle spielen. Doch das Bild des Verkäufers – geprägt von den Erfahrungen von Eltern oder von verzerrten Darstellungen auf Social Media – steht oft in direktem Widerspruch zu diesen Werten. Sie sehen den Vertrieb häufig als eindimensionalen, profitorientierten Beruf, in dem es ausschließlich darum geht, Menschen Produkte aufzuschwatzen, die sie vielleicht gar nicht brauchen. Dass der Vertrieb jedoch eine elementare Rolle in der Kundenbindung und in der Lösungsfindung spielt, bleibt meist im Schatten. Gerade in unserer Branche, in der es darum geht, Menschen und Sachwerte zu schützen, sollte der Mehrwert der Kunden im Vordergrund stehen.
Die Folgen der Ablehnung
Diese verzerrte Wahrnehmung hat weitreichende Folgen. Die Versicherungsbranche, die dringend talentierten Nachwuchs im Vertrieb braucht, hat große Schwierigkeiten, junge Menschen für den Beruf zu begeistern. Wenn potenzielle Bewerber den Vertrieb als „unseriös“ oder gar als „unethisch“ empfinden, entscheiden sie sich gegen eine Karriere in diesem Bereich. Es droht ein Teufelskreis: weniger Nachwuchs im Vertrieb, eine weiterhin negative Wahrnehmung des Berufsbildes und eine Branche, die sich vor verschlossenen Türen wiederfindet.
Zeitgemäße Stellenausschreibungen – kein Platz für Floskeln und Pauschalen
Das beginnt bereits bei der Sichtbarkeit des Berufsbildes und bei entsprechenden Stellenausschreibungen. Noch immer wird im Vertrieb mit den gleichen Phrasen und Anforderungen geworben: „Kommunikationsstärke“, „Durchsetzungsvermögen“, „Ergebnisorientierung“.
Wir brauchen also Stellenausschreibungen, die den Vertrieb als das positionieren, was er heute sein sollte! Eine zwischenmenschliche Schnittstelle, die sich dem Kundenbedürfnis widmet, statt Produkte nur im Akkord zu verkaufen. Formulierungen wie „Beziehungsaufbau“, „Affinität zu Social Media“, „Problemlösungskompetenz“, „Empathie“ und „authentische Kommunikation“ sollten im Mittelpunkt stehen. Die Fähigkeit, Vertrauen zu schaffen und zuzuhören, ist essenziell. Nur so können wir junge Menschen erreichen, die heute in den Arbeitsmarkt eintreten und nach einer sinnvollen Tätigkeit suchen.
Vertrieb neu gedacht: Berater, Begleiter, Vertrauensperson
Was braucht ein moderner Vertriebler? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns von dem Gedanken lösen, dass Vertrieb und Verkauf Synonyme sind. Das Ziel des Vertriebs darf nicht länger sein, Menschen etwas zu verkaufen. Das Ziel muss sein, Menschen zu verstehen und ihnen zu helfen, Entscheidungen zu treffen, die sie langfristig glücklich machen und Probleme der Gegenwart und Zukunft lösen. Die Rolle des Vertrieblers muss also die eines Beraters, Begleiters und manchmal auch eines Moderators sein, der zuhört, analysiert und dann gemeinsam mit dem Kunden Lösungen entwickelt.
In der Versicherungswirtschaft stehen wir hier vor einer besonderen Herausforderung. Unsere Produkte sind abstrakt, sie bieten keinen unmittelbar spürbaren Nutzen und greifen meist erst in schwierigen Lebenssituationen. Das erfordert nicht nur Einfühlungsvermögen, sondern auch die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte einfach und nachvollziehbar zu vermitteln. Ein moderner Vertriebler unserer Branche muss mehr sein als ein Verkäufer, er muss ein Vertrauensmensch sein, der Sicherheit und Unterstützung bietet.
Zurück zu den Basics: Kommunikation auf Augenhöhe
Der Weg dorthin führt zurück zu den Basics, die im hektischen und zahlenorientierten Vertriebsalltag oft verloren gehen. Es braucht Menschen, die im Vertrieb ein Grundverständnis für Storytelling entwickeln, also die Fähigkeit, Produkte und Dienstleistungen nicht als bloße Zahlen und Daten zu vermitteln, sondern als Geschichten, die an das Leben der Menschen andocken. Eine gute Geschichte schafft Vertrauen, bleibt im Gedächtnis und transportiert Werte.
Hinzu kommt die Notwendigkeit, die Grundlagen der Etikette und des Respekts wieder in den Vordergrund zu stellen. Viele junge Menschen wachsen zum größten Teil in einer digitalen, schnelllebigen Welt auf, in der echte persönliche Kommunikation oft vernachlässigt wird. Doch im Vertrieb ist und bleibt der persönliche Kontakt entscheidend. Es geht darum, auf die individuellen Bedürfnisse und Lebenslagen der Kunden einzugehen, und das gelingt nur mit einer respektvollen und wertschätzenden Haltung.
Empathie – der Schlüssel für den Vertrieb der Zukunft
Empathie wird in der Gen Z und der heranwachsenden Gen Alpha zunehmend als Schlüsselfähigkeit angesehen. Diese Generationen erwarten von Unternehmen und deren Vertretern ein tiefes Verständnis für ihre Situation, ihre Bedürfnisse und auch ihre Sorgen. In der Versicherungswirtschaft, die oft mit komplexen und teils sensiblen Themen wie Altersvorsorge, Krankheitsfällen oder Berufsunfähigkeit zu tun hat, ist Empathie unabdingbar. Ein Vertriebler, der empathisch zuhören kann, gewinnt Vertrauen und schafft die Basis für eine langfristige Kundenbeziehung.
Dabei bedeutet Empathie im Vertrieb nicht, jeden Wunsch unkritisch zu erfüllen. Vielmehr geht es darum, ein tiefes Verständnis für den Kunden zu entwickeln und ihm auf Augenhöhe zu begegnen. Wer dies beherrscht, kann die echten Bedürfnisse des Kunden erkennen und ihm Lösungen anbieten, die ihm wirklich helfen, und dies nicht nur kurzfristig, sondern auf lange Sicht.
Der Vertrieb braucht einen Imagewechsel
Die Versicherungswirtschaft muss sich fragen, wie sie in Zukunft den Vertrieb positionieren möchte. Es ist wichtig, das Image des Verkäufers abzulegen und eine Rolle zu schaffen, die für junge Menschen attraktiv ist. Eine Rolle, die Werte wie Empathie, Authentizität und Ehrlichkeit verkörpert. Nur so kann die Branche zukünftig Talente gewinnen, nachhaltig befähigen und langfristig binden.
Unser Ziel muss sein, Stellenprofile so zu gestalten, dass junge Menschen nicht nur verstehen, was sie erwartet, sondern auch, was sie bewirken können. Denn Jobs im Vertrieb sind eine wertvolle und erfüllende Tätigkeit, die Menschen miteinander verbindet und gemeinsam Lösungen schafft.
Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 01/2025 und in unserem ePaper.
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