Ein Artikel von Birte Raguse, Fachanwältin für Versicherungsrecht bei KOMNING Rechtsanwälte
Das Thema „Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung“ ist seit Jahren omnipräsent. Uneinigkeit bestand bislang unter anderem darüber, ob § 8b Abs. 2 der Musterbedingungen 2009 für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MB/KK 2009) zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 S. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) abweicht. Nach dieser Klausel kann von einer Beitragsanpassung abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistung als vorübergehend anzusehen ist. Diese und die ebenfalls streitige Frage, ob eine Unwirksamkeit auch eine solche des § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 zur Folge hätte, hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 22.06.2022 zum Az. IV ZR 253/20 entschieden.
Voraussetzung jeder wirksamen Beitragsanpassung in der PKV ist die Mitteilung einer den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügenden Begründung. Erst hierdurch wird die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Gang gesetzt. Bereits in seiner Entscheidung vom 16.12.2020 hatte der BGH dazu ausgeführt, was unter den nach § 203 Abs. 5 VVG mitzuteilenden maßgeblichen Gründen zu verstehen ist. Erforderlich ist die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie, mithin die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung veranlasst hat.
Viele Versicherer haben in ihren Tarifbedingungen von der gesetzlichen Möglichkeit Gebrauch gemacht, hinsichtlich der Rechnungsgrundlage „Versicherungsleistungen“ den gesetzlichen Schwellenwert von 10% in den allgemeinen Versicherungsbedingungen abzusenken, mit der Folge, dass eine Prämienanpassung bereits bei einer Überschreitung eines Schwellenwertes von 5% erfolgen kann. Grundlage ist eine entsprechende Regelung nach § 8b MB/KK .
BGH: Die Regelung ist unwirksam
Der IV. Zivilsenat des BGH führt in seiner Entscheidung nun aus, dass § 8b Abs. 2 MB/KK unwirksam ist, da der Versicherer bei einer nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung von der Prämienanpassung absehen „kann“. Sie sei jedoch nicht ausgeschlossen. Dies stünde im Widerspruch zu der gesetzlichen Vorschrift, wonach eine Prämienanpassung zwingend voraussetzt, dass die Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage eben nicht nur als vorübergehend anzusehen ist.
Der BGH legt dar, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Regelung so verstehen würde, dass auch bei nur vorübergehender Veränderung eine Prämienanpassung möglich sei. Das sei aber nicht der Fall, da der Versicherer eine Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen treffen müsse und eine Prämienanpassung ausgeschlossen sei, wenn sachliche Gründe wie das Fehlen einer dauerhaften Veränderung dagegenstünden. Nach Auffassung des BGH stellt dies einen unzulässigen Nachteil für Versicherungsnehmer dar. Da die Klausel somit unwirksam ist, tritt an deren Stelle die gesetzliche Vorschrift, wonach bei einer nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage eine Neufestsetzung ausgeschlossen ist. Über die Unwirksamkeit des § 8b Abs. 2 MB/KK bestand zuvor überwiegend Einigkeit.
Seite 1 Wann ist PKV-Beitragserhöhung gemäß Musterbedingungen rechtens?
Seite 2 Welche Rechtsfolgen hat diese Unwirksamkeit?
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können