Die Finanzwelt schielt auf Donnerstag. Zehn Zinserhöhungen in Folge hat die Eurozone hinter sich, die letzte erfolge im September 2023. Seitdem steht der Hauptrefinanzierungssatz der Europäischen Zentralbank bei 4,5% und bei den folgenden Zinsentscheiden war nie mit der ersten Senkung zu rechnen – bis jetzt. Vielerorts rechnen die Experten am kommenden Donnerstag, den 06.06.2024, mit einem ersten Zinsschritt nach unten.
Inflation steigt
Doch wie sicher kommt dieser Schritt? Und wäre es etwas zu unvorsichtig, insbesondere angesichts der Tatsache, dass laut Eurostat die Inflationsrate in der Eurozone wieder leicht gestiegen ist – von 2,4% im April auf 2,6% im Mai? Deutschland bildet unter den Euro-Staaten da keine Ausnahme, denn auch hierzulande ist die Teuerungsrate laut Meldung des Statistischen Bundesamts wieder nach oben gegangen, nämlich auf 2,4%, von 2,2% im April. Federführend dafür könnte die Einführung des Deutschlandtickets im Mai 2023 sein.
Heiße Erwartungen?
Und trotzdem erwartet die Branche am Donnerstag ein Ende des Wartens auf Godot. Damit rechnet u. a. auch Ulrike Kastens, Volkswirtin Europa, bei der DWS. Demnach habe sich nahezu jedes Mitglied des EZB-Rates zu einer möglichen Zinssenkung im Juni geäußert und eine solche befürwortet. Für den Anfang werde die EZB um 25 Basispunkte nach unten gehen – spannender sei allerdings, wie es dann weiter gehen wird. Einige Zentralbanker hätten weitere schnelle Zinssenkungen im Sinn, andere würden eher bremsen und eine langsame Gangart bevorzugen.
Fraglich ist jedoch auch, wie sich die Inflation generell weiter entwickeln wird. Bundesbank-Chef Joachim Nagel vertritt hier in einem Interview mit dem Handelsblatt die Ansicht, dass es ein „Auf und Ab“ bei den Inflationsraten geben werde. Ähnliches erwartet auch die DWS und spricht von einer „Seitwärtsbewegung“. Das Handelsblatt zitiert auch ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski, der angesichts der Inflationsdaten des Statistischen Bundesamts die Inflation als „hartnäckig“ bezeichnet – auch aufgrund des Lohnwachstums. Ebenfalls vom Statistischen Bundesamt kam vergangene Woche die Meldung, dass Angestellte im ersten Quartal einen Lohnanstieg von 6,4% verbuchen konnten – abzüglich der Inflation also 3,8%.
Und wieder trotzdem: Die EZB dürfte sich davon nicht groß beeinflussen lassen, da es bereits mehrfach aus Frankfurt Andeutungen gab, im Juni die erste Zinssenkung durchführen zu wollen. So z. B. durch die Aussage von Präsidentin Christine Lagarde, dass man zuversichtlich sei, „die Inflation unter Kontrolle“ zu haben.
Blick auf die Märkte
Eine bemerkenswerte Sache, die aber vielleicht auch den Anleger optimistisch stimmen lässt: Auch wenn in der Investmentbranche seit Monaten hauptsächlich über die Frage, wann die erste Zinssenkung kommt (und wie viele davon bis Ende des Jahres) – der Markt macht eh, was er will. Denn auch 2023, als die EZB die Zinsen noch fleißig angehoben hat, reagierten die Aktienindizes gerne positiv. Und auch die neuen Inflationsdaten habe, wenn überhaupt, nur kurzfristige Reaktionen nach unten ausgelöst. Der Dax steht gegen 16 Uhr am Montag bei über 18.600 Punkten und damit einiges über seinem zwischenzeitlichen „Tief“ der vergangenen Woche. Und auch der Euro Stoxx 50 residiert zum selben Zeitpunkt bei über 5.000 Punkten.
Und auch wenn der Markt, wie schon gesagt, macht, was er will: Eine Zinssenkung schadet ihm wahrscheinlich nicht. Den Finanzinteressierten bleibt für den Moment jedoch nur: Abwarten bis Donnerstag – dann sieht man, ob das Warten tatsächlich ein Ende hat. (mki)
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