Mehr als 50% der deutschen Haushalte jeglicher Altersklassen besitzen digitale Sprachassistenten in Form von Internet of Things (IoT) wie Echodots, Smartphones, Spielekonsolen und vielem mehr. Einige Personen halten ihre Sprachassistenten für eine eigene Persönlichkeit. Ein Versicherungsabschluss über digitale Sprachassistenten ist jedoch bisher nicht üblich.
Versicherer stehen im Rahmen der voranschreitenden Digitalisierung vor der Herausforderung, ihre Angebots- und Antragsstrecken zukunftsfähig und kundenorientiert zu gestalten. Eine digitale und nachhaltige Kommunikation wird langfristig von der großen Mehrheit der Bevölkerung bevorzugt werden. Die Studie „Digitale Versicherung 2019“ aus dem Haus der Adcubum Deutschland GmbH zeigt, dass jeder zehnte deutsche Bundesbürger bereit wäre, seine Versicherung über digitale Assistenten abzuschließen.
Werden Versicherungsvermittler und IoT künftig konkurrieren oder wird diese sie unterstützen? Müssen Versicherer auf Umsatz verzichten, wenn sie keinen Abschluss über Sprachassistenten zulassen?
Aktuelle Entwicklungen
Die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Kontaktbeschränkungen haben für einen Wandlungsprozess im Versicherungsvertrieb gesorgt: Die persönliche Beratung wird durch die Videoberatung inklusive elektronischer Signatur ergänzt. Einige Versicherer versuchen bereits, sich dem Versicherungsabschluss über Sprachassistenten anzunähern. Die Allianz verfügt über den Alexa-Skill „Allianz Rente“, mit dem der User seinen Rentenscore berechnen lassen kann (siehe hier).
Die Deutsche Familienversicherung (DFV) möchte die Zahnzusatzversicherung über Amazon Echo vertreiben. Stefan M. Knoll, Vorstandsvorsitzender der DFV, ist davon überzeugt, dass der Versicherungsabschluss der Zukunft über digitale Sprachassistenten erfolgen wird. Auch die Schadenregulierung sowie Bestandspflege soll mittels Sprachassistenten durchgeführt werden (siehe „DFV vertreibt Zusatzversicherungen über Amazon Echo“, Versicherungsbote, Mirko Wenig, 08.05.2017).
Zum aktuellen Zeitpunkt gibt es bei Amazon neun Bewertungen zu dem Skill der DFV, acht davon positiv (siehe hier).
In den letzten Jahren sind einige interessante Studien zu digitalen Sprachassistenten und IoT publiziert worden. Bernhard Weidenbach, Researcher von Statista, befragte beispielsweise 2.046 Kinder zwischen sechs und dreizehn Jahren zu ihrem Kommunikationsverhalten. 42% der Sechs- bis Neunjährigen und 83% der Zehn- bis Dreizehnjährigen versenden gerne Sprachnachrichten. Diese Generation wächst mit IoT-Geräten auf. 2017 sind in jedem Haushalt in Deutschland laut „Bitdefender Security Awareness in the Age of Internet of Things“, A 2016 Bitdefender Study, zehn smarte Geräte vertreten gewesen.
In der Studie „Digitale Sprachassistenten“ von Splendid Research wurden 1.006 Deutsche zwischen 18 und 69 Jahren zum Thema digitale Sprachassistenten befragt. 60% von ihnen nutzen einen Sprachassistenten. 30% nutzen diesen intensiv. 81% nutzen Alexa aufgrund ihrer angenehmen Stimme und 51% halten sie sogar fast für eine richtige Persönlichkeit, wie die nebenstehende Grafik zeigt.
Die nötigen Voraussetzungen, um Sprachassistenten einsetzen zu können, sind bereits heute vielfach vorhanden. Sprachassistenten werden immer besser akzeptiert.
Die Veränderungen von Trends und Generationen sollten im Rahmen von Vertriebskanälen und in der Produktentwicklung berücksichtigt werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Sprachassistenten könnten zudem den Fachkräftemangel und bis zu einem gewissen Grad fehlenden Nachwuchs ausgleichen.
User Journey zum Versicherungsabschluss
Wie sollte eine mittels Sprachassistenten gesteuerte User Journey gestaltet sein? Der Skill des Versicherungsmaklers wird zunächst vom Kunden abgefragt und damit ein Prozess gestartet:
Bestandskunde
Die Legitimation erfolgt durch die Kundennummer, wenn er diese zur Hand hat. Alternativ nennt er Vor- und Nachnamen, Postleitzahl und, wenn nötig, sein Geburtsdatum.
Er wird gefragt, ob er eine Beratung benötigt oder einen Schaden melden möchte.
Neukunde
Er hat die Möglichkeit, sich über die NFC-Schnittstelle seines Smartphones mit seinem Personalausweis zu legitimieren oder ihm wird ein Link via E-Mail zugesendet. Mit der Aktivierung des Links stimmt er der Verwendung seiner Daten zu.
Er wird gefragt, zu welchem Produkt er eine Beratung benötigt.
Hausratversicherung – Beispiel
Der Kunde entscheidet sich für die Hausratversicherung.
Der Sprachassistent fragt den Bedarf des Kunden ab, um das passende Hausrat-Produkt zu berechnen:
- Adresse, Wohnfläche
- Lage der Hausratgegenstände
- Alter und Hobbys der Personen im Haushalt
- Vorhandene Smart-Home-Geräte
- Zusatzbausteine (Fahrrad, Elementar, Cyber ...)
- Vorversicherung und -schäden
Der Kunde erhält einen Link und öffnet diesen. Er filmt seinen Hausrat. Das Video wird seinem Kundenkonto zugeordnet. Im Schadenfall ist gewährleistet, dass entsprechende Nachweise vorliegen. Das Erkennungssystem beruht auf Augmented Reality. Es erkennt die Gegenstände und berechnet die Neuanschaffungspreise. Das Risiko einer Unterversicherung wird minimiert und die Versicherungssumme optimiert.
Ein bedarfsgerechtes Angebot wird erstellt. Der Sprachassistent liest dem Kunden die Beratungsdokumentation vor. Wenn der Kunde jede Frage bestätigt und dem Abschluss zustimmt, wird der Antrag generiert, an den Versicherer geleitet und dunkel (automatisiert) policiert. Sprache wird in Text umgewandelt. Die Police wird per BiPRO-Schnittstelle übertragen. Der Kunde erhält sie via E-Mail oder App. Im Abrechnungssystem des Versicherers wird die Courtage dem zuständigen Makler zugeordnet.
Fachliche und technische Herausforderungen
Bei der Umsetzung der skizzierten User Journey müssen fachliche und technische Herausforderungen gelöst werden: Die DSGVO muss eingehalten werden. Der Sprachassistent benötigt das Verständnis von Dialekten und eine gute Internet-Performance. Schnittstellen zu Maklerverwaltungsprogramm, Customer-Management-Systemen sowie Vergleichsrechnern sind unabdingbar. Für die Entwicklung und Wartung der Software wird kompetentes Personal benötigt. Schulungen sind erforderlich.
Dranbleiben lohnt sich: Sprachassistenten unterstützen den Versicherungsvertrieb und schaffen mehr Zeit am Point of Sale. Sie verhelfen zu einer ständigen Erreichbarkeit, haben keinen Urlaub und erkranken nicht. Sie steigern den Umsatz und die Nachhaltigkeit, die Haftung wird minimiert und der Fachkräftemangel wird ausgeglichen.
Fazit: Make-or-buy-Entscheidung
Die eigentliche Frage für Versicherer und Versicherungsvermittler ist nicht, ob sich der Abschluss über Sprachassistenten am Markt durchsetzen wird oder IoT-Geräte eine Konkurrenz darstellen. Vielmehr ist es eine Make-or-buy-Entscheidung, um sich bereits in naher Zukunft einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Wer diesem Trend nicht folgt, wird langfristig nicht wettbewerbsfähig bleiben und Umsatzeinbußen in Kauf nehmen müssen.
Über die Autorin
Daniela König ist als Consultant in der Line of Business Insurance bei der adesso SE am Standort Hannover tätig. Ihr Fokus liegt auf der Optimierung von Vertriebsprozessen von Versicherungsunternehmen. Dazu gehört die Business Analyse, das Requirements Engineering, die User Experience und das Change Management. Zusätzlich beschäftigt sie sich mit agiler Transformation.
Bild: © adesso bzw. Alejandro – stock.adobe.com
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