Interview mit Dr. Reiner Will, Geschäftsführer der Assekurata Assekuranz Rating-Agentur GmbH
Herr Dr. Will, das Fusionsgeschehen unter Versicherern hat zuletzt an Dynamik gewonnen. Sind das Einzelfälle oder gehen Sie von einer Trendwende aus?
Mehrere Versicherer haben Fusionen angekündigt oder bereits umgesetzt, was auf eine größere Bewegung in der Branche hindeutet. Zwar dürften viele Gespräche im Gange sein, doch Fusionen werden wohl nicht zur Routine. Ein solcher Schritt erfordert klare, objektive Synergien und Vorteile.
Verschiedene Faktoren setzen Versicherer unter Druck. Was genau sorgt für diese Bewegung?
Die Bewegung wird durch eine Vielzahl wirtschaftlicher Herausforderungen vorangetrieben, darunter steigende Schadenkosten, Personalmangel, zunehmende regulatorische Anforderungen (wie DORA, Wohlverhaltensaufsicht, CSRD, Solvency II Review), notwendige IT-Investitionen und intensiver Wettbewerb. Diese Faktoren erhöhen den Druck auf Versicherer, ihre Effizienz zu steigern und ihre Marktposition zu behaupten. Auch wenn diese Themen nicht neu sind, haben ihre Intensität und Komplexität deutlich zugenommen.
Welche strategischen Ausrichtungen aufseiten der Versicherer sind denn angesichts dieses Umfelds erfolgversprechend?
Erfolgsversprechende Strategien sind solche, die sowohl für Kunden als auch für Vertriebe spürbare Mehrwerte schaffen – sei es durch bessere Produkte, verbesserten Service oder optimierte Prozesse. Dies lässt sich beispielsweise durch Spezialisierung oder Diversifizierung, Automatisierung, Innovationskraft und schnelle Umsetzung erreichen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Bonität: Ein finanziell solides Geschäftsmodell ist entscheidend, um in den notwendigen Wandel investieren zu können. Auch höhere Marktanteile und eine stärkere Wettbewerbsposition spielen hier eine Rolle.
Auf welche Versicherer ist der Druck, Fusionsüberlegungen anzustrengen, derzeit aus Ihrer Sicht daher besonders hoch?
Das lässt sich nicht eindeutig beantworten. Kürzlich haben sich etwa Barmenia und Gothaer oder Stuttgarter und SDK zusammengeschlossen, um durch größere Diversifikation ihre Position zu stärken oder Skaleneffekte zu erzielen, indem sie Ressourcen bündeln. Natürlich wird niemand einen schwachen Partner suchen, weshalb Gesellschaften, die unter wirtschaftlichem Druck stehen, wohl weniger die idealen Kandidaten für Fusionen sind.
Fusionen haben das Potenzial, die Marktstruktur langfristig zu verändern. Wie wirken sich Zusammenschlüsse auf den Wettbewerb aus?
Der deutsche Versicherungsmarkt zeichnet sich durch eine große Anzahl an Anbietern aus, was zum Teil der Vielfalt der Rechtsformen und der Trennung der Sparten zu verdanken ist. Die aktuellen Fusionen haben dieses Bild bislang (noch) nicht grundlegend verändert. Kunden haben nach wie vor eine breite Auswahl an Versicherungsunternehmen.
Welche Folgen impliziert dieses Geschehen für Maklerhäuser?
Im Maklermarkt ist eine deutliche Konzentration zu beobachten. Fusionen und Übernahmen sind mittlerweile an der Tagesordnung, insbesondere durch Maklergruppen, die aktiv andere Maklerhäuser übernehmen. Diese Transaktionen werden oft von internationalen Private-Equity-Unternehmen finanziert, die den deutschen Maklermarkt zunehmend für sich entdecken. Neben wirtschaftlichem Druck, Wettbewerb, Regulatorik, Digitalisierung und Informationssicherheit spielen auch Nachfolgeprobleme eine zentrale Rolle bei dieser Entwicklung.
Ein wichtiger Aspekt dieser Konzentration ist, dass den Maklerversicherern nun größere Vertriebseinheiten gegenüberstehen, was deren Verhandlungsposition bei Courtagen und Serviceleistungen stärkt und die Anbieter unter erhöhten Wettbewerbsdruck setzt.
Gleichzeitig öffnen sich einige Versicherer stärker dem Maklermarkt. Ein Beispiel dafür sind die öffentlich-rechtlichen Versicherer sowie die Hannoversche Leben, die früher vor allem über den Direktvertrieb agierte, inzwischen jedoch zunehmend erfolgreich im Maklermarkt tätig ist.
Wie bewerten Sie die Auswirkungen von Fusionen auf die Kunden, insbesondere in Bezug auf Prämien, Service und Produktvielfalt?
Fusionen haben für Kunden sowohl positive als auch negative Auswirkungen. Größere Unternehmen könnten durch Kosteneinsparungen niedrigere Prämien anbieten und die Servicequalität verbessern. Auf der anderen Seite besteht die Möglichkeit, dass die Produktvielfalt eingeschränkt wird. In den Zeiten des Zusammenschlusses kann es auch zu Friktionen bei den Prozessen und im Service kommen.
Fusionen bergen keinesfalls nur Chancen. Welche Risiken bringen Zusammenschlüsse von Versicherern für die beteiligten Unternehmen und ihre Kunden?
Fusionen bringen verschiedene Risiken mit sich wie etwa kulturelle Unterschiede, mögliche Kundenverluste aufgrund eines zu starken Fokus auf interne Prozesse statt auf den Markt, unklare Ziele und Maßnahmen sowie spezifische regulatorische Hürden. Die Integration unterschiedlicher Unternehmenskulturen kann eine große Herausforderung darstellen, und Kunden könnten sich abwenden, wenn sie mit den Veränderungen unzufrieden sind. Zudem liegt in gemeinsamen IT-Projekten oft ein hohes operationelles Risiko, dass beispielsweise die Migration von Vertragsbeständen auf ein einheitliches System nicht so funktioniert wie geplant. Diese Herausforderungen betreffen sowohl größere als auch kleinere Partner gleichermaßen.
Gibt es Branchen, die diesen Prozess bereits durchschritten haben? Und was kann die Versicherungswirtschaft daraus lernen?
Die Banken- und die Telekommunikationsbranche haben bereits umfassende Konsolidierungsprozesse durchlaufen. Dabei hat sich gezeigt, dass Fusionen häufig zu einer stärkeren Marktstellung und einer besseren Nutzung von Ressourcen führen. Gleichzeitig bringen sie jedoch auch Herausforderungen mit sich, etwa in der kulturellen Integration und der Kundenbindung.
Bild: © Assekurata Assekuranz Rating-Agentur GmbH; Yaruniv-Studio – stock.adobe.com
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