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10. März 2023
Vermittler sind mehr denn je beim Thema Nachhaltigkeit gefragt
„Vermittler sind mehr denn je gefragt, ein authentisches Nachhaltigkeitsbild zu übermitteln“

Vermittler sind mehr denn je beim Thema Nachhaltigkeit gefragt

Viele Finanzprodukte erscheinen infolge der ESG-Regulatorik weniger nachhaltig als sie in der Realität sind, merkt Daniel Regensburger, Geschäftsführer bei Pangaea Life, an. Über die Gründe dafür und wie Vermittler im Beratungsgespräch darüber aufklären können, spricht er im Interview.

Interview mit Daniel Regensburger, Geschäftsführer Pangaea Life
Herr Regensburger, seit 01.01.2023 greifen neue Vorschriften in puncto ESG-Abfrage. Produktgeber sind bereits seit einiger Zeit verpflichtet, die taxonomiekonformen Anteile von nachhaltigen Fonds offenzulegen. Diese Prozentangaben sollen Vermittlern und Kunden mit Nachhaltigkeitspräferenz auch zur Einschätzung des Nachhaltigkeitsanspruchs eines Fonds dienen. Können Sie diese Angabe an einem Fondsbeispiel kurz erläutern?

Tatsächlich bietet unser Pangaea-Life-Fonds „Blue Energy“ hierfür ein sehr gutes Beispiel: Hier investieren wir transparent in Sachwerte aus dem Bereich der erneuerbaren Energien, also Windparks, Photovoltaik-Anlagen und Wasserkraftwerke. Diese Investments produzieren im Wesentlichen Ökostrom für europäische Haushalte und Unternehmen. In diesem Jahr haben wir außerdem den ersten Großspeicher für erneuerbare Energien in unser Portfolio aufgenommen.

Nun werden Sie davon ausgehen, dass der bislang für ökologische Kriterien definierte taxonomiekonforme Anteil des Fonds sehr hoch liegt. Daher mag es Sie überraschen, dass wir bei „Blue Energy“ aktuell einen Anteil von „nur“ 16,8% taxonomiekonformer Assets angeben. Und damit zählen wir branchenweit noch zu den Spitzenreitern.

Wie kommt es, dass die taxonomiekonformen Prozentangaben selbst bei vergleichsweise streng nachhaltigen Fonds so gering ausfallen?

Hier muss ich etwas ausholen: Die Taxonomieverordnung definiert eine Vielzahl an Nachhaltigkeitskriterien für unterschiedliche Wirtschaftsaktivitäten. Konkret hat die EU bislang sechs Umweltziele definiert, auf die nachhaltige Aktivitäten einzahlen können. Hinzu kommt die Prüfung jeder Aktivität auf die „Do-no-significant-harm“-Kriterien sowie auf soziale und ethische Mindeststandards.

Klingt zunächst nachvollziehbar, um die konkrete Nachhaltigkeit der Anlagen eines Fonds nachzuweisen – möchte man meinen. Der Teufel steckt jedoch auch hier in den Details: Denn in der Praxis setzt die Regulatorik die Hürden für die erforderlichen Zertifizierungs- und Nachweispflichten so hoch, dass Fondsanbieter diesen vielfach selbst dann nicht nachkommen können, wenn sie wollten – geschweige denn unter Einhaltung grundlegender Kriterien der Wirtschaftlichkeit.

Was sind die Gründe dafür?

Ein Hauptgrund ist der Umfang und die Art der geforderten Daten. Viele der Zertifizierungen, die die Regulatoren als Nachweis der Taxonomiekonformität von Investitionen sehen möchten, liegen schlichtweg nicht vor. Zumindest aktuell. Und das auch bei Anlagen, die wohl jeder Mensch als nachhaltig einstufen würde.

Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?

Nehmen Sie die Kleinwasserkraftwerke unseres Fonds „Blue Energy“ in Portugal: Viele der Anlagen produzieren bereits seit Jahrzehnten zuverlässig nachhaltige Energie. Um deren ESG-Konformität nun aber im Sinne der Taxonomievorgaben nachzuweisen, müssten wir Zertifizierungen vorlegen, die beim Bau der Kraftwerke noch gar nicht existierten. Diese nachträglich einzuholen, ist – falls überhaupt möglich – sehr aufwendig und kostspielig, was wiederum die Kosten nach oben treiben würde. Eine Entwicklung, die weder im Interesse der Kunden noch im Bestreben der EU sein kann, Geldströme vermehrt in nachhaltige Anlagen zu leiten.

Ein weiteres Beispiel sind die nachhaltigen Wohnimmobilien-Sachwerte unseres Fonds „Blue Living“ in Deutschland und den USA. Diese erfüllen diverse ökologische und soziale Standards. Da sich die Projekte in den meisten Fällen jedoch noch in der Planungs- und Bauphase befinden, können wir die geforderten Zertifikate als Nachweis des nachhaltigen Impacts in den seltensten Fällen vorlegen – ergo: keine Nachhaltigkeit entsprechend der Taxonomieverordnung.

Doch nicht nur Sachwerte-Fonds sind davon betroffen, sondern natürlich auch alle nachhaltigen Aktienfonds: Gerade, wenn diese in Unternehmen außerhalb der EU investieren – was die meisten tun – dürften sie vor enormen Schwierigkeiten stehen, die zur Erfüllung der Taxonomie nötigen Daten einzureichen. Warum? Schlichtweg, weil Unternehmen in den meisten Nicht-EU-Ländern die erforderlichen Daten überhaupt nicht erheben.

Ist unsere Welt damit also gar nicht so nachhaltig – zumindest, wenn es nach der EU geht – wie viele meinen?

Wir stehen vor der fast schon paradoxen Situation, dass viele Finanzprodukte auf dem Papier weniger nachhaltig erscheinen, als diese in der Realität sind – und das aufgrund des Designs einer Regulatorik, die Nachhaltigkeit im Finanzsektor eigentlich fördern und transparenter machen sollte.

Können Sie genauer erklären, welche Faktoren berücksichtigt werden, um als nachhaltig entsprechend der Taxonomieverordnung eingestuft zu werden?

Bislang hat die Taxonomieverordnung lediglich die Umweltziele ausformuliert – sechs an der Zahl. Die sozialen Ziele sollen im Laufe dieses Jahres folgen.

Als nachhaltig entsprechend der Taxonomie gelten Investitionen in wirtschaftliche Aktivitäten, die folgenden ökologischen Zielen dienen: dem Klimaschutz, der Anpassung an den Klimawandel, der nachhaltigen Nutzung und dem Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, dem Übergang zur Kreislaufwirtschaft, der Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzung sowie dem Schutz und der Wiederherstellung der Artenvielfalt und Ökosysteme.

Sehen Sie die Gefahr, dass Kunden von den niedrigen taxonomiekonformen Prozentangaben generell von nachhaltigen Versicherungsprodukten abgeschreckt werden könnten?

Leider ja. Unserer Ansicht nach zeichnet die Taxonomieverordnung in ihrer derzeitigen Gestalt ein verzerrtes Bild der tatsächlichen Nachhaltigkeit eines Fonds. Das berechtigte Anliegen nach Transparenz verkehrt sich in sein Gegenteil, wenn Investitionen mit nachweislich nachhaltigem Impact nur aufgrund kaum oder nicht zu erfüllender Nachweise und Zertifizierungen von Vermittlern und deren Kunden nicht mehr als solche erkannt werden können. Damit ist der Nachhaltigkeit ein Bärendienst erwiesen.

Hier wünschen wir uns vonseiten der Gesetzgebung dringend mehr Augenmaß und Pragmatismus. Ansonsten leistet die Regulatorik – ohne es zu wollen – der leider teils verbreiteten Fehlannahme Vorschub, nachhaltige Finanzprodukte seien per se Greenwashing. Ebenso wenig kann es das Ziel der EU sein, die Kosten für nachhaltige Produkte durch immens aufwendige und kostspielige Zertifizierungsprozesse in die Höhe zu treiben. Dies würde einen klaren Wettbewerbsnachteil nachhaltiger Produkte bedeuten und die vorgegebenen Nachhaltigkeitsziele konterkarieren, statt zu fördern.

Was können Makler tun, um nachhaltigkeitsorientierten Kunden in der Beratung die Einordnung des Nachhaltigkeitsanspruchs eines Produkts zu erleichtern?

Die immer komplexeren Vorgaben und die damit verbundenen Pflichtinformationen zu den Produkten, erhöhen die Wichtigkeit einer kompetenten persönlichen Beratung: Vermittler sind mehr denn je gefragt, ihren nachhaltigkeitsinteressierten Kunden ein authentisches Bild der Nachhaltigkeit eines Fonds zu übermitteln. Damit Kunden aus isolierten Angaben, wie den taxonomiekonformen Anteilen eines Fonds, keine einseitigen Schlüsse ziehen, sollten Vermittler wissen, welche Kriterien eine objektivere Orientierung erleichtern.

Im Zuge der Offenlegungsverordnung ermöglichen die Einstufungen der Fonds nach Artikel 6, 8, 8+ und 9 eine erste Einschätzung. Zumal Anbieter auch hier die Mindestanteile von Investments nach ESG-Kriterien transparent machen müssen. Dennoch betonen wir, dass Artikel-9-Fonds nicht automatisch eine „bessere“ Nachhaltigkeit bedeuten müssen als Artikel-8+-Fonds. Denn Artikel-9-Fonds bilden mit ihrer eindeutig ökologischen Schlagseite und geringeren Flexibilität in vielen Fällen eine weniger ganzheitliche Nachhaltigkeit im ökologischen, sozialen und ökonomischen Sinne ab. Zudem zeigen aktuell unzählige Rückstufungen von Artikel 9 auf 8, dass einige Marktteilnehmer ihren Fonds etwas vorschnell ein „dunkelgrünes“ Etikett verpasst haben.

Als weiteres Kriterium innerhalb der Regulatorik dient Beratern ein Blick auf die sogenannten PAIs, also die nachteiligen Auswirkungen von Investitionen auf unterschiedliche ESG-Indikatoren. Auch diese müssen Anbieter offenlegen und ermöglichen es Vermittlern und Kunden, nachhaltige Kriterien eines Fonds besser einzuschätzen.

Und neben der Regulatorik?

Neben der Regulatorik existieren auf dem Markt mittlerweile diverse unabhängige und anerkannte Ratings und Siegel, welche Rückschlüsse auf die Nachhaltigkeit eines Fonds oder Versicherers zulassen – genannt seien hier exemplarisch Zielke Research Consult mit Morgen & Morgen, Assekurata oder das FNG-Siegel bei Aktienfonds. Auch Nachhaltigkeits-Awards können Vermittlern bei der Einschätzung helfen – hier lohnt sich ein Blick auf das jeweilige Wettbewerbsdesign und die Jury, insbesondere deren Expertise zum Thema.

Ganz entscheidend ist zudem die Transparenz des Anbieters selbst: Können Vermittler in den Produktunterlagen und auf der Webseite nachvollziehen, wie ein Fonds nachhaltig investiert? Liefert der Anbieter Detailinformationen über die Investitionen? Macht er deutlich, inwiefern die Assets konkret auf ökologische, soziale oder ethische Aspekte einzahlen? Je anschaulicher die Informationen aufbereitet sind, desto leichter tun sich Vermittler in der Beratung, um Kunden die Nachhaltigkeit eines Produkts zu vermitteln. Uns veranlasst diese Einsicht zum Beispiel dazu, Vermittler und deren Kunden weiter per VR-Brille auf eine digitale Investmentreise zu den wichtigsten Anlagen unseres Blue-Energy-Fonds mitzunehmen.

Welche Nachbesserungen wünschen Sie sich von der Politik, um die Nachhaltigkeit von Produkten entsprechend der Taxonomieverordnung im Sinne der Transparenz für Vermittler und Kunden näher an der Realität abzubilden?

Von der Politik wünschen wir uns eine Vereinfachung und Vereinheitlichung der Vorgaben zur Einstufung der Nachhaltigkeit von Finanzprodukten. Die aktuelle Situation mit ihrem Geflecht an parallel zueinander existierenden Vorgaben wie Offenlegungsverordnung, Taxonomieverordnung und PAIs führt unserer Ansicht nach zu mehr Verdruss bei Vermittlern und Kunden, als dass sie nachhaltige Investitionen und Transparenz fördert.

Mehr Einfachheit und Einheitlichkeit heißt explizit nicht, dass die Nachhaltigkeitskriterien weniger streng sein sollten. Im Gegenteil: Uns und allen Anbietern, die Nachhaltigkeit ernst nehmen, muss es ein Anliegen sein, Greenwashing konsequent zu verhindern.

Doch statt den Dschungel an regulatorischen Vorgaben weiter wuchern zu lassen, könnte man sich auf einen zentralen und aussagekräftigen Wert zur Bemessung oder Kategorisierung der Nachhaltigkeit einigen.

Haben Sie eine konkrete Idee für eine einheitlichere Umsetzung vor Augen?

Vorbild könnten hier die Energieeffizienz-Ratings der EU von Elektrogeräten, wie Fernsehern und Kühlschränken sein. Hier tragen alle Geräte ein einheitliches EU-Energielabel in den Effizienzklassen A bis G. Mit der technischen Weiterentwicklung der Geräte in Richtung einer höheren Energieeffizienz passte auch die EU ihr Label mit strengeren Vorgaben an – die technische Entwicklung und eine anspruchsvollere Zertifizierung laufen hier also Hand in Hand und liefern einen besseren Erkenntnisgewinn für Verbraucher.

Und genau diese Transformation und einfache Übersetzung benötigen wir, um der Entwicklung, die die Finanz- und Versicherungsindustrie vor sich hat, Rechnung zu tragen – aber eben auch, um Verbraucher mitzunehmen und nicht zu verlieren.

Ein einheitliches EU-Nachhaltigkeitslabel würde es Anbietern, Vermittlern und Kunden enorm erleichtern, die Nachhaltigkeit eines Produkts transparent nachzuvollziehen und die Akzeptanz von ESG-Lösungen stärken. Natürlich müsste dieser Wert die Nachhaltigkeit beispielsweise eines Fonds möglichst konkret, ganzheitlich und zugleich realistisch abbilden – was voraussetzt, dass Anbieter den Nachweispflichten in der Praxis auch wirklich nachkommen können. Praktische Orientierung statt immer mehr Verwirrung sollte die Devise hinsichtlich des Nutzens für Vermittler und Kunden lauten.

Bild: © Pcess609 – stock.adobe.com; © Pangaea Life