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04/2015
13. April 2015
Teil II: Haftung bei Umdeckungen
Man writing on a blank paper with ink pen.

Teil II: Haftung bei Umdeckungen

In einem aktuellen Urteil hat der BGH Ende letzten Jahres entschieden, dass ein Versicherungsvermittler seinen Kunden beim Wechsel einer Lebensversicherung insbesondere auf die Folgen und Risiken der vorzeitigen Kündigung einer bestehenden und des Abschlusses einer neuen Lebensversicherung hinweisen muss.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt war zwischen den Parteien streitig, ob der beklagte Versicherungsvertreter den Kläger über die nachteiligen Folgen und Risiken der „Umdeckung“ einer bestehenden Lebensversicherung aufgeklärt hatte. Ein Beratungsprotokoll oder eine Auflistung über alle wesentlichen leistungs- und beitragsrelevanten Unterschiede der bestehenden und der angebotenen Versicherung gab es nicht. Nach Ansicht des BGH muss ein Versicherungsvertreter den Versicherungsnehmer auf die negativen Folgen einer Kündigung der alten, für die Kläger günstigen Kapitallebensversicherung hinweisen. Sei eine entsprechende Aufklärung unterblieben, habe der Versicherungsvertreter seine Beratungspflicht gemäß § 61 VVG (Beratungs- und Dokumentationspflichten des Versicherungsvermittlers) verletzt.

Beratungsdokumentation und Beweislast

In dem Verfahren war es demnach entscheidungserheblich, ob der beklagte Versicherungsvertreter die Kläger auf die negativen Folgen der Umdeckung hingewiesen hatte. Grundsätzlich müsse, so der BGH, der den Schadenersatz begehrende Kunde (Versicherungsnehmer) darlegen und beweisen, dass der Versicherungsvermittler seine Beratungspflicht verletzt habe. Allerdings treffe den Vermittler eine sekundäre Darlegungslast. Insoweit sei erheblich, dass der beklagte Vertreter im vorliegenden Fall die Beratung nicht dokumentiert habe. Dies habe Auswirkungen auf die Beweislastverteilung. Die Nichtbeachtung der Dokumentationspflicht des Versicherungsvermittlers könne nämlich Beweiserleichterungen zugunsten des Versicherungsnehmers bis hin zu einer Beweislastumkehr nach sich ziehen. Die Funktion der vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Dokumentationspflicht liege vornehmlich darin, dass der Versicherungsnehmer mit einer Beratungsdokumentation die wesentlichen Inhalte der Beratung vor Augen geführt und an die Hand bekomme. Hierdurch werde er in die Lage versetzt, seine Entscheidung des Näheren zu überprüfen und den ihm sonst kaum möglichen Nachweis über den Inhalt der Beratung zu führen. Werde ihm diese Nachweismöglichkeit wegen des Fehlens einer Dokumentation abgeschnitten, so habe dies Auswirkungen auf die Verteilung der Beweislast. Sei ein erforderlicher Hinweis von wesentlicher Bedeutung wie im vorliegenden Fall nicht, auch nicht im Ansatz, dokumentiert worden, so müsse grundsätzlich der Vermittler beweisen, dass dieser Hinweis erteilt worden sei. Gelinge ihm dieser Beweis nicht, so sei zugunsten des Versicherungsnehmers davon auszugehen, dass der betreffende Hinweis nicht erteilt worden sei, der Vermittler mithin pflichtwidrig gehandelt habe.

Schlussfolgerungen für die Praxis

Aus der Entscheidung des BGH lassen sich wichtige Schlussfolgerungen für die Beratungs- und Dokumentationspraxis ableiten. Nach wie vor werden die meisten Versicherungsvermittler von der Unsicherheit begleitet, wie eine „richtige“ Beratungsdokumentation auszusehen hat. Die gesetzliche Vorgabe ist umständlich formuliert und enthält zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe. Gemäß § 61 Abs. 1 VVG hat der Versicherungsvermittler den Versicherungsnehmer – soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht – nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben und dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags zu dokumentieren.

Strukturell enthält die Vorschrift vier Elemente: Befragung nach Wünschen und Bedürfnissen, Beratung, Angabe der Gründe für jeden Rat, Dokumentation. Danach muss jede Dokumentation die Elemente Befragung, Beratung, Angabe der Gründe für jeden Rat enthalten. Das Gesetz lässt aber offen, wie und was der Vermittler fragen, beraten und begründen muss. Dies ist von der individuellen Situation abhängig. Insoweit eröffnet sich dem Vermittler ein von fachlichen Kriterien begleiteter Ermessensspielraum, seine Befragung und Beratung der individuellen Situation anzupassen. Insoweit verbieten sich vorgefertigte Beratungsdokumentationen mit Kästchen zum ankreuzen, die ebenso wenig Rückschlüsse auf die individuelle Beratung zulassen wie schlichte, aber inhaltsleere Dokumentationen, nach denen ein Versicherungsvertrag empfohlen worden sei, weil der Kunde ihn so gewollt habe oder er seinem Bedarf entspreche. Idealiter gibt die Beratungsdokumentation eine Beratung so wieder, dass sich ein Dritter einen Überblick über den Ablauf der Beratung verschaffen kann.

Eine gute Beratungsdokumentation entlarvt aber auch Beratungsfehler. Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, eine gute Beratungsdokumentation schütze vor Haftung. Vor Haftung schützt nur eine kundengerechte Beratung. Die Beratungsdokumentation sorgt dafür, die kundengerechte Beratung im Streitfall zu belegen. Es kommt also im Wesentlichen auf die Beratung an. Macht ein Kunde einen Beratungsfehler geltend, kommt es gegebenenfalls zu einer gerichtlichen Überprüfung der Beratung. Das ist nicht unproblematisch, weil die Gerichte über einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt urteilen müssen bzw. können, in dem der Kunde einen wie auch immer verursachten Schaden behauptet. Die Gerichte haben dann die Möglichkeit, die im Verfahren festgestellte Beratung des Versicherungsvermittlers an einer nach den Erkenntnissen des Gerichts „idealtypischen“ Beratung zu messen. Und im Nachhinein fällt es leichter zu erkennen, was man in der streitbefangenen Beratung möglicherweise besser gemacht hätte bzw. wie eine „richtige“ Beratung ausgesehen hätte. Es ist also für Versicherungsvermittler wichtig, dies zu antizipieren. Das bedeutet, die wesentlichen Beratungselemente im Vorfeld zu durchdenken und dabei die wichtigsten Punkte zu identifizieren. Dabei darf man sich nicht von Einflüsterern am Markt „kirre“ machen lassen. Es gibt keine Beratungssituationen, in denen ohne jede Gewichtung beispielsweise 148 Aspekte einer Versicherung relevant und deshalb mit dem Kunden zu besprechen wären. Im römerschen Sinne kommt es vielmehr darauf an, auf die wesentlichen Punkte einzugehen und diese zu dokumentieren. Dabei ist der Begriff Beratung offenbar weit zu verstehen. Nach Ansicht des BGH gehört dazu auch eine gebotene Aufklärung über Risiken.

Es ist für Vermittler mehr als fahrlässig, auf die häufig als lästig empfundene Dokumentation ihrer Beratungsgespräche zu verzichten, weil dadurch ihre Beweissituation im Streitfall wesentlich verschlechtert wird. Aber keine noch so gute Beratungsdokumentation kann einen Beratungsfehler ungeschehen machen. Es kommt also auf die Qualität der Beratung an.

Den Artikel finden Sie auch in AssCompact 04/2015, Seite 98f. Teil I lesen Sie hier.