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27. Mai 2022
Soziale Pflegeversicherung: Eltern mit mehr Kindern benachteiligt
Soziale Pflegeversicherung benachteiligt Eltern mit mehr Kindern

Soziale Pflegeversicherung: Eltern mit mehr Kindern benachteiligt

Jüngst hat das BVerfG festgestellt, dass im gegenwärtigen System der sozialen Pflegeversicherung Eltern mit mehr Kindern gegenüber solchen mit weniger Kindern benachteiligt werden, weil ihr Erziehungsmehraufwand nicht berücksichtigt wird. Der Gesetzgeber muss nun bis Ende Juli 2023 handeln.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat aktuell auf die Vorlage eines Sozialgerichts und zweier Verfassungsbeschwerden entschieden, dass § 55 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Sätze 1 und 2 sowie § 57 Abs. 1 Satz 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sind, als beitragspflichtige Eltern in der sozialen Pflegeversicherung unabhängig von der Zahl der von ihnen betreuten und erzogenen Kinder mit gleichen Beiträgen belastet werden.

Gesetzgeber muss bis zum 31.07.2023 handeln

Im gegenwärtigen System der sozialen Pflegeversicherung werden Eltern mit mehr Kindern gegenüber solchen mit weniger Kindern also in spezifischer Weise benachteiligt, weil der mit steigender Kinderzahl anwachsende Erziehungsmehraufwand im geltenden Beitragsrecht keine Berücksichtigung findet. Die gleiche Beitragsbelastung der Eltern unabhängig von der Zahl ihrer Kinder ist laut BVerfG verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31.07.2023 eine Neuregelung zu treffen.

Beitragsrecht in gesetzlicher Renten- und Krankenversicherung

Das Beitragsrecht der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung verletzt Art. 3 Abs. 1 GG hingegen nicht dadurch, dass Mitglieder mit Kindern mit einem gleich hohen Versicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden. Der wirtschaftliche Erziehungsaufwand wird im System der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung jeweils hinreichend kompensiert, Eltern werden also nicht benachteiligt. Daher hat das BVerfG weitergehende Verfassungsbeschwerden, die die Frage der Berücksichtigung der Betreuung und Erziehung von Kindern bei der Bemessung des Beitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur gesetzlichen Krankenversicherung betrafen, zurückgewiesen.

Zum Hintergrund

Seit dem 01.01.2019 beträgt der Beitragssatz der sozialen Pflegeversicherung 3,05%. Für Versicherte, die das 23. Lebensjahr vollendet haben und nicht Eltern sind, erhöht sich der Beitragssatz um einen Beitragszuschlag für Kinderlose, den sozialversicherungspflichtig Beschäftigte stets allein tragen (§ 55 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB XI). Bis einschließlich 31.12.2021 betrug dieser unverändert 0,25 Beitragssatzpunkte und wurde mit Wirkung ab dem 01.01.2022 auf 0,35 Beitragssatzpunkte angehoben.

Der mit Wirkung zum 01.01.2005 eingeführte Beitragszuschlag für Kinderlose geht auf das sogenannte Pflegeversicherungsurteil des BVerfG vom 03.04.2001 zurück. Dort hat das BVerfG festgestellt, dass es mit Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren sei, dass Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen und damit neben dem Geldbeitrag einen zusätzlichen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems leisten, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag belastet werden, wie Mitglieder ohne Kinder. Weder im Beitragsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung noch in demjenigen der gesetzlichen Krankenversicherung wird hingegen die Kindererziehung berücksichtigt. (ad)

BVerfG, Beschluss vom 07.04.2022 – 1 BvL 3/18, 1 BvR 2824/17, 1 BvR 2257/16, 1 BvR 717/16

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