Ein Kommentar von Ralf Pispers, CEO der PBM AG und Geschäftsführer der adesso experience GmbH
Corona und die Digitalisierung werden die Versicherungsbranche maßgeblich verändern. Dass es so kommt, wusste die Branche schon seit Langem. Nur dachten viele, es wird hoffentlich noch ein bisschen dauern. Die Pandemie und die damit einhergehende Zwangsdigitalisierung der Bevölkerung hat die Zauderer und Zögerer in den Assekuranzen eines Besseren belehrt. Natürlich stehen Technologien – von der Videoberatung über den digitalen Dokumentenaustausch bis zur E-Signatur – schon seit Jahren zur Verfügung. Doch so richtig benutzt haben die Tools vor Corona viel zu wenige. Übrigens auch nicht im Zuge der Pandemie: Eine von der Marktforschungsfirma Innofact durchgeführte Befragung belegt, dass drei von vier Deutschen in den vergangenen Wochen keinerlei Kommunikation mit ihrer Versicherung hatten. Statt den Lockdown als Chance zu sehen, die Kundenkommunikation zu intensivieren, schalteten viele Versicherer auf stumm.
Dabei zeigen Studien aus benachbarten Branchen (hier z. B. Krankenkassen), dass 78% der Deutschen digital mit ihrem Versicherer kommunizieren wollen. Kontakt und Kommunikation sind für die Loyalität der Kunden fünfmal wichtiger als der Preis. Wenn der Bedarf so eindeutig ist und die Chancen so groß, warum dauert es dann in der Praxis immer noch so lange, bis aus Wissen auch Handeln wird? Die Gründe sind vielfältig: Eine veraltete oder inkompatible IT-Infrastruktur, fehlende Daten oder Schnittstellen, die eine kanalübergreifende, nahtlose Betreuung der Kunden erschweren. Und häufig auch ein Hinauszögern wichtiger strategischer Entscheidungen, denn noch läuft das Geschäft ja ganz passabel. Auch geht die rasante Weiterentwicklung der digitalen Technologie für manche zu schnell.
Überzogene Erwartungshaltung
Der wesentliche Grund für die zögerliche Entwicklung der Versicherungsbranche liegt meines Erachtens aber woanders: Nämlich bei der Erwartungshaltung, dass eine neue digitale Lösung von Beginn an perfekt funktionieren muss. Ein erster Release eines digitalen Angebots oder auch der erste Wurf einer digitalen Kampagne muss sofort maximal sitzen und alle Facetten von Prozessen, Daten und Erfolgsmerkmalen erfüllen. Der erste Wurf soll perfekt sein, während die bisherige Customer Journey für den Kunden voller Enttäuschungen steckt. Wer sich in diese Zwickmühle begibt, blockiert sich selbst.
Kunde als wirklicher Mittelpunkt
Digitalisierung wurde in der Vergangenheit bei vielen Versicherern hauptsächlich aus Kostengründen betrieben. Das Kundenerlebnis stand weniger im Vordergrund. Entsprechend unemotional, zäh und bruchstückhaft war die Kommunikation. Immer noch erhalten Kunden einfachste Briefe, ohne jegliche Art von Emotion, und immer noch werden physische Response-Medien verschickt.
Die Pandemie gibt der Branche jetzt die Chance, Bewegung in das dröge Bild, das Kunden von Versichern haben, zu bringen. Die Bereitschaft zur Veränderung ist momentan größer als je zuvor. Jetzt darf man einfach mal machen und nicht alles muss sofort perfekt funktionieren. Viel wichtiger ist, dass die Unternehmen handeln und das Ergebnis bei den Kunden ankommt. Hätte man in den ersten Wochen der Pandemie die Kunden nicht schon ansprechen können? Natürlich hätte man das tun können, eigentlich sogar müssen. Umso wichtiger ist, dass die Branche den Hebel jetzt möglichst schnell umlegt: in einem abgestimmten Zusammenspiel der Kanäle – von gedruckten Mailings über E-Mail-Kampagnen, Kontaktpunkte im Kundenportal oder in der App bis hin zum Zusammenspiel mit den Vermittlern. Natürlich ist moderne Technologie für reibungslose Kundenkommunikation eine wichtige Voraussetzung. Mindestens ebenso wichtig sind aber diese vier Bausteine:
1. Den Kunden und seine aktuelle Situation verstehen
Der Versicherer sollte wissen, an welchem Punkt in seinem Leben der Kunde im Moment steht und womit er sich thematisch beschäftigt. Viel zu häufig werden Kampagnen an Kunden verschickt, die in keiner Weise mit einem aktuellen Geschäftsvorfall zu tun haben. Das bedeutet nicht, dass der Versicherer wie Facebook die Datenwelt komplett mit KI ausgelegt haben muss, um alle Informationen seines Kunden zu nutzen. Aber es bedeutet, dass der Versicherer mit dem vorhandenen Datensatz der Kunden bei der Erstellung von Kampagnen arbeiten muss. So werden Erlebnisse generiert, die Kunden verstehen und die Empathie vermitteln.
2. Wirklichen Mehrwert bieten
Wer mit Kunden kommuniziert, sollte Interaktion anbieten. Das können Updates sein (z. B. virtuelles Jahresgespräch), Check-Bausteine (z. B. Wiederanlage-Check) oder auch konkrete Möglichkeiten zur Anpassung von Verträgen und Leistungen. Es geht darum, den Kunden so anzusprechen, dass er immer die Möglichkeit hat, selbst aktiv zu werden. Dafür reicht ein Brief mit Rückumschlag nicht mehr aus. Dafür braucht es smarte Customer Journeys.
3. Es dem Kunden einfach machen
Kunden möchten heute wählen können, wie, wann und wo sie Dinge erledigen. Dabei müssen die Vorgänge smart funktionieren und direkt zu erledigen sein. Dabei reden wir nicht über eine Adressänderung. Wir reden über Schadenprozesse, die Konfiguration des Vertragsablaufs in Lebens- und Rentenversicherung, die Ergänzung bzw. Aktivierung von zusätzlichen Produktbausteinen – es geht also um qualitative Prozesse mit hohem Mehrwert. Der Kunde von heute möchte die Dinge schnell erledigt haben. Vor diesem Hintergrund sind Prozessbrüche negativ für das Kundenerlebnis.
4. Den Kunden positiv überraschen
Mit Emotionen wird in unserer Branche viel zu wenig gespielt. Oftmals aus dem Glauben heraus, Versicherungen seien kein emotionales Produkt. Das stimmt nicht. Der Kunde hat Schmerzen, weil er für Absicherungen zahlt, deren Eintritt er generell vermeiden möchte. Der Kunde hat oft das Gefühl, die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Für den Kunden hängen die Altersvorsorge oder auch die Absicherung bei Berufsunfähigkeit an der Versicherung. Viele emotionale Situationen werden zurzeit von Versicherungen noch nicht oder nicht richtig genutzt, um Kunden positiv zu überraschen. Die Auszahlung einer Lebensversicherung nach 25 Jahren oder auch zehn Jahre unfallfreies Fahren sind Gründe zum Feiern. In diesen Situationen müssen Kunden mit einer positiven Ansprache, die sich auf die zeitliche und thematische Relevanz bezieht, überrascht werden. Die Übererfüllung der Leistung, also die Überraschung des Kunden, ist als Teil der emotionalen Kundenerfahrung ein wichtiger Baustein für die Bindung an die Marke.
Krise als Chance: Machen ist wie Wollen, nur krasser!
Bringen Versicherer die vier genannten Bausteine zusammen, führt das in der Regel zu einem deutlich positiveren Kundenerlebnis und -dialog. Das Zusammenspiel funktioniert schneller und flexibler. Am Ende des Tages führt es auch dazu, dass der Kunde besser an die Marke gebunden wird und dass die Vertragsdurchdringung steigt. Kunden empfehlen die Marke überproportional häufig weiter.
Damit Versicherer aus der Corona-Krise als Gewinner hervorgehen, sollten sie jetzt erste Projekte pilotieren, Prozesse ausprobieren und in einer langfristigen Strategie alle nötigen Infrastruktur-Komponenten zusammenbringen. Denn der Wettbewerb wird deutlich intensiver sein als vor der Krise. Und die Ansprüche der Kunden an die Smartness der Versicherer werden steigen. Deshalb entscheidet sich heute, wer in ein, zwei Jahren gestärkt aus der Krise hervorgeht. Meine Kunden kennen meinen Leitspruch: Machen ist wie Wollen, nur krasser!
Über PBM und adesso experience
Die adesso experience GmbH erstellt Customer Journeys auf Basis innovativer Plattformen aus den Bereichen CRM, Marketing-Automation und Leadmanagement. Sie agiert als Implementierungspartner der PBM AG. Die PBM Personal Business Machine AG (PBM) bietet eine SaaS-Plattform für sicheren und personalisierten Kundendialog in der Assekuranz. Beide Unternehmen sind Ausgründungen der dotkomm GmbH. Unternehmensgründer Ralf Pispers agiert insofern sowohl als Geschäftsführer der adesso experience GmbH als auch als Vorstand in der PBM AG.
Bild: © christianchan – stock.adobe.com
Den Kommentar lesen Sie auch in AssCompact 08/2020 und in unserem ePaper.
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