Ein Artikel von Dr. Jochen Eichhorn, Rechtsanwalt und Partner Barckhaus Rechtsanwälte Partnerschaft mbB
Mittlerweile kommt der Abfrage der sogenannten Nachhaltigkeitspräferenzen bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen eine erhebliche Bedeutung zu. So müssen vor einer Anlageberatung oder Portfolioverwaltung die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden im Rahmen der Geeignetheitsprüfung erfragt und dann bei der Erbringung der jeweiligen Wertpapierdienstleistung auch beachtet werden. Diese aufsichtsrechtliche Vorgabe gilt sowohl für Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) wie auch für Anlagevermittler nach der Finanzanlagenvermittlungsverordnung. Sie sollte beachtet werden, nicht nur um aufsichtsbehördliche Maßnahmen, sondern auch um zivilrechtliche Haftungsansprüche des Kunden zu vermeiden. Man mag sich in diesem Zusammenhang an die Rechtsprechung zur Aufklärung über Zuwendungen („Kick-Backs“) erinnern. Damals haben Kunden im großen Umfang die Rückabwicklung von Wertpapiergeschäften erwirken können, wenn sie nicht richtig über Zuwendungen aufgeklärt worden waren.
Zwar haben sich in der Zwischenzeit zahlreiche „Verbraucherschutzanwälte“ von der Finanzdienstleistungsbranche abgewendet und bearbeiten jetzt z. B. „Dieselgate“-Fälle. Es muss allerdings befürchtet werden, dass sie wieder zurückkommen, wenn Ansatzpunkte für eine Haftung bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen erkennbar sind. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn bei den Kunden Kursverluste eingetreten sind, die durch eine Rückabwicklung ausgeglichen werden können.
Aufsichtsrechtliche Pflicht zur Erfragung der Nachhaltigkeitspräferenzen
Ein Einfallstor dafür könnte bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen die neue Pflicht bieten, auch die Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden zu berücksichtigen – neben den bislang relevanten Punkten, nämlich den Kenntnissen und Erfahrungen, der Risikobereitschaft, der Verlusttragfähigkeit und der Anlagedauer des Kunden.
Abgefragt werden muss konkret Folgendes:
- Welcher Mindestanteil soll in ein ökologisches Investment gemäß der EU-Taxonomie-Verordnung investiert werden?
- Welcher Mindestanteil soll in eine nachhaltige Investition nach der EU-Offenlegungsverordnung investiert werden?
- Welche nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren (sogenannte Principal Adverse Impacts, PAI) sollen berücksichtigt werden?
Unterlässt man diese Abfrage, dann verstößt dies gegen das Aufsichtsrecht. Das allein führt nicht unbedingt zu einer zivilrechtlichen Haftung. Denn grundsätzlich gilt weiterhin, dass Verstöße gegen aufsichtsrechtliche Vorgaben des WpHG nicht ohne Weiteres zivilrechtliche Haftungsansprüche begründen. Allerdings hatte der Bundesgerichtshof (BGH) schon bei Verstößen gegen die früheren aufsichtsrechtlichen Wohlverhaltenspflichten einen zivilrechtlichen Anspruch dann anerkannt, wenn die jeweilige aufsichtsrechtliche Vorgabe „als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsprinzips“ gesehen werden konnte. Dies wurde damit begründet, der Kunde könne dann davon ausgehen, dass der Vertragspartner die tragenden Grundprinzipien des Aufsichtsrechts beachtet.
Es wird deshalb darauf ankommen, ob die Erfragung der Nachhaltigkeitspräferenzen als ein solches allgemeines Rechtsprinzip angesehen werden kann. Dies mag derzeit noch nicht Fall sein. Es kann aber aus Gründen der äußersten Vorsicht nicht ausgeschlossen werden, dass der BGH ein solches allgemeines Rechtsprinzip zukünftig auch hier annehmen wird, insbesondere auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung der Nachhaltigkeit – Stichwort „ESG“.
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