Interview mit Dr. Tim Horacek, Rechtsanwalt und Geschäftsführer bei Keen Law Rechtsanwalts GmbH
Herr Dr. Horacek, rund ein Fünftel der Beschwerden beim Ombudsmann entfällt auf die Sparte Rechtsschutzversicherung (RSV). Warum gibt es so viele Beschwerden?
Im Kontext von RSV sind oft drei Parteien mit jeweils eigenen Interessen involviert: der Versicherungsnehmer, der Versicherer und der Rechtsanwalt. Letzterer hat ein starkes Eigeninteresse an einem positiven Schiedsspruch, obwohl er kein Vertragspartner ist.
Gleichzeitig scheint sich zwischen den Versicherern und der Anwaltschaft eine Kluft gebildet zu haben. Einige Kanzleien berichten von einem Misstrauen der Versicherer ihnen gegenüber, welches sich wohl durch eine strukturelle Versagung des Deckungsschutzes auf entsprechende, von einer bestimmten Kanzlei in einem bestimmten Themengebiet gestellte Anfragen hin, zeigen soll. In anderen Fällen werden bestimmte Kanzleien von der im Grundsatz erteilten Deckungszusage ausgeschlossen. Als Reaktion hierauf rät nicht selten der Rechtsanwalt dem Versicherungsnehmer dann zur Einleitung eines Schlichtungsverfahrens.
Sehen Sie dann darin ein strukturelles Problem in der Branche?
Ja, denn obwohl Rechtsanwälte und Versicherer kein Vertragsverhältnis eint, werden Streitigkeiten zwischen ihnen oft auf der Deckungsebene ausgefochten, bevor das eigentliche Verfahren beginnt. Das halte ich für einen Missstand. Denn wenn Deckungsanfragen basierend auf der beauftragten Kanzlei entschieden werden, würde der Deckungsanspruch des Versicherten an unsachliche Umstände geknüpft. Der Gesetzgeber garantiert in § 127 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) die freie Anwaltswahl, die weder mittelbar noch unmittelbar eingeschränkt werden darf. Besonders problematisch ist es, wenn eine Kanzlei von vornherein aus dem Deckungsschutz ausgeschlossen wird.
Wie beschreiben Sie angesichts dessen das Zusammenspiel zwischen Anwalt und Versicherern? Und wie hat sich das mit dem Dieselskandal nochmals verändert?
Fraglos kam es bei der skalierten Bearbeitung gleich gelagerter Fälle in der Vergangenheit auch zu anwaltlichen Verfehlungen. Dann hat sowohl der Versicherte als auch der Versicherer jedes Recht, einen hieraus ggf. entstandenen Schaden bei dem Rechtsanwalt zu regressieren. Der Versicherer wird durch § 86 VVG in eine beneidenswerte Lage gebracht, da er – anders als der Rechtsanwalt im umgekehrten Verhältnis – seine behaupteten Ansprüche unmittelbar gegen den Rechtsanwalt geltend machen kann.
Dieser Systematik wurde bisher auch gefolgt. Der Dieselskandal scheint dieses Bild gedreht zu haben: Der Versicherer möchte sich den Regressweg sparen und das Geld gar nicht erst weggeben. So aber verdrängt der Streit des Versicherers gegen den Rechtsanwalt die Interessen des Versicherten und versperrt diesem den – versprochenen – Zugang zum Recht.
In welchen Bereichen sollten Anwälte und Versicherer enger zusammenarbeiten, um die Qualität der Rechtsberatung zu verbessern?
Ein Ansatz wäre eine klarere Vorabkommunikation dahingehend, was für die Bearbeitung des Rechtsschutzfalles gewünscht wird. Nicht zuletzt, weil sich die Anforderungen einzelner Versicherer unterscheiden, ließe sich so viel Frust auf beiden Seiten verhindern. Diese Nebenkriegsschauplätze führen häufig dazu, dass das originär gemeinsam erklärte Ziel – eine qualitativ hochqualitative Rechtsberatung des Versicherten – verzögert wird oder in den Hintergrund rückt. Viele monatelange Streitigkeiten lassen sich durch eine eindeutige Absprache im Vorhinein verhindern.
Viele Rechtsschutzversicherer erteilen seit Neuestem beschränkte Deckungszusagen. In welchen Fällen ist das der Fall und was, vermuten Sie, steckt dahinter?
Durch die Massenverfahren der letzten Jahre (u. a. Dieselskandal) haben die Versicherer die Einwände der Mutwilligkeit und fehlender Erfolgsaussichten wiederentdeckt. Grund: Massenphänomene verschieben die Risikokalkulation der Versicherer, da nun ein einziges Ereignis Hunderttausende Rechtsschutzfälle auslösen kann. Ein solches Klumpenrisiko galt früher als Ausnahme, entwickelt sich aber zur Regel. Der Rechtsmarkt wandelt sich zu einem Nachfragemarkt, was durch die marketingaffine Vorgehensweise der Rechtsanwälte noch verstärkt wird. Deshalb versuchen sich viele Versicherer durch diese Einwendungen aus der eigenen Leistungspflicht herauszuwinden und lehnen den Versicherungsschutz ganz oder teilweise ab.
Welche Probleme ergeben sich dadurch für Versicherte und ihre Anwälte?
Wie zuletzt durch den Bundesgerichtshof (Az. IV ZR 140/23) bestätigt, setzen viele Versicherer einen zu strengen Maßstab bei den Erfolgsaussichten an. Damit bleiben viele Versicherte mit ihren berechtigten Ansprüchen auf der Strecke und kommen gerade nicht in den Genuss des durch die Prämieneinzahlung erworbenen vereinfachten Zugangs zum Recht. Der inflationäre und inhaltlich unzutreffende Umgang mit dieser Art der sekundären Risikobegrenzung lähmt im Ergebnis den effektiven Verbraucherschutz. Leidtragende sind neben den Versicherten auch regelmäßig deren Anwälte. Denn es sind in aller Regel die Kanzleien, die die (Fehl-)Entscheidung der Versicherer gegenüber den Versicherten und Mandanten vermitteln und nicht selten mehrere (nicht vergütete) Schriftsatzrunden mit dem Versicherer drehen müssen.
Eine Lösung könnten sog. Prozesskostenfinanzierer (PKF) sein. Welche Rolle spielen diese für Versicherte, deren Rechtsschutzversicherung die Deckung verweigert?
Eine große. Wenn ein Versicherer die Deckung zu Unrecht verweigert, kann der Versicherte PKF beauftragen. Sollte der Prozess erfolgreich verlaufen, kann der Versicherte die Erlösbeteiligung des PKF als Schadensersatz vom Versicherer fordern. Das bringt dem Versicherer ein doppeltes finanzielles Risiko: im Erfolgsfall die Erlösbeteiligung, im Misserfolgsfall den Prozesskostenschaden.
Inwieweit sehen Sie hier eine langfristige Verschiebung der Zuständigkeiten?
Die Versicherer sollten hier wachsam sein. Bisher haben viele Versicherte ungerechtfertigte Deckungsverweigerungen nicht angefochten, oft aus Angst vor Prozesskostenrisiken. Diese Kostengefahr lag wie eine schützende Hand über den Versicherern. Durch die Einschaltung eines PKF wird dieses Risiko beseitigt. Für die PKF sind solche Verfahren interessant, da ihr Risiko durch den bestehenden, aber verweigerten Rechtsschutz gecovert wird. Hier haben die Finanzierer eine lukrative Möglichkeit, in den rechtsschutzversicherten Markt einzudringen.
Wie wichtig ist es dann, dass Makler ihre Kunden über die Zusammenarbeit zwischen Anwalt und Versicherer aufklären?
Das halte ich für enorm wichtig. Der Makler ist für viele Versicherte die erste Anlaufstelle bei verweigerten Versicherungsleistungen, auch im Rechtsschutz. Er schuldet umfassende Beratung und muss den Versicherten über alternative Möglichkeiten der Anspruchsdurchsetzung informieren. Ein Blick in die aktuellen Rechtsprechungsdatenbanken zeigt, dass viele Gerichte die Einschaltung eines Finanzierers bei Rückgriff auf die Versicherungsmöglichkeit für zulässig erachten. Diese Rechtsprechung gehört zu den originären Inhalten, über die der Makler informieren muss, um sich nicht der Gefahr einer eigenen Haftung auszusetzen.
Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 11/2024 und in unserem ePaper.
Bild: © Dr. Tim Horacek, Keen Law Rechtsanwalts GmbH
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