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14. März 2022
Produktfreigabeverfahren – Vorgaben für Vermittler
Produktfreigabeverfahren – Vorgaben für Vermittler

Produktfreigabeverfahren – Vorgaben für Vermittler

Vermittler, die bei der Entwicklung von Versicherungsprodukten Einfluss haben, gelten als Hersteller und müssen ein Produktgenehmigungsverfahren einrichten. Gelten Vermittler nicht als Hersteller, müssen sie in jedem Fall Produktvertriebsvorkehrungen treffen, erklärt Hans-Ludger Sandkühler.

Ein Artikel von Hans-Ludger Sandkühler

Artikel 25 der Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) sieht für Versicherungsunternehmen und -vermittler, die Versicherungsprodukte zum Verkauf an Kunden konzipieren, ein sogenanntes Produktfreigabeverfahren vor. Im deutschen Recht setzt § 23 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) die Vorgaben der IDD um. Danach sind Versicherungsunternehmen verpflichtet, ein Produktfreigabeverfahren zu unterhalten, die freigegebenen Produkte regelmäßig zu überprüfen und allen Vertreibern sachgerechte Informationen zur Verfügung stellen. Für Versicherungsvermittler gibt es im deutschen Umsetzungsgesetz keine Vorschriften zum Produktfreigabeverfahren.

Zu Artikel 25 IDD hat die Europäische Kommission eine Delegierte Verordnung erlassen. Deren Inhalte sind sowohl für Versicherer wie auch für Versicherungsvermittler verbindlich. Sie legen konkretisierend Kriterien und praktische Einzelheiten für das Produktfreigabeverfahren fest. Die Verordnung gilt unmittelbar (ohne weitere Umsetzung!) in jedem Mitgliedsstaat der EU. Im deutschen Recht ergänzt sie § 23 VAG. Für Versicherungsvermittler führt sie eigenständige neue Rechtspflichten ein.

Wichtig: Versicherungsvermittler, die bei der Konzeption und Entwicklung einzelner Versicherungsprodukte einen entscheidenden Einfluss haben, gelten als Hersteller und müssen ebenfalls ein Produktgenehmigungsverfahren einrichten. Und: Wenn Vermittler nicht als Hersteller gelten, müssen sie in jedem Fall Produktvertriebsvorkehrungen treffen.

Struktur der delegierten Verordnung

In Kapitel I werden Gegenstand und Anwendungsbereich der Verordnung beschrieben. Ferner wird festgelegt, unter welchen Voraussetzungen ein Versicherungsvermittler in Anbetracht seines Einflusses auf die Entscheidungsfindung hinsichtlich der Konzeption und Entwicklung eines bestimmten Versicherungsprodukts als Hersteller anzusehen ist. In Kapitel II wird die zentrale Pflicht der Hersteller begründet, für alle neu entwickelten Versicherungsprodukte sowie für weitreichende Anpassungen bestehender Versicherungsprodukte ein Produktfreigabeverfahren aufrechtzuerhalten, umzusetzen und zu überprüfen. In Kapitel III werden die Anforderungen an Versicherungsvertreiber festgelegt, die Versicherungsprodukte verkaufen, die nicht von ihnen hergestellt wurden.

Versicherungsvermittler als Hersteller

Versicherungsvermittler gelten als Hersteller, wenn eine Gesamtanalyse ihrer Tätigkeiten zeigt, dass sie bei der Konzeption und Entwicklung eines Versicherungsprodukts für den Markt über Entscheidungsbefugnisse verfügen. Dabei wird von einer Entscheidungsbefugnis ausgegangen, wenn Versicherungsvermittler selbstständig die wesentlichen Merkmale und Hauptelemente eines Versicherungsprodukts festlegen, einschließlich Deckung, Preis, Kosten, Risiko, Zielmarkt, Entschädigung und Garantierechten, die von dem Versicherungsunternehmen nicht wesentlich geändert werden und Deckung für das Versicherungsprodukt bieten. Soweit Versicherungsvermittler als Hersteller eingestuft werden, müssen sie die umfänglichen und aufwendigen Lenkungsanforderungen für Hersteller gemäß Kapitel II der Verordnung beachten.

Anforderungen an Versicherungsvermittler – Produktvertriebsvorkehrungen

Versicherungsvermittler sind verpflichtet, sogenannte Produktvertriebsvorkehrungen zu treffen. Diese Produktvertriebsvorkehrungen müssen angemessene Maßnahmen und Verfahren umfassen, um sämtliche sachgerechten Informationen zu den Versicherungsprodukten, die sie ihren Kunden anzubieten beabsichtigen, bei den Herstellern einzuholen und diese Versicherungsprodukte unter Berücksichtigung ihrer Komplexität und des mit ihnen verbundenen Risikos sowie der Art, des Umfangs und der Komplexität des jeweiligen Geschäfts des Vertreibers in vollem Umfang zu verstehen. Versicherungsvermittler müssen die Vorkehrungen für den Produktvertrieb in einem schriftlichen Dokument festhalten und den betreffenden Mitarbeitern zur Verfügung stellen.

Die Produktvertriebsvorkehrungen sollen eine Benachteiligung des Kunden verhindern bzw. mindern, einen ordnungsgemäßen Umgang mit Interessenkonflikten unterstützen und sicherstellen, dass den Zielen, Interessen und Merkmalen der Kunden gebührend Rechnung getragen wird.

Versicherungsvermittler müssen sicherstellen, dass die von ihnen jeweils festgelegte bzw. angewandte Vertriebsstrategie der vom Hersteller aufgestellten Vertriebsstrategie und dem von ihm ermittelten Zielmarkt entspricht. Die für die Konzeption von Versicherungsprodukten zuständigen Stellen des Versicherungsvermittlers sind für die Festsetzung, Umsetzung und Überprüfung der Produktvertriebsvorkehrungen verantwortlich und müssen kontinuierlich die interne Einhaltung dieser Vorkehrungen überprüfen.

Die Versicherungsvermittler müssen ihre Produktvertriebsvorkehrungen regelmäßig einer Überprüfung unterziehen, um sicherzustellen, dass sie noch gültig und aktuell sind. Wenn dies nicht der Fall ist, müssen die Produktvertriebsvorkehrungen angepasst werden. Versicherungsvermittler, die eine spezifische Vertriebsstrategie festgelegt haben oder anwenden, müssen diese je nach Ergebnis der Überprüfung der Produktvertriebsvorkehrungen gegebenenfalls ändern. Im Rahmen der Überprüfung der Produktvertriebsvorkehrungen müssen Versicherungsvermittler auch prüfen, ob die Versicherungsprodukte an den ermittelten Zielmarkt vertrieben werden. Für die regelmäßige Überprüfung ihrer Produktvertriebsvorkehrungen müssen Versicherungsvermittler geeignete Prüfungsintervalle festlegen und dabei die Größe, den Umfang und die Komplexität der jeweiligen Versicherungsprodukte berücksichtigen.

Zur Unterstützung der von den Herstellern durchgeführten Produktprüfungen müssen Versicherungsvermittler den Herstellern auf Verlangen alle relevanten Verkaufs­informationen zur Verfügung stellen. Dazu zählen gegebenenfalls auch Informationen zu den regelmäßigen Überprüfungen der Produktvertriebsvorkehrungen.

Unterrichtung des Herstellers

Wenn ein Versicherungsvermittler erkennt, dass ein Versicherungsprodukt nicht im Einklang mit den Interessen, Zielen und Merkmalen des jeweiligen ermittelten Zielmarkts steht, oder ihm sonstige produktbezogene Umstände bekannt werden, die nachteilige Auswirkungen auf den Kunden haben können, muss er unverzüglich den Hersteller unterrichten und gegebenenfalls seine Vertriebsstrategie für das betreffende Versicherungsprodukt ändern.

Dokumentation

Die von den Versicherungsvermittlern in Bezug auf ihre Produktvertriebsvorkehrungen ergriffenen Maßnahmen müssen hinreichend dokumentiert, zu Prüfungszwecken aufbewahrt und den zuständigen Behörden auf Verlangen zur Verfügung gestellt werden.

Fazit

Die wenigsten Vermittler werden bei der Konzeption und Entwicklung eines Versicherungsproduktes für den Markt über Entscheidungsbefugnisse verfügen, die sie zu Herstellern qualifiziert. Die meisten Vermittler wird es aber überraschen, dass sie umfängliche Produktvertriebsvorkehrungen vorhalten und dokumentieren müssen.

Über den Autor

Hans-Ludger Sandkühler ist aus­gewiesener Experte in Maklerfragen, gefragter Referent und Autor zahlreicher Veröffentlichungen. Außerdem ist er Mitinitiator des Arbeitskreises „Beratungsprozesse“ sowie Geschäftsführer des Instituts für Verbraucherfinanzen.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 03/2022, S. 78 f., und in unserem ePaper.

Bild: © natali_mis - stock.adobe.com