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7. Februar 2025
PKV-Verbandschef: „Eigenvorsorge sollte belohnt werden“
PKV-Verbandschef: „Eigenvorsorge sollte belohnt werden“

PKV-Verbandschef: „Eigenvorsorge sollte belohnt werden“

Immer wieder wird diskutiert, wie die Zukunft der Pflege aussehen soll. Derzeit hat sie mit Finanzierungslücken und Fachkräftemangel zu kämpfen. Der PKV-Verband erklärt, wo die neue Bundesregierung zuerst ansetzen muss, und wie Pflegezusatzversicherungen einen Beitrag zur Reformierung des Systems leisten können.

Interview mit Dr. Florian Reuther, Direktor des Verbands der Privaten Krankenversicherung e. V.
Herr Dr. Reuther, die Pflegeversicherung in Deutschland ist in der Schwebe. Vor einigen Monaten wurde von einer potenziellen finanziellen Pleite berichtet. Doch mit dem Aus der Ampel-Regierung steht die von Karl Lauterbach angekündigte Finanzierungsreform vor dem Nichts. Wie sehen Sie die derzeitige Situation?

Mit Blick auf die massiven Herausforderungen im Bereich der Pflege müssen wir von vier weitgehend verlorenen Jahren reden. Die umlagefinanzierte soziale Pflegeversicherung stößt im demografischen Wandel an ihre Grenzen. Mit der Alterung unserer Bevölkerung gehen dem klassischen Generationenvertrag, wonach die Versorgung der Älteren maßgeblich aus den Beiträgen der Erwerbstätigen finanziert wird, seine demografischen Voraussetzungen verloren. Besonders in der Pflege besteht die Gefahr, dass der Beitragssatz aus dem Ruder läuft. Wenn wir die Umlagefinanzierung jetzt nicht reformieren, wird sich die Beitragslast der gesetzlich Versicherten in den kommenden 20 Jahren zwangsläufig fast vervierfachen. Eine Reform der Finanzierung ist unumgänglich, um eine Verdoppelung oder gar Vervierfachung der Beiträge für die gesetzlich Versicherten in den kommenden 20 Jahren zu verhindern. Sie ist aber auch möglich. Andernfalls droht Deutschland als Wirtschaftsstandort geschwächt zu werden, während die Jüngeren unverhältnismäßig belastet werden. Die neue Bundesregierung muss nach der Bundestagswahl umgehend eine generationen­gerechte Pflegereform auf den Weg bringen.

Neben der finanziellen Situation hat die Pflege mit dem Fachkräftemangel auch noch ein weiteres großes Problem. Bei welchem Thema sehen Sie hier mehr Dringlichkeit? Wo soll dem PKV-Verband nach eine neue Regierung zuerst anpacken?

Zum Jahresende 2023 bezogen 5,6 Millionen Menschen Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung, fast doppelt so viele wie noch 2015. Der Bedarf an professioneller Pflege, ob zu Hause oder im Heim, ist immens. Schon heute sind offene Stellen unbesetzt. Bis 2030 werden in Pflegeheimen und in der ambulanten Versorgung bundesweit voraussichtlich 130.000 Pflegekräfte zusätzlich benötigt.

Gleichzeitig verzeichnet die Pflegeversicherung seit Jahren einen starken Anstieg bei den Leistungsausgaben mit entsprechenden Belastungen für die Beitragszahler. Hinzu kommt, dass auch die sogenannte „Pflegelücke“ Jahr für Jahr steigt: Inzwischen beträgt der durchschnittliche Eigenanteil bei den Pflegeheimkosten über 2.800 Euro. Die neue Bundesregierung hat keine Wahl, sie wird sich sowohl um Lösungen für den Fachkräftemangel als auch um eine nachhaltige Finanzreform kümmern müssen. Die private Krankenversicherung hat dafür konkrete und bezahlbare Konzepte vorgestellt, die mithilfe kapitalgedeckter Vorsorge mehr Stabilität in die Pflege bringen würden.

Eine Studie im Auftrag des PKV-Verbandes hat ergeben, dass sich eine Mehrheit der Rentnerhaushalte aus ihrem Einkommen und Vermögen mehrere Jahre lang einen Platz im Pflegeheim aus eigener Tasche leisten kann. Wie sollte das Ihrer Meinung nach den politischen Diskurs in der Reform der Pflegeversicherung informieren?

Die Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft kommt zu einem erfreulichen Ergebnis: Über 70% der Haushalte in Deutschland können die Pflegekosten im Alter über mehrere Jahre eigenverantwortlich tragen, trotz der stark steigenden Eigenanteile. Diese Tatsache zeigt, dass die soziale Pflegeversicherung ihren Zweck erreichen kann. Sie sollte von der Politik genutzt werden, um die Pflegeversicherung auf ein generationengerechtes Fundament zu stellen und die Leistungen auf ihre Zielgenauigkeit hin zu überprüfen. Die Diskussion über eine Deckelung der Eigenanteile oder gar eine Pflegevollversicherung ist weder zielführend noch finanzierbar. Die Finanzierung weiterer Leistungsausweitungen würde zu einer zusätzlichen Belastung der Beitrags- und Steuerzahler sowie insbesondere der jüngeren Generationen führen.

Die Beiträge in der PKV sind zum Jahresanfang gestiegen. Was bedeutet das für Beiträge in der privaten Pflegepflichtversicherung?

Im Gegensatz zur sozialen Pflegeversicherung ist zum 01.01.2025 keine Beitragsanpassung für die Versicherten in der privaten Pflegepflichtversicherung vorgesehen. Das kapitalgedeckte Finanzierungssystem der privaten Pflegeversicherung ist demografiefest und funktioniert. Jede Generation von Versicherten sorgt durch die Bildung von Alterungsrückstellungen für ihr mit dem Alter steigendes eigenes Pflegerisiko vor. Dies führt zu einer Stabilisierung der Beiträge zur privaten Pflegeversicherung im Alter und macht die Privatversicherten von der sich ändernden Altersstruktur der Bevölkerung weitgehend unabhängig.

Die gesetzliche Pflegeversicherung steckt ganz offensichtlich in der Krise, Zusatzversicherungen spielen aber trotz allem nur eine untergeordnete Rolle. Warum ist das so?

Derzeit gibt es in Deutschland etwa 4,2 Millionen Pflegezusatzversicherungen. Eine wesentliche Ursache für den zuletzt geringen Zuwachs liegt im politischen Erwartungsmanagement. Seit Jahren werden kontinuierlich mehr Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung in Aussicht gestellt, sodass die Menschen den Eindruck gewinnen, dass Eigenvorsorge nicht mehr erforderlich sei. Doch dieses Sicherheitsgefühl trügt: Der Gesetzgeber hat die gesetzliche Pflegeversicherung als „Teilkaskoversicherung“ konzipiert. Eine zusätzliche private Vorsorge für den Pflegefall ist daher in den meisten Fällen sinnvoll und notwendig.

Ein weiterer Aspekt sind die Kosten. Umfragen zeigen, dass nur wenige Menschen die Möglichkeiten der Pflegevorsorge über Pflegezusatzversicherungen prüfen, weil sie davon ausgehen, dass die dafür notwendigen Beiträge sie finanziell überfordern könnten. Der rechtzeitige Abschluss einer privaten Pflegezusatzversicherung ermöglicht die Absicherung der Pflegelücke zu niedrigeren Prämien als gemeinhin angenommen.

Könnte eine betriebliche Pflegeversicherung Abhilfe schaffen?

Die betriebliche Pflegeversicherung (bPV) ist ein effektives Instrument, um die Pflegeversorgung generationengerecht abzusichern, und bietet dabei Vorteile für alle Beteiligten. Es handelt sich um eine freiwillige Sozialleistung, die Unternehmen ihren Mitarbeitern zusätzlich zum Gehalt anbieten. Damit können weitaus mehr Menschen gegen das Pflegerisiko abgesichert werden, als dies mit individuellen Zusatzversicherungen allein möglich ist.

Das enorme Potenzial der bPV für unsere alternde Gesellschaft zeigt die Vereinbarung zwischen dem Bundes-Arbeitgeberverband Chemie (BAVC) und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). Die Sozialpartner haben 2021 die arbeitgeberfinanzierte tarifliche Pflegezusatzversicherung „CareFlex Chemie“ gestartet. Bereits in den ersten vier Monaten wurden 430.000 Beschäf­tigte gegen das Pflegerisiko abgesichert.

Warum ist die bPV kein größeres Thema unter Arbeitgebern? Liegt es an den Arbeitgebern selbst oder eher an den Produkten oder am Vertrieb?

Die betriebliche Pflegeversicherung ist ein noch junges Geschäftsfeld. Eine eigenständige steuerliche Förderung für die tarifvertraglich vereinbarten sowie für die freiwilligen Beiträge des Arbeitgebers zur betrieblichen Pflegeversicherung ist derzeit nicht vorgesehen. Um die wichtige Vorsorge für den Pflegefall breiter in der Gesellschaft zu verankern, sollten die Beiträge für eine betriebliche Pflegeversicherung steuer- und sozialabgabenfrei gestellt werden. Eigenvorsorge durch private Pflegezusatzversicherungen sollte belohnt werden.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 02/2025 und in unserem ePaper.

Bild: © PKV-Verband

 
Ein Interview mit
Dr. Florian Reuther