Mehrere Sozialverbände und Gewerkschaften haben sich kürzlich für eine Pflegevollversicherung ausgesprochen. Der Vorstoß ist wenig überraschend, denn die Eigenanteile für die stationäre Pflege steigen kontinuierlich an. Laut einer Auswertung des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek) vom Juli 2023 müssen Pflegebedürftige im ersten Aufenthaltsjahr im Pflegeheim Eigenanteile von monatlich 2.548 Euro aufbringen (AssCompact berichtete). Weitere Anstiege sind zu erwarten.
Eine forsa-Meinungsumfrage im Auftrag des Paritätischen Gesamtverbandes hat jüngst ergeben, dass eine große Mehrheit der Befragten (81%) nicht glaubt, im Falle einer Pflegebedürftigkeit den derzeit benötigten Eigenanteil selbst bezahlen zu können. Gleichzeitig werden die Kosten, die für die Unterbringung in einem Pflegeheim anfallen, von 76% der Befragten weit unterschätzt.
Pflegevollversicherung durch Zusammenlegung privater und gesetzlicher Pflegeversicherung
Angesichts dieser Zahlen hat ein Bündnis aus Sozialverbänden und Gewerkschaften die Einführung einer Pflegevollversicherung gefordert. Die Eigenanteile in der Pflege hätten inzwischen eine Größenordnung erreicht, die sie zu einem echten Armutsrisiko mache, kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, vergangene Woche während einer Pressekonferenz in Berlin. „Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung die Pflegeversicherung aus der Sackgasse holt und den Menschen mit einer Pflegevollversicherung Sicherheit gibt“, so Schneider. Finanziert werden soll der Vorschlag durch die Zusammenlegung von privater und gesetzlicher Pflegeversicherung – also eine sogenannte Bürgerversicherung.
PKV-Verband: Vollversicherung wird jüngere Generation völlig überlasten
Kritik zu dem Vorschlag kommt vom Verband der Privaten Krankenversicherung e. V. (PKV-Verband): Der Verband sieht in einer Vollversicherung keine passende Lösung für das Finanzierungsproblem der Pflege und liefert einige Gegenargumente. So ließen die Forderungen der Vollversicherung das Kernproblem der Pflege außer Acht: das Umlageverfahren der gesetzlichen Pflegeversicherung. Das derzeitige, unstabile System auf noch weitere Versicherte auszuweiten – während immer weniger Menschen Beiträge zahlen – würde die jüngere Generation völlig überlasten, so der Verband.
„Vollversicherung“ erweckt falschen Eindruck bei Bevölkerung
Auch wäre eine Pflegevollversicherung schon für sich genommen nicht zielführend. Dafür nennt der Verband mehrere Gründe: Durch eine Pflegeversicherung würde der Anreiz für die Eigenvorsorge verloren gehen – denn eine sogenannte „Vollversicherung“ erweckt bei der Bevölkerung fälschlicherweise den Eindruck, dass alle Kosten abgedeckt werden. Tatsächlich würde sie lediglich die Anteile der pflegebedingten Kosten übernehmen. Die Kosten für Unterkunft und Pflege sowie die Investitionskosten müssten weiterhin selbst bezahlt werden. Diese liegen derzeit bei etwa 1.300 Euro.
Zu teuer und unsolidarisch
Sozialpolitisch erfüllt die bestehende Pflegeversicherung ihren Zweck, argumentiert der Verband weiter: Die allermeisten Pflegebedürftigen können die Kosten für die stationäre Pflege mithilfe der Pflegeversicherung selbst tragen. So sei etwa ein Drittel der Menschen in Pflegeheimen auf Sozialhilfe angewiesen – vor der Einführung der Gesetzlichen Pflegeversicherung waren es noch 80%.
Auch gerecht wäre eine Pflegevollversicherung aus Sicht des PKV nicht, denn Menschen aus der Mittel- und Oberschicht hätten durchaus die Mittel, selbst für ihre Eigenanteile aufzukommen. „Eine Pflegevollversicherung bedeutet massive Zusatzlasten für die Beitragszahler, aber keine gezielte Hilfe für ärmere Pflegebedürftige“, kritisiert PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther. „Stattdessen erhält die vermögendste Rentnergeneration aller Zeiten zusätzliche Leistungen aus der Gießkanne, obwohl die meisten in Eigenverantwortung für ihre Pflegekosten selbst vorsorgen können.“
Zudem sprächen die hohen Kosten – etwa 6 Mrd. Euro allein im Jahr der Einführung – und ein weiterer Anstieg des bereits zum 1. Juli dieses Jahres angehobenen Beitragssatzes gegen die Forderung. Eine erneute Beitragserhöhung würde zu einer deutlichen Überschreitung der 40%-Marke der Sozialabgabenquote führen. Die 40%-Marke gilt als fiktive „Belastungsobergrenze“ für die Höhe der Sozialabgaben. Erst kürzlich hatte Unionsfraktionsvize Jens Spahn gefordert, die Marke als Obergrenze im Grundgesetz zu verankern.
PKV wirbt für vorliegende Konzepte
Doch nun wohin mit der Pflege? Zumindest dabei, dass etwas passieren muss, um die immer weiter steigenden Kosten einzudämmen, scheinen sich alle Parteien einig zu sein. Laut dem PKV-Verband liegen die Lösungen bereits auf dem Tisch: etwa mit dem vom PKV selbst vorgestellten „neuen“ Generationenvertrag für die Pflege“ oder der Pflege+ Versicherung, die ein vom PKV-Verband einberufener, unabhängigen Expertenrat rund um den Gesundheitsökonom Prof. Dr. Jürgen Wasem vorgeschlagen hat (AssCompact berichtete hier und hier).
Für diejenigen, die über die gesetzliche Absicherung hinaus nicht auf private Einkünfte oder Vermögen zurückgreifen wollen, gebe es zudem jederzeit die Möglichkeit des Abschlusses einer Pflegezusatzversicherung, so der PKV. (js)
Bild: © New Africa – stock.adobe.com
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