Die gesetzliche Pflegeversicherung hat 2022 große Verluste verbucht. Bei 2,2 Mrd. Euro lag letztes Jahr das verbuchte Defizit (AssCompact berichtete). Gleichzeitig werden immer mehr Menschen pflegebedürftig und die Kosten steigen. Die Ampel-Koalition will bei der problematischen Lage für alle Beteiligten Abhilfe schaffen.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat nun einen Gesetzentwurf verfasst, in dem er verlauten lässt, die Beiträge der sozialen Pflegeversicherung erhöhen zu wollen – und zwar zum 01.07.2023. Ab 2024 ist dann eine Erhöhung des Pflegegeldes geplant. Ursprünglich hatte das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), dem Lauterbachs Entwurf vorliegt, über die Pläne berichtet.
Pflegeversicherungsbeiträge sollen erhöht werden
Konkret sollen die Beiträge zum Start der zweiten Jahreshälfte um 0,35 Prozentpunkte steigen – „zur Sicherung der finanziellen Stabilität der sozialen Pflegeversicherung im Sinne einer Absicherung bestehender Leistungsansprüche und im Rahmen dieser Reform vorgesehener Leistungsanpassungen“, zitiert das RND das Papier. Aktuell liegen die Beiträge bei 3,05% des Bruttoeinkommens – für Kinderlose bei 3,4%.
Als Hintergrund für die Pläne nennt das Gesundheitsministerium die demografische Entwicklung, höhere Ausgaben für die Eigenanteilsreduzierung in der Pflege und hohe Kosten wegen Pandemiemehraufwendungen. Es sei „unumgänglich“, dass die Einnahmen in der Pflegeversicherung verbessert werden. Es solle sichergestellt werden, dass die Pflegeversicherung auch weiterhin Pflegebedürftige und Pflegepersonen, insbesondere pflegende Angehörige, wirksam unterstützen könne.
Pflegegelderhöhung 2024
Um die häusliche Pflege zu stärken, will Lauterbach außerdem zum 01.01.2024 das Pflegegeld um 5% erhöhen, ebenso die Pflegesachleistungen, die von Betroffenen je nach Pflegegrad beantragt werden können. Laut Ministerium soll dem „Trend zu steigenden Eigenanteilen“ noch stärker entgegengewirkt werden. Bei den Leistungszuschlägen zur Reduzierung der von den Pflegebedürftigen zu tragenden Eigenanteile in der vollstationären pflegerischen Versorgung ist eine Erhöhung von fünf bis zehn Prozentpunkten angedacht – ebenfalls ab dem 01.01.2024.
Entlastungen für Familien
Im April 2022 nahm das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung in die Pflicht, etwas gegen die Benachteiligung von größeren Familien bei der Pflegeversicherung zu tun (AssCompact berichtete). Die Ampel muss dieses Urteil bis zum 31.07.2023 umsetzen und somit den Erziehungsaufwand von Eltern berücksichtigen. Geplant ist in dem Entwurf laut RND eine Erhöhung des Kinderlosenzuschlags von 0,35 Beitragssatzpunkten auf 0,6 Beitragssatzpunkte. Weiterhin sollen Mitglieder mit mehreren Kindern ab dem zweiten Kind bis zum fünften Kind in Höhe von 0,15 Beitragssatzpunkten pro Kind entlastet werden. Ab dem fünften Kind gibt es eine gleichbleibende Entlastung in Höhe eines Abschlags von 0,6 Beitragssatzpunkten.
Bei kinderlosen Beitragszahlern liegt der Beitrag dann schlussendlich bei 4% des Bruttoeinkommens, der sich aus den +0,25% durch den erhöhten Kinderlosenzuschlag und den +0,35% der grundsätzlichen Beitragserhöhung ergibt.
„Dynamisierung der Geld- und Sachleistungen“
Längerfristig plant das Ministerium zum 01.01.2025 und 01.01.2028 eine „automatische Dynamisierung der Geld- und Sachleistungen in Anlehnung an die Preisentwicklung“, heißt es im Entwurf dem RND zufolge. Dafür sollen noch in dieser Legislaturperiode Vorschläge erarbeitet werden.
Steuermilliarden für die Pflege
Bereits im Vorfeld zu dem Gesetzentwurf entsandten die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen sowie die großen Sozialverbände einen Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP). Dieser Brandbrief liege nach eigenen Angaben ebenfalls dem RND vor.
Darin fordern sie angesichts der aktuellen finanziellen Lage, die Defizite in der Pflegeversicherung rasch auszugleichen – und zwar durch Steuermittel in Milliardenhöhe. Die Sicherung der Liquidität dürfe nicht ausschließlich zulasten der Beitragszahlenden erfolgen. Für das laufende Jahr erwarten die Verbände ein weiteres Defizit von 3 Mrd. Euro. Hauptsächlich dafür verantwortlich seien die wachsende Zahl an Pflegebedürftigen und die steigenden Ausgaben u. a. durch die gesetzlich vorgeschriebene Bezahlung der Pflegekräfte nach Tarif. Und: Die Mehrkosten durch die Corona-Pandemie in Höhe von 5,5 Mrd. Euro seien vom Bund immer noch nicht erstattet worden.
SPD-Fraktion fordert Steuermilliarden
Rufe nach den Steuermilliarden kommen auch aus der Bundestagsfraktion von Lauterbachs eigener Partei. Laut Fraktionsvize Dagmar Schmidt sei der Entwurf ein „erster, sinnvoller Aufschlag, der jetzt eingehend innerhalb der Bundesregierung und anschließend im Parlament beraten wird“, so die Politikerin beim RND. Das Schreiben der Sozialverbände und Kranken- und Pflegekassen nehme man ihren Angaben zufolge „sehr ernst, wir teilen viele Anliegen und werden sie in unseren Beratungen berücksichtigen“.
Im Koalitionsvertrag, auf den Schmidt dem RND gegenüber verweist, wird zwar eine Steuerfinanzierung der Rentenbeiträge für pflegende Angehörige sowie die pandemiebedingten Zusatzkosten der Pflegeversicherung angekündigt – Finanzminister Lindner lehnt es laut RND aber bisher ab, Haushaltsmittel für die Pflege bereitzustellen. Genau an dieser Stelle könnte es auch bald Streit bei der Ampel geben. Grünen-Fraktionsvorsitzende Maria Klein-Schmeink findet dem RND gegenüber, dass bei Lauterbachs Gesetzentwurf nachgebessert werden müsse. Es wäre „richtig und erforderlich“, der Pflegeversicherung die Ausgaben für versicherungsfremde Leistungen wie pandemiebedingte Kosten zurückzuerstatten – so wie im Koalitionsvertrag vereinbart. Gleichzeitig vermisst Klein-Schmeink die Kompromissbereitschaft bei Christian Lindner: „Wir sehen den Finanzminister in der Pflicht, dieser Vereinbarung mindestens schrittweise gerecht zu werden. Das würde diesen deutlichen Beitragssprung bei der Pflegeversicherung vermeiden.“
„Koalition der Vernünftigen“
Kein einziges gutes Haar am Gesundheitsminister lässt Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. In den letzten fünf Jahren habe es eine Kostenexplosion um 40% bei der ambulanten und stationären Altenpflege gegeben. Dem RND sagte er: „Doch anstatt sofort zu handeln, will der Bundesgesundheitsminister wieder ein weiteres Jahr verstreichen lassen. Erst dann sollen die Hilfsbedürftigen mit einem Plus von 5% abgespeist werden."
Lauterbach zeige damit seine Ignoranz gegenüber der Not alter Menschen, wie er es deutlicher kaum könnte. Die Hilfsbedürftigen hätten sofort 300 Euro monatlich mehr zu bekommen. Außerdem müsse die Pflegeleistung ab Juni an die Preisentwicklung angepasst werden. Es werde endlich eine „Koalition der Vernünftigen zum Schutz der Pflegebedürftigen“ benötigt.
PKV-Verbandschef: „Pflegeversicherung erfüllt weiterhin ihren Auftrag“
Florian Reuther, der Direktor des Verbandes der Privaten Krankenversicherungen (PKV), sieht in einer Pressemitteilung die Forderungen nach einer Leistungsausweitung der gesetzlichen Pflegeversicherung dagegen kritisch. Dass die Eigenanteile der Pflegekosten immer mehr Sozialfälle auslösen würden, stimme nicht. Vor der Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung seien über 80% der Heimbewohner von Sozialhilfe abhängig gewesen. Durch die Pflegeversicherung sei dieser Anteil erheblich reduziert worden – auf unter ein Drittel. Die Pflegeversicherung erfülle weiterhin erfolgreich ihren sozialpolitischen Auftrag, so Reuther.
Es sei daher „fatal“, diese funktionierende Absicherung schlecht zu reden „allein in der Absicht, massive Leistungsausweitungen der Pflegeversicherung zu fordern“. Solche Reformideen seien eine „unbezahlbare Sozialpolitik mit der Gießkanne“, die auf Kosten von Beitrags- und Steuerzahlern und – durch die von manchen Politikern angestrebte Steuerfinanzierung der Pflegeversicherung – vor allem auf Kosten der Jüngeren gehe. Deutschland brauche einen Neustart in der Pflegefinanzierung: „nachhaltig und generationengerecht. Dazu gehört der Ausbau der privaten und betrieblichen Pflegevorsorge, der auch zu bezahlbaren Kosten möglich ist“, sagt Reuther. (mki)
Bild: © Andrei Korzhyts – stock.adobe.com
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