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20. September 2022
Nachhaltigkeit forcieren, Bewusstsein dafür schaffen
Nachhaltigkeit forcieren, Bewusstsein dafür schaffen

Nachhaltigkeit forcieren, Bewusstsein dafür schaffen

Von der Nachhaltigkeitswende wird zunehmend auch der Immobiliensektor beeinflusst. Doch welche Bedeutung besitzt Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft und welchen Stellenwert nimmt eine nachhaltige Immobilie bei Kundinnen und Kunden ein?

Interview mit Jeanette Kuhnert, Immobilienmaklerin und geschäftsführende Gesellschafterin bei Wittlinger & Co.
Frau Kuhnert, welche Bedeutung besitzt Nachhaltigkeit auf dem Immobilienmarkt?

Immobilien sind eine wichtige Säule der Nachhaltigkeitswende, denn was ist nachhaltiger als eine Immobilie, die Menschen langfristig ein Zuhause bietet? Die Bedeutung der Nachhaltigkeitswende auf dem Immobilienmarkt ist bereits recht hoch. Insbesondere auf Basis der politischen Entwicklungen der letzten Jahre – vor allem der Regulierung im Energiebereich – ist Nachhaltigkeit nicht nur für uns, sondern für alle Marktakteure sehr wichtig geworden. Wir beschäftigen uns in allen Segmenten der Gewerbe- und Investmentimmobilien sehr vielschichtig mit diesem Themenkomplex.

Können Sie diese Vielfalt des Themenkomplexes bitte konkretisieren?

Als Immobilienmakler betreuen wir unter anderem Kunden aus der Bauwirtschaft. Diese Branche muss die energiebezogenen Verordnungen direkt umsetzen. Da gibt es bereits beim Gebäudeentwurf und -bau viele Berührungspunkte mit Nachhaltigkeit. Im Transaktions­geschäft – also Vermietung und Verkauf von Objekten – wiederum betrachten wir Gebäude auch aus Sicht ihrer Abhängigkeit von Energieversorgern. Und natürlich die Binnenperspektive: Wie positionieren wir uns als Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit?

Sie sprachen bereits die energiebezogene Regulierung im Gebäudesektor an. Welche Verordnungen spielen dabei eine wichtige Rolle?

In diesem Bereich gibt es eine Vielzahl an Verordnungen, nicht nur auf Bundes-, sondern vermehrt auch auf Länderebene. Vergleichsweise bedeutend ist die Energie­einsparverordnung (EnEV). Parallel dazu beeinflussen die unterschiedlichen Förderprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) unsere Tätigkeit: Welche Neubaustandards werden zum Beispiel in Bezug auf Dämmungsdicken eingehalten, welche Energieträger werden geplant etc.

Spielen denn auch nicht-ökologische Aspekte bei der Nachhaltigkeitsbetrachtung einer Immobilie eine Rolle?

Ja, klar. Nachhaltigkeit sollte keinesfalls nur auf ökologische Aspekte verengt werden. Gerade was Barrierearmut durch Einbau breiter Türen oder einer bodentiefen Dusche angeht, können Immobilien zum sozialen Aspekt von Nachhaltigkeit beitragen. Und beim ökologischen Aspekt geht es nicht nur um Energie und Dämmung. Auch die Anbringung von Gründächern oder Nistnischen für Vögel oder Fledermäuse gewinnt an Bedeutung.

Wenden wir den Blick auf das Vermittlungsgeschäft von Immobilien. Welchen Stellenwert hat eine nachhaltige Immobilie bei Ihren Kundinnen und Kunden?

Im Investmentgeschäft ist dieser Stellenwert sehr hoch. Institutionelle (zum Teil BaFin-regulierte) Investoren wie Fonds äußern mittlerweile die Vorgabe, dass nur noch eine ESG-zertifizierte Immobilie angekauft werden darf. Wenn dann das entsprechende Zertifikat nicht vorliegt, muss die Immobilie für die Transaktion entsprechend teuer nachzertifiziert werden, sonst kommt der Ankauf in der Regel nicht zustande. Bei kleineren Investoren wie Family Offices ist ein ESG-Zertifikat hingegen eher „nice to have“. Tendenziell verzichten diese Investoren auf eine ESG-Zertifizierung und stecken stattdessen die 80.000 Euro, die eine ESG-Zertifizierung kosten würde, in die Immobilie, um sie nachhaltig zu gestalten.

Können Sie mir bitte diese Zertifikatlandschaft im ESG-Bereich kurz erläutern?

Hier existieren drei vergleichsweise bedeutende Zertifizierungssysteme: das der DGNB (Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen), das BREEAM (Building Reserach Establishment Environmental Assessment Method) und das LEED (Leadership in Energy and Environmental Design). Mitunter sind diese Zertifizierungen recht kleinteilig und detailliert, da das Monitoring im Optimalfall früh – bereits mit Protokollierungen während der Bauphase – beginnt. Daher: Viele möchten das Zertifikat besitzen, aber nur wenige möchten den Zertifizierungsprozess durchlaufen.

Nichtsdestotrotz ist die energetische Sanierung eines Gebäudes ein mitunter kostspieliges Vorhaben. Auch so manche Folgeeffekte sind beim Erwerb nicht absehbar. Wie reagieren darauf Ihre Kundinnen und Kunden?

Wir haben in der Vermittlung mittlerweile Kundinnen und Kunden, die von bestimmten Immobilien Abstand nehmen, weil sie nicht überblicken können, was da an energetischem Sanierungsaufwand auf sie zukommt. Bei Gebäuden, die unter Denkmalschutz stehen und bei denen beispielsweise die Fassade schützenswert ist, ist es mit dem Fensteraustausch nicht getan, sondern es entstehen auch noch weitere Verpflichtungen – und damit auch Kosten. Gerade bei alten Gebäuden entstehen durch den Austausch von Fenstern, ohne dass auch eine Dämmung angebracht wird, mehr Probleme als Vorteile.

Die Nachhaltigkeitswende ist auch ein konfliktbeladener Pfad. Wo knirscht es denn im Immobilienbereich?

Auf Länderebene setzt sich vermehrt die Auffassung durch, dass alle Neubauten eine Photovoltaikanlage anbringen müssen, um regenerative Energie zu erzeugen. Gleichzeitig sind viele institutionelle Investoren und insbesondere Wohnungsgesellschaften, die ausschließlich eigenen Grundbesitz verwalten, von der Gewerbesteuer befreit. Verkaufen diese Gebäudeeigentümer nun aber Strom an ihre Mieterinnen und Mieter, werden sie gewerbesteuerpflichtig. Der Gebäude­eigentümer müsste also die Dachflächen an einen Dritten vermieten, der den Stromverkauf, die Instandhaltung und die Wartung übernimmt. Doch dieses Unterfangen bindet Ressourcen und ist nicht nur rechtlich kompliziert, sondern erhöht auch die Betriebskosten.

Ich glaube dennoch, dass wir mit diesen Widersprüchen werden leben müssen. Sie entbinden uns nämlich nicht von der Pflicht zu versuchen, das bestmögliche Ergebnis im Sinne der Nachhaltigkeit zu erzielen.

Und wie können Sie als Immobilienmaklerin in dieser Gemengelage die Nachhaltigkeitswende forcieren?

Immobilienmakler sind Berater für Verkäufer, Projektentwickler und Eigentümer. Wir können Nachhaltigkeit forcieren, indem wir ein Bewusstsein dafür schaffen. Wir können im Hinblick auf nachhaltige Nutzungsarten oder auf nachhaltige Bauweisen beraten und wir kennen die Best-Practice-Beispiele. Immobilienmakler sind zudem stark in der Immobilienwirtschaft vernetzt, wodurch wir gerade beim Thema Nachhaltigkeit viel voneinander lernen können.

Über Wittlinger & Co.

Seit Oktober 2020 leiten Jeanette Kuhnert und Lisa-Marie Wittlinger die Wittlinger & Compagnie GmbH & Co. KG, kurz Wittlinger & Co. Das Unternehmen berät Kundinnen und Kunden im Verkauf und in der Vermietung von Gewerbe- und Investmentimmobilien. Jeanette Kuhnert ist seit 2014 als Maklerin für Gewerbeimmobilien tätig und hat Vermietungen und Verkäufe mit unterschiedlichsten Nutzungsarten betreut.

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 09/2022, S. 72 f., und in unserem ePaper.

Das Interview führte Dr. Alexander Ströhl, AssCompact

Bild: Jeanette Kuhnert, Wittlinger & Co.

 
Ein Interview mit
Jeanette Kuhnert