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28. April 2022
Nachhaltigkeit: Abfragepflicht sorgt bei Vermittlern für Unsicherheit
Nachhaltigkeit: Abfragepflicht sorgt bei Vermittlern für Unsicherheit

Nachhaltigkeit: Abfragepflicht sorgt bei Vermittlern für Unsicherheit

Angesichts der Abfragepflicht von Nachhaltigkeitspräferenzen im Vermittlungsgeschäft ab August 2022 haben sich BVK und GSN nach dem Status quo unter Vermittlern erkundigt. Ergebnis: Der Themenkomplex Nachhaltigkeit stößt auf großes Interesse, es herrschen aber große Informationsdefizite.

Mit der Ergänzung der Vertriebsrichtlinie IDD und der zweiten europäischen Finanzmarktrichtlinie MiFID II ergeben sich beim Themenkomplex Nachhaltigkeit neue Beratungspflichten im Vermittlungsgeschäft. Vermittler müssen dann die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden abfragen sowie zum Thema nachhaltige Versicherungs- und Finanzanlageprodukte beraten. Die neue Beratungspflicht soll nach dem Willen der EU-Kommission ab August 2022 gelten, auch wenn branchenintern bereits über eine Verschiebung der aufsichtsrechtlichen Kontrolle der Abfragepflicht auf den Jahresbeginn 2023 spekuliert wird. Um sich über den Status quo im Vermittlungsgeschäft zu erkundigen, hat der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute e.V. (BVK) gemeinsam mit dem German Sustainability Network (GSN) – eine Brancheninitiative der Versicherungswirtschaft rund um das Thema Nachhaltigkeit – die Vermittler nach ihrem persönlichen Interesse, ihrer Beschäftigung sowie ihren Sorgen befragt. An der Online-Umfrage nahmen rund 300 Vermittler teil, davon 83% reine Ausschließlichkeit, 12% ungebundene Vermittler und 5% Finanzanlagenvermittler.

Persönliches Interesse am Themenkomplex

Für eine Umsetzung der Abfragepflichten ist ein persönliches und glaubhaftes Interesse am Thema Nachhaltigkeit gegenüber dem Kunden ein überzeugendes Ansprachemotiv. Und auf die Frage nach ihrem persönlichen Interesse am Themenkomplex Nachhaltigkeit gaben etwas mehr als 75% der Befragten an, dass sie aus voller Überzeugung daran interessiert seien – eine gute Voraussetzung für die Abfrage der Präferenzen. Weitere 73% nähern sich dem Thema mit Neugier. Allerdings gaben auch knapp 35% zu erkennen, dass sie sich gezwungen fühlen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Berufliche Beschäftigung

Bei der Frage nach den Themen, die die Vermittler gegenwärtig am meisten im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit beschäftigen, tut sich dann doch eine kleine Überraschung auf. Vor allem die Themen „Gute Unternehmensführung“, „Gesellschaftlicher Wandel“ und „Soziale Fragen“ sind diejenigen, mit denen sich die Befragten im Beruf am häufigsten beschäftigen. Mit Nachhaltigkeit üblicherweise in Verbindung stehende Themen wie „Umweltpolitik“ oder „Klimawandel“ erlangen hingegen nur mittlere Werte. Die Entwicklung eines eigenen nachhaltigen Geschäftsmodells oder einer eigenen ESG-Geschäftsstrategie spielt im Berufsgeschehen nur eine untergeordnete Rolle. Demnach wird der Umstellung auf einen rein nachhaltigen Vermittlerbetrieb derzeit lediglich eine geringe Priorität eingeräumt.

Strategie und Zielgruppenansprache

Die Umsetzung des Themenkomplexes ins operative Geschäft erscheint schwierig: 62% der Befragten gaben an, dass sie keine Selektion nachhaltigkeitsaffiner Zielgruppen vornehmen. Allerdings bietet gerade eine verfeinerte Zielgruppenansprache in der Vermittlung nachhaltiger Versicherungslösungen einen entscheidenden Vorteil bei der Realisierung von Geschäftspotenzial. Gelten doch vor allem jüngere und gebildete Menschen als nachhaltigkeitsaffin. Insgesamt ist auch der Anteil der Vermittler, die ihre Kunden aktiv auf Nachhaltigkeitsthemen ansprechen, nur unwesentlich höher als der Anteil derjenigen, die nur auf Anfrage mit den Kunden über Nachhaltigkeitsthemen sprechen. So gab ein Drittel der Befragten an, dass sie in den letzten zwölf Monaten Kunden noch nie aktiv auf Nachhaltigkeitsaspekte angesprochen haben. Immerhin ein Viertel hat zwischen einem und zehn Gespräche innerhalb eines Jahres über Nachhaltigkeitsaspekte geführt, knapp 15% sogar mehr als 50.

Informationsdefizite sorgen für Unsicherheit

Möglicherweise liegt die Vernachlässigung der Zielgruppenselektion aber auch an den vorherrschenden großen Unsicherheiten bei dem Themenkomplex Nachhaltigkeit. So fühlen sich knapp 71% der Befragten gar nicht oder wenig informiert, was Vorgaben zu Inhalt, Ablauf und Dokumentation des Beratungsprozesses betrifft. Lediglich rund 4% der Umfrageteilnehmer fühlen sich hingegen vollständig informiert. Ähnlich große Informationsdefizite existieren bei der Beurteilung der Nachhaltigkeitsaussagen zu einzelnen Produkten. Beides – Informationsdefizite beim Beratungsprozess sowie bei der Qualität der Produkte – erzeugt Unsicherheiten und beeinträchtigt die Auseinandersetzung im Alltag des Vermittlungsgeschäfts. Deshalb schlussfolgert BVK-Präsident Michael H. Heinz: „Die Umfrage zeigt, dass noch viel zu tun ist, bis die Umsetzungsfähigkeit sichergestellt ist. Gelingt es, den Blick auf die aus der Nachhaltigkeit resultierenden Chancen für die Vermittlerbetriebe zu schärfen, wäre mehr gewonnen, als jede weitere Regulierung bewirken könnte.“

Abhilfe sollen vor allem die Produktgeber schaffen

Hinsichtlich der Wissens- und Informationsdefizite erhoffen sich die Befragten vor allem von den Produktgebern nachhaltiger Versicherungslösungen Abhilfe. Aber auch die Berufsverbände, die Aufsichtsbehörden und die Fachpresse sollten nach Meinung der Umfrageteilnehmer zur Verbesserung des Informationsstandes beitragen. So konstatiert Timo Biskop, GSN-Fokusbereichsleiter für „Beratung & Vertrieb“: „Die aktuelle Blitzumfrage stützt das Bild einer unsicheren Branche, das jedoch nicht überrascht. Da die konkreten Merkmale für den Beratungsprozess noch nicht final sind und auch die Produktzuordnung zu etwaigen Nachhaltigkeitspräferenzen weiterhin mit Unsicherheit behaftet ist, können die Vermittlerbetriebe gar nicht auf zuverlässige Informationen zurückgreifen. Die Versicherungswirtschaft darf dennoch keine Zeit verlieren, Wissensdefizite abzubauen. Das Ziel sollte sein, die Vermittler kurzfristig und soweit es geht aufzuklären, damit die Grundlagenarbeit bereits getan ist, wenn die konkreten Prozesse stehen.“ (as)

Bild: © Vlad Chorniy – stock.adobe.com