Ein Artikel von Andreas Grimm
„Nach meiner Ausbildung und meinen ersten Erfahrungen im Finanzvertrieb habe ich 30 Jahre erfolgreich ein Unternehmen geführt! Und jetzt plötzlich behandelt man mich wie einen Lehrling.“ So beschrieb mir vor einiger Zeit ein Gesprächsteilnehmer seinen Gemütszustand. Er hatte sein Unternehmen verkauft und sich verpflichtet, weitere drei Jahre für die kaufende Unternehmensgruppe tätig zu bleiben. Nicht nur, weil er es so wollte, sondern auch, weil der Käufer großen Wert auf seine Expertise zu legen schien und Zeit gewinnen wollte, um einen geeigneten Geschäftsführer aufzubauen. Über ein Earn-out-Modell wurde die Zusammenarbeit finanziell geregelt. Würde sie gut verlaufen, würde der Kaufpreis nachträglich verbessert, im anderen Fall nicht.
Erlösung vs. Korsett
Viele Makler wählen diesen Ausstieg, um den Kaufpreis zu optimieren, sich vom unternehmerischen Risiko zu trennen oder die Arbeitsbelastung zu reduzieren. Manche auch, weil sie spüren, dass ihnen die Kraft fehlt, das Unternehmen angesichts wachsender Regulatorik, Fachkräftemangel und weiterer Technologisierung auf Kurs zu halten.
Sie alle können sich zudem einen sofortigen Ausstieg nicht vorstellen – sei es aus Freude an der Arbeit, aus finanziellen Gründen oder aus Angst vor der späteren Bedeutungslosigkeit.
Über die Konsequenzen eines Verkaufs an eine Unternehmensgruppe sind sich viele jedoch nicht im Klaren: Jede Gruppe hat ihre eigene Unternehmenskultur – mit bestimmten Umgangsformen, einer mehr oder weniger ausgeprägten Führungskultur, Planungs- und Berichtspflichten, IT-Systemen und standardisierten Prozessen.
Während es für den einen Verkäufer eine absolute Erlösung darstellt, wird dasselbe Umfeld für einen anderen zum Korsett, zur Qual.
Ehrliche Selbstanalyse ist entscheidend
Ist der Kaufvertrag für einen solchen Verkauf einmal unterschrieben, gibt es kein Zurück. Manche empfinden so großen Druck, dass gesundheitliche Probleme entstehen oder zuletzt doch ein vorzeitiger Ausstieg gewählt wird – oft mit empfindlichen finanziellen Einbußen.
Dabei gäbe es viele Hinweise darauf, welcher „Senior“ für den Verkauf in eine Unternehmensgruppe geeignet ist und welcher es eher lassen sollte: Wer in seinem Unternehmen bereits seit Langem Verantwortung intern abgegeben hat, wer sich in Netzwerken wohlfühlt und sich gerne unter Maklerkollegen austauscht, kommt in einer Unternehmensgruppe meist besser zurecht. Wer sein Unternehmen zentralistisch führt, alle Entscheidungen schnell und eigenständig treffen will und Externen möglichst keine Einblicke gewährt, wird sich in einer Unternehmensgruppe vermutlich schwertun. Ebenso wie Makler, die Vorschläge und Impulse von Kollegen als anmaßend empfinden, statt sie als Anregung oder Inspiration aufzugreifen.
Wer sich vor dem Verkauf keiner ehrlichen Selbstanalyse unterzieht, riskiert daher, dass er sich am Ende wieder als kontrollierter und fremdgesteuerter Lehrling fühlt – diesmal in einem System, das nicht veränderbar ist und aus dem ein Ausbruch sehr teuer werden kann.
Über den Autor
Andreas W. Grimm ist Gründer des Resultate Institut und beleuchtet an dieser Stelle regelmäßig Aspekte zur Nachfolgeplanung. Gemeinsam mit AssCompact hat er den Bestandsmarktplatz initiiert.
Diesen Beitrag lesen Sie auch in AssCompact 03/2025 und in unserem ePaper.

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