Die „Krise der Bauindustrie verschärft sich“. So beginnt eine aktuelle Pressemitteilung des Kreditversicherers Atradius. Dieser hat sich bei seinen Kunden aus dem Baugewerbe zur aktuellen Situation und zu den Erwartungen im Rest des Jahres umgehört. Der Tenor ist dabei eindeutig negativ. „Nachdem es die vergangenen zehn Jahre stets bergauf ging, hat sich die Lage für die deutsche Baubranche in den letzten Monaten erheblich verschlechtert. Der Wohnungsbau verzeichnet Auftragsrückgänge in Höhe von 30% – und eine Entspannung der Situation ist kurzfristig nicht erkennbar“, sagt Frank Liebold, Country Director Deutschland bei Atradius.
Auch die Projektentwickler bekämen diese Entwicklung immer stärker zu spüren. Die Nichtzahlungsmeldungen in der Baubranche seien in den ersten sieben Monaten des Jahres 2023 bereits um rund 33% gestiegen. Und laut Liebold gehe man davon aus, dass sich das Zahlungsrisiko in der Branche noch weiter erhöhen werde. Noch lebten die Unternehmen häufig von den Auftragsbeständen, doch das könne sich ab dem Herbst verschärfen. Insbesondere die kleinen Bauunternehmen werde dies treffen, da diese bei abrupten Auftragsrückgängen weniger resilient seien. 85% der deutschen Bauunternehmen hätten weniger als 20 Beschäftigte.
Bauinsolvenzen gehen nach oben
Laut aktuellen Zahlen, so Atradius, ist die Zahl der Bauinsolvenzen im ersten Halbjahr 2023 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 9% gestiegen. Für das Gesamtjahr rechnet der Kreditversicherer mit einem Anstieg zwischen 15 und 20%. Im Bauhauptgewerbe sei der Hochbau stärker betroffen als der Tiefbau, allerdings treffe die aktuelle Branchenkrise nicht alle Bereiche: Firmen, die ihren Schwerpunkt auf Infrastrukturprojekte insbesondere im Zusammenhang mit der Energiewende gelegt haben und im Elektrohandwerk tätig sind, hätten nach wie vor gut gefüllte Auftragsbücher.
Das Problemkind Wohnungsbau
Das größte Sorgenkind der Branche sei derzeit der Wohnungsbau – und zwar mehr denn je. Bis zur Jahresmitte sei die Zahl der Baugenehmigungen für Neubauprojekte im Vergleich zum Vorjahr um 28% zurückgegangen. Insgesamt könne die Zahl neu fertiggestellter Wohneinheiten in Mehr- und Einfamilienhäusern in diesem Jahr bis auf 223.000 und 2024 sogar auf 177.000 sinken – deutlich weniger als das von der Bundesregierung angestrebte Ziel von jährlich 400.000 neuen Wohnungen.
Liebold fordert an dieser Stelle Stützungsmaßnahmen von staatlicher Seite. „Die Politik weiß, dass Bauen und auch Wohnen bezahlbar bleiben muss.“ Auch der Fachkräftemangel müsse behoben werden. Derzeit fehlten der Branche Fachkräfte im vierstelligen Bereich. Um die Attraktivität des Baugewerbes zu erhöhen, müssten die Arbeitsbedingungen deutlich verbessert werden.
Helfen könne hierbei auch die zunehmende Digitalisierung in der Branche. Der Einsatz von Digitalisierung und KI könne beispielsweise helfen, die Bauherren und Projektleiter bei der Bereitstellung aller relevanten Informationen wie etwa Pläne, technische Spezifikationen, Verträge oder anstehende Termine zu unterstützen. Auch das serielle Bauen könne ähnlich revolutionär werden, so Atradius. Bei dieser modularen Bauweise verlagere sich die Wertschöpfung von der eigentlichen Baustelle hin zur vorgelagerten Fabrikfertigung, was eine Zeit- und Arbeitskraftersparnis mit sich bringe. (mki)
Bild: © andranik123 – stock.adobe.com
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