Interview mit Jürgen Hatz, Geschäftsführer der Versicherungskammer Bayern Versicherungs- und Vorsorgevermittlung GmbH
Herr Hatz, Sie nutzen das KI-gestützte Tool „move“ der schweizerischen Selli AG in Ihrem Vertrieb. Wie funktioniert es?
Das Tool sammelt strukturierte und unstrukturierte Daten aus dem Internet und bereitet diese so auf, dass wir sie ohne weitere Recherchearbeiten für unseren Vertrieb nutzen können. Dabei werden alle im Netz auffindbaren öffentlichen Informationen zu einem Unternehmen, z. B. aus Handelsregistereinträgen, sozialen Medien, Nachrichtentexten, der Unternehmenswebseite usw. zusammengetragen. Man sieht so auf einen Blick Stichpunkte für Gesprächseröffnungen, die passenden Ansprechpersonen inklusive Kontaktdaten und mögliche Verbindungen in meinem bestehenden Netzwerk. So kann ich unmittelbar mit den potenziellen Neukunden in Kontakt treten, entweder direkt oder über Netzwerkkontakte. Verkürzt gesagt: Alles, was man vorher in zeitintensiver und mühsamer Recherchearbeit selbst zusammentragen musste, liefert das Tool in kürzester Zeit passgenau.
Was ist Ihr bisheriges Fazit?
Das Tool hat sich als wertvolle Unterstützung im Alltag erwiesen, die ich nicht mehr missen möchte. Der Hauptmehrwert des Tools liegt für meine Mitarbeitenden und mich in der Zeitersparnis und den dargestellten Informationen. In der Vergangenheit mussten wir viel Zeit für Recherchetätigkeiten aufwenden, die wir nun für die eigentlichen Vertriebstätigkeiten zur Förderung der Geschäftsentwicklung optimal nutzen können.
Gab es auch Skepsis unter den Mitarbeitenden oder auch von Ihnen selbst gegenüber der KI? Und hat sich das inzwischen gelegt?
Anfangs war es zugegebenermaßen noch sehr ungewohnt, mit einem KI-getriebenen Tool umzugehen. Dass eine Anwendung in diesem Maße mitdenkt und entsprechende Ergebnisse liefert, daran muss man sich erst gewöhnen. Sobald man sich aber damit auseinandergesetzt hat, fügt sich die KI nahezu reibungslos in den Arbeitsalltag ein und die Mitarbeitenden erleben durch einen optimalen Einsatz der KI eine Unterstützung in ihrer Arbeit. Digitalisierung und Automatisierung sind nicht nur für die Kundenzufriedenheit entscheidend, denn spätestens, wenn die sogenannten Babyboomer im nächsten Jahrzehnt in Rente gehen, nimmt der Bedarf an Mitarbeitenden noch stärker zu als aktuell im derzeitigen Kontext des Fachkräftemangels.
Wir haben „move“ mit dem erklärten Ziel eingeführt, unsere Mitarbeitenden zu unterstützen, damit sie mehr Zeit haben, ihre Stärken im Vertrieb besser ausspielen zu können. Die Berufsbilder werden sich stetig verändern und weiterentwickeln. Es ist wichtig, dass Mitarbeitende mit den neuen Technologien umgehen und diese gewinnbringend für ihre Tätigkeiten einsetzen können.
Wo sehen Sie denn für sich den Mehrwert in der Verwendung dieses Tools? Geht es hauptsächlich um Zeitersparnis bei der Neukundengewinnung?
Zeitersparnis ist sicherlich ein Hauptaspekt, der größere Folgen nach sich zieht, als man auf den ersten Blick vermuten mag. Denn unsere Abschlussquoten haben sich seit der Nutzung von der Anwendung deutlich gesteigert, da unsere Mitarbeitenden in weniger Zeit mehr Kunden ansprechen können. Dadurch und durch die administrative Entlastung steigt auch die Zufriedenheit im Team. Alles in allem steigert das Tool sowohl Effizienz als auch Effektivität unserer vertrieblichen Leistungen.
Was kann KI Ihrer jetzigen Erfahrung nach (noch) nicht?
Ein Beispiel ist der direkte Kundenkontakt. Der Vertrieb lebt vom Faktor Mensch, insbesondere in einem sensiblen Bereich wie Versicherungen. Hier geht es um Vertrauen und Integrität, daher ist es unvorstellbar, dass die KI z. B. Vertriebsgespräche führt, selbst, wenn sie dazu eines Tages in der Lage ist. Alles, was „move“ zum jetzigen Zeitpunkt macht – Assistenz-, Recherche- und administrative Aufgaben – ist bereits eine sehr gute Basis. Hier sind wir bei der Frage nach dem disruptiven Potenzial von KI und ob die Veränderungen, die sie mit sich bringt, in allen Bereichen solchen gravierenden Einfluss nehmen werden wie oft angenommen.
Sehen Sie denn auch allgemeine Risiken, die durch KI entstehen könnten?
Die allgemeine Herausforderung im Umgang mit KI-gestützten Tools liegt darin, sich nicht das eigenständige Denken und den gesunden Menschenverstand abzugewöhnen. Das wäre insbesondere im Vertrieb, wo der persönliche Kontakt eine tragende Rolle spielt, hinderlich. Die KI kann keine Empathie, das persönliche Miteinander und die Kreativität ersetzen. Generell müssen wir die Balance finden, mit der Technik zu gehen und gleichzeitig unser bestehendes Know-how aufrechtzuerhalten.
Wo sehen Sie in Zukunft die größten Veränderungen im Versicherungsvertrieb?
Die Komplexität im Versicherungsvertrieb und damit auch in Versicherungsagenturen nimmt immer mehr zu. Hieraus resultiert die Fokussierung auf Vertriebsschwerpunkte am POS und eine konsequente Strukturierung interner Abläufe. Der Einsatz von KI unterstützt dabei mit Zeitersparnis bei verschiedenen Vorgängen.
Über das KI-Tool „move“
„move“ ist eine KI-gestützte Vertriebsassistenz der Selli AG, die fortlaufend unstrukturierte Daten aus dem Internet sowie strukturierte Daten, wie Handelsregistereinträge, erhebt und analysiert. Diese Daten werden Vertriebsmitarbeitenden dann in einem personalisierten, digitalen Portal zur Verfügung gestellt. Die Vertriebsmitarbeitenden erhalten so Erkenntnisse über Bestands- und Neukunden sowie Impulse, mit bestehenden oder potenziellen Kunden in Kontakt zu treten, z. B. bei Veränderungen von Firmenstrukturen, Mandatsträgern oder Netzwerken.
Über die Selli AG
Das Schweizer Start-up will laut eigenen Angaben Vertriebsanwendern mit selbstlernenden, humanoiden KI-Produkten mehr Effizienz, Wachstum und letztlich mehr Work-Life-Harmony ermöglichen. Mit der bereits bestehenden Web-Lösung „move“, richtet sich das Angebot zunächst branchenübergreifend auf das Unternehmensgeschäft, mit dem Fokus auf Banken und Versicherungen. Bis 2024 soll ein Sales-Eco-System etabliert werden, welches insbesondere mobile Applikationen und Use Cases für alle Business-Anwender unterstützt. Die Selli AG hat Standorte in Cham, Zürich und Bratislava. Weitere internationale Standorte sollen folgen.
Bild: © Jürgen Hatz, Versicherungskammer Bayern
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