Ein Beitrag von Dr. Conrad Waldkirch, Akademischer Rat a. Z. am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Privatversicherungsrecht, Wirtschaftsrecht und Rechtsvergleichung von Prof. Dr. Oliver Brand an der Universität Mannheim
Die Einsatzmöglichkeiten von selbstlernender künstlicher Intelligenz (KI) in der Versicherungswirtschaft sind vielfältig. Aufgrund ihrer Fähigkeit, große Datenmengen zu verarbeiten sowie höchst unterschiedliche Prozesse zu automatisieren und effizienter zu machen, ist künstliche Intelligenz prädestiniert für diese datenlastige Branche. Deshalb verwundert es nicht, dass KI bereits in vielen Bereichen eingesetzt wird, etwa im Underwriting, der Ablaufsteuerung oder der Schadenregulierung. In der Leistungsprüfung werden beispielsweise eingehende, höchst unterschiedliche Schriftstücke (z. B. Rechnungen) und Bilder (z. B. Unfallfotos) automatisch erfasst und ausgewertet. KI kann zudem dafür genutzt werden, die Regulierungsanträge auf Anzeichen für Betrug zu untersuchen und begründete Begehren automatisch zu regulieren.
Quantensprung ChatGPT
Neue Anwendungsfelder haben sich zudem mit dem Auftritt des großen Sprachmodells ChatGPT aufgetan. Dieses kann Versicherern und Vermittlern nicht nur beim Abfassen von Dokumenten helfen. Die Kommunikationsfähigkeiten der KI, die einen Quantensprung gegenüber den bisherigen regelbasierten Systemen darstellen, legen zudem einen Einsatz in der Online-Beratung nahe. Dazu gibt es auch bereits vereinzelte Experimente, etwa den Chatbot Clara der Helvetia.
Fehlende Regelungen
Gegenwärtig gibt es weder versicherungsrechtliche noch allgemeine Vorschriften, die speziell den Einsatz von KI regeln. Da es auch an einschlägiger Rechtsprechung fehlt, verwundert es nicht, dass noch viele Rechtsfragen ungeklärt sind, weswegen erhebliche Unsicherheit herrscht. Schwierigkeiten erzeugt dabei insbesondere, dass das Verhalten adaptiver KI, die sich selbst fortentwickelt, nicht vorhersehbar und im Nachhinein auch kaum erklärbar sein kann. So trifft auch ChatGPT gelegentlich falsche Aussagen, ohne dass deren Zustandekommen rekonstruierbar ist. Das Sprachmodell erfindet sie scheinbar – was als Halluzinieren bezeichnet wird.
Etwas mehr Klarheit besteht im Versicherungsaufsichtsrecht. Zwar fehlen auch dort gesetzliche Vorgaben. Insoweit haben aber BaFin und EIOPA erste Verlautbarungen dazu getätigt, ob und wie der Einsatz von KI mit den Vorgaben des Aufsichtsrechts vereinbar ist. Die Behörden formulieren diesbezüglich in der Form von Prinzipien zum Beispiel Anforderungen an die Governance sowie die Transparenz und Erklär- bzw. Interpretierbarkeit der Entscheidungsprozesse der KI und schreiben Schutzmaßnahmen bezüglich des großen Diskriminierungspotenzials der Algorithmen vor.
Seite 1 KI in der Assekuranz: Blick auf den rechtlichen Rahmen
Seite 2 Aktuelle Rechtsfragen
Seite 3 Klare Grenzen
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können