Ein bewegtes Jahr für den Immobilienmarkt neigt sich dem Ende zu, das unter anderem geprägt war von rasant gestiegenen Baufinanzierungszinsen sowie in die Höhe geschnellter Baukosten. Bei Kaufinteressenten und angehenden Häuslebauern hat die Zinsentwicklung und nicht zuletzt die Inflation für Verunsicherung und Zurückhaltung gesorgt. Für viele ist der Traum vom Eigenheim in weite Ferne gerückt oder zumindest deutlich teurer geworden. Laut einer Umfrage des Vermittlers von Immobilienfinanzierungen Engel & Völkers Finance sagen über 60% der Bundesbürger, eine Immobilie ohne zusätzliches Kapital etwa in Form einer Erbschaft oder einer Schenkung nicht finanzieren zu können (AssCompact berichtete).
Zinsen dürften weiter anziehen
Nachdem sich die Bauzinsen nach einem zwischenzeitlichen Allzeithoch zuletzt wieder vorübergehend entspannt haben, stellt sich für viele Kaufinteressenten die Frage, ob sie schnell zugreifen sollten oder lieber abwarten. Michael Neumann, Vorstandsvorsitzender des Kreditvermittlers Dr. Klein, verweist vor dem Hintergrund der völlig neuen Marktsituation in einem Ausblick auf einen weiteren Zinsanstieg. Dies sei ein Argument, so Neumann, das für ein promptes Zugreifen beim richtigen Objekt spreche. Auch wenn es dem Experten zufolge derzeit schwer vorherzusagen sei, wie sich die Baufinanzierungszinsen konkret mittel- und langfristig entwickeln werden. „Die Baufinanzierungszinsen werden nicht wieder auf das extrem niedrige Niveau der letzten Jahre zurückfallen – die Zeiten des billigen Baugelds von einem Prozent oder weniger sind vorbei“, unterstreicht Neumann. „Im Gegenteil: Derzeit gehe ich davon aus, dass wir mit weiterhin steigenden Zinsen rechnen müssen. Der Bestzins für zehnjährige Zinsbindungen wird im Laufe des nächsten Jahres auf über 4% steigen“, so der Vorstandsvorsitzende von Dr. Klein weiter. So steile Anstiege wie 2022 seien aber nicht mehr zu erwarten.
Immobilienpreise geben nach – Chancen für Käufer?
Nachdem sich die Preise für Wohnimmobilien jahrelang nur in eine Richtung entwickelten – nämlich nach oben – ist diese Dynamik nun zum Erliegen gekommen. Nach Ansicht von Tomas Peeters, Vorstandsvorsitzender der Baufi24 Baufinanzierung AG und CEO der Bilthouse-Gruppe, verbessern sich 2023 die Argumente für einen Immobilienerwerb. „Für potenzielle Häuslebauer und Wohnungskäufer in spe haben sich die Perspektiven nach dem schockartigen Anstieg der Bauzinsen aber eindeutig wieder aufgehellt, wie die fallenden Immobilienpreise verdeutlichen“, meint Peeters. Perspektiven für Käufer sieht auch Mirjam Mohr, Vorständin Privatkundengeschäft des Vermittler privater Baufinanzierungen Interhyp: „Der Markt ist derzeit sehr volatil. Preisrückgänge, mehr Immobilien im Markt und Zinsdellen bieten Käuferinnen und Käufern neue Chancen.“ Zwischen Mai und November hätten die Preise von Wohnimmobilien in den deutschen Großstädten laut Peeters von 4% in Berlin bis zu 10% in Stuttgart nachgegeben.
Aber wohl kein Preisabfall in der Breite
Ein flächendeckender Preisrutsch sei Michael Neumann zufolge aber nicht zu erwarten, vielmehr werde sich der Markt 2023 kleinteiliger ausdifferenzieren. „Einige Lagen und Objekte bleiben stabil auf dem jetzigen Niveau oder werden nur geringfügig billiger. Bei anderen müssen die Verkäufer dagegen deutlich von ihren jetzigen Vorstellungen Abschied nehmen und sie zum Teil zu wesentlich geringeren Preisen anbieten“, sagt Neumann.
Immer mehr Menschen zieht es von den Großstädten ins Umland, wie unter anderem eine Auswertung des Wirtschafts- und Immobiliendatenanbieters empirica regio vor Kurzem zeigte (AssCompact berichtete). In den Speckgürteln sollte 2023 niemand auf einen Preisrutsch hoffen, warnt Neumann. Hier seien die eigenen vier Wände günstiger als in der Großstadt und wertstabil. Anders die Lage vermutlich im ländlichen Raum sein angesichts weiter Wege.
Käufer sollten Verhandlungsspielraum nutzen
„Auch wenn es 2023 keinen Preissturz geben wird – weder bei den Finanzierungskosten noch bei den Immobilienpreisen – werden wir günstigere Objekte am Markt sehen. Vor allem haben wir nun keinen Verkäufermarkt mehr. Ich rate Menschen, die 2023 eine Immobilie kaufen wollen, mutig in die Preisverhandlung zu gehen und den Spielraum auszuloten“, empfiehlt Michael Neumann. Das gelte vor allem für ältere Häuser oder sanierungsbedürftige Wohnungen oder für ländliche Lagen.
Der Mut könne sich auszahlen, meint Mirjam Mohr von Interhyp. Käufer sollten sich auf diese Gespräche gut vorbereiten und vorab am besten mit einem Experten sprechen. „So bekommen sie ein besseres Gefühl dafür, an welchen Punkten sie bei der Verhandlung ansetzen können“, so der Rat von Mohr. (tk)
Bild: © Soho A studio – stock.adobe.com
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können