Interview mit Prof. Dr. Thomas Köhne, Fachleiter Versicherung, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin)
Das duale Ausbildungssystem gilt als besonderes Erfolgsmodell Deutschlands. Wie ist denn die Entwicklung im Bereich Versicherungen?
Das duale Ausbildungssystem ist vielschichtig, es gibt sehr unterschiedliche Varianten. Als Leiter zweier dualer Bachelor-Studiengänge an unserer Hochschule möchte ich heute insbesondere über diese Form der dualen akademischen Ausbildung sprechen. Duale Studiengänge sind sehr beliebt bei jungen Menschen – und das gilt auch für versicherungsbezogene Angebote. Zugleich bilden auch Versicherer und Vermittler in zunehmendem Ausmaß über duale Studienangebote aus.
Welche dualen Ausbildungsmöglichkeiten in Richtung Finanz- und Versicherungsbranche gibt es an Ihrer Hochschule?
Wir bieten zwei unterschiedliche duale Bachelorstudiengänge mit integrierter Praxisphase an, das heißt, Drei-Monats-Blöcke an der HWR Berlin wechseln sich mit Drei-Monats-Blöcken in den ausbildenden Unternehmen an deutschlandweit verteilten Standorten ab. So ist auch das Einzugsgebiet unserer Studierenden und Ausbildungspartner deutschlandweit und nicht auf Berlin begrenzt. Zum einen bieten wir einen auf die Industrieversicherung ausgerichteten Studiengang BWL/Industrieversicherung an, der in dieser Form einmalig ist. Zum anderen bieten wir den klassischen Studiengang BWL/Versicherung an, der vertriebsorientiert ist und sich neben Versicherungslehre, Marketing und Vertrieb auf die Sparten des Privat- und Gewerbekundensegments ausrichtet. Hier sind die Studierenden in der Praxisphase oftmals im Vertrieb im Einsatz. Beide Studiengänge führen zum akademischen Titel Bachelor of Arts und sind Intensivstudiengänge, die mit 210 (anstelle der üblichen 180) Credits einhergehen, was für die Studierenden besonders attraktiv ist, weil es eine mögliche spätere Belegung berufsbegleitender Masterstudiengänge deutlich erleichtert.
Wer sich für ein Studium interessiert, muss sich erst einen Arbeitgeber suchen. Wer gehört denn insbesondere zu Ihren Partnerunternehmen?
Das ist richtig. Zu unseren Partnerunternehmen gehören zahlreiche Versicherer, große und kleinere Vermittlerbetriebe sowie im Industrieversicherungsbereich zusätzlich die internationalen Industriemakler und auch firmenverbundene Vermittler. Die bei uns ausbildenden Partnerunternehmen sind auf unserer Studiengang-Website gelistet. Interessierte Schüler und Schülerinnen werden von dort an die Unternehmen weitergeleitet oder – und das ist der überwiegende Teil – von den Ausbildungspartnern direkt rekrutiert.
Wir wissen um den Fachkräftemangel. Insbesondere von Maklerhäusern hören wir immer öfter, wie schwer es ist, Nachwuchs zu finden. Spüren Sie aber auch ein höheres Engagement von Maklerbetrieben?
Das Engagement von Maklerbetrieben nimmt kontinuierlich zu. Aber meines Erachtens wird es dem faktisch bestehenden Nachwuchsproblem bei Weitem noch nicht gerecht. In dieses Thema müssten die Maklerbetriebe flächendeckend noch viel mehr Aufmerksamkeit und Ressourcen investieren. Von selbst kommen junge Leute nicht oder nur sehr selten auf die Idee, den Beruf des Versicherungsmaklers anzustreben. Diesen Beruf und den potenziellen Arbeitgeber im Zuge eines attraktiven Studiums durch ein 18-monatiges praktisches Learning by Doing kennenlernen zu können, ist eine riesige Chance für alle Beteiligten.
Wann macht es denn Sinn für einen Maklerbetrieb, ein duales Studium anzubieten?
Die Nachwuchsgewinnung über ein duales Studium ist dann sinnvoll, wenn dieses Thema strategisch und langfristig angegangen werden soll. Dieser Weg eignet sich nicht für unmittelbare Lösungen und kurzfristige Personalbeschaffung. Bei unserem dualen Studium handelt es sich um eine Erstausbildung, die im Regelfall zeitnah an das Abitur oder Fachabitur anschließt. Sie stellt eine Investition in die Zukunft dar: Auch wenn die Studierenden natürlich während der dreimonatigen Praxisphasen schon aktiv mitarbeiten können, sind sie noch in der Ausbildung – das heißt, sie sind weder akademisch noch berufsbezogen „fertig“. Der Vorteil daran ist jedoch, dass ein Maklerbetrieb dadurch junge Nachwuchskräfte rekrutieren und über drei Jahre für sein Unternehmen begeistern und gewinnen kann, bevor diese bereits in andere Branchen „abgewandert“ sind.
Was sind denn die Voraussetzungen aufseiten des Maklerbetriebs?
Formelle Voraussetzungen sind – genau wie bei klassischen Auszubildenden – eine Ausbildereignungsbescheinigung, die Vorlage eines Ausbildungsplans und ein zwischen Maklerbetrieb und Auszubildenden geschlossener Ausbildungsvertrag, der auch eine entsprechende Ausbildungsvergütung vorsieht.
Bezüglich der Größe oder der Struktur des Maklerbetriebs gibt es keine Vorgaben. Man sollte jedoch bedenken, dass die Auszubildenden in den drei Monaten der Praxisphase regelmäßige Betreuung benötigen. Diesbezüglich hilfreich sind Erfahrungen im Bereich der klassischen beruflichen Ausbildung.
Worin unterscheiden sich denn in der Regel die Studienangebote? Gibt es heute mehr Spezialisierungen oder bestimmte Kompetenzen, die im Vordergrund stehen?
Diese Frage seriös zu beantworten, würde den Rahmen unseres Interviews bei Weitem sprengen. Die Vielfalt der Studienangebote ist enorm und nimmt kontinuierlich zu. 2019 gab es in Deutschland allein über 1.600 duale Studiengänge für die Erstausbildung. Neben den öffentlich-rechtlichen Hochschulen – zu denen auch die HWR Berlin gehört – treten immer mehr private Anbieter in den Bildungsmarkt ein, entsprechend gibt es auch immer mehr Spezialisierungen. Für junge Schulabgänger ist das Angebot unübersichtlich, teils verwirrend. Die Gefahr, etwas zu studieren, was man später nicht beruflich nutzen kann, steigt damit. Unsere beiden Studiengänge begegnen dem durch ihre Berufs- und Branchenbezogenheit: Der Abschluss ist ein allgemeiner Bachelor-Abschluss in BWL, entsprechend zielt ein Teil des Lehrstoffs darauf ab und dieses Wissen ist branchenübergreifend für Kaufleute nutzbar. Zugleich fördert ein zweiter großer Teil des Studieninhalts die fachlichen, produktbezogenen und methodischen Branchenkompetenzen, die dazu führen, dass die Absolventen und Absolventinnen in der Versicherungsbranche gefragt sind und ihnen viele Möglichkeiten offenstehen. Bezogen auf den Maklerbetrieb bedeutet das für den Studiengang BWL/Versicherung, dass sowohl die betriebswirtschaftlichen als auch die versicherungsbezogenen Studienschwerpunkte der Tätigkeit des Versicherungsmaklers zugutekommen und dort verlangte Kompetenzen vermitteln. Für das Industrieversicherungsangebot gilt das entsprechend.
Welchen Eindruck haben Sie denn von den Studierenden, die zu Ihnen kommen? Wie würden Sie die junge Generation anhand Ihrer Charaktere beschreiben?
Die jungen Menschen sind sehr aufgeschlossen, kommunizieren digital und sind anspruchsvoll. Insbesondere sind sie noch offen für viele Richtungen. Sie haben ja noch keine oder nur wenige berufliche Eindrücke und Erfahrungen. Das heißt, dass sie sich während und teils durch die dreijährige Ausbildung noch stark entwickeln und Präferenzen ausbilden. Ich halte wenig davon, eine ganze Generation in Schubladen zu stecken wie Gen X, Y, Z. Tatsächlich gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen: Einige möchten die „Welt“ kennenlernen und beim Studium oder beruflich möglichst unterschiedliche Standorte aufsuchen, andere bevorzugen es demgegenüber, am ursprünglichen Wohnort zu studieren und zu arbeiten, weil man sich diesem sozial verbunden fühlt. Wichtig erscheint mir die Feststellung, dass man die jungen Leute in dieser Phase ihres Lebens begleiten und mitformen kann, mitunter eine Art Erwartungsmanagement betreiben sollte, damit ein gemeinsames und realistisches Verständnis über künftige Entwicklungsmöglichkeiten geschaffen wird.
Duales Studium an der HWR Berlin
An der HWR Berlin gibt es nach Angaben der Hochschule über 2.200 duale Studienplätze. Theorie und Praxis werden dabei über drei Jahre konsequent miteinander verbunden. Studiert werden können zum Beispiel die Studiengänge BWL/Versicherung oder BWL/Industrieversicherung. Mehr Informationen gibt es hier.
Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 05/2022, S. 110 f., und in unserem ePaper.
Bild: © Tierney – stock.adobe.com
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