AssCompact suche
Home
Assekuranz
5. Dezember 2021
Digitalisierung: (R)Evolution in der Industrieversicherung
Digitalisierung: (R)Evolution in der Industrieversicherung

Digitalisierung: (R)Evolution in der Industrieversicherung

Lang war die Skepsis groß: Lässt sich die Industrieversicherung ebenso standardisieren und digitalisieren wie das „einfachere“ Gewerbegeschäft oder Sparten wie BHV, Cyber und D&O? Thinksurance nimmt sich dieser Frage an und gibt eine praxisnahe und pragmatische Antwort.

Von Sven Schönfeld, Chief Sales Officer bei Thinksurance

Irgendwie agil, irgendwas mit Cloud und IoT. Und Blockchain gibt es ja auch noch. Das sind häufig verwendete Buzzwords, wenn Unternehmen – auch in der Gewerbe- und Industrieversicherung – über ihren digitalen Wandel sprechen. Auch typisch ist, sich zuerst an die Bereiche zu wagen, die sich quasi nebenbei digitalisieren lassen. Das sind meistens die „leichteren“ Produkte und Prozesse, etwa Vertrieb und Dokumentation. Wenngleich ein solches Vorgehen nachvollziehbar und auch ökonomisch sinnvoll ist, bleiben die wirklich spannenden Bereiche, etwa das Industriegeschäft, meist außen vor.

Dies liegt nicht zuletzt auch an Vorbehalten seitens der Versicherer ebenso wie der Makler: „Das Unternehmen ist zu speziell und komplex.“ „Die Industrie ist beratungsresistent.“ Oder: „Im Unternehmen ist niemand, der ein komplexes digitales Tool fürs Industriegeschäft belastbar einführen und betreuen kann.“ Ein weiterer Grund: Häufig werden digitale Lösungen gesucht, um einen zuvor analogen Prozess digital abzubilden. Nur selten werden Prozesse mithilfe eines digitalen Mindsets und auf Basis der mannigfaltigen technologischen Möglichkeiten neu gedacht. Und somit bleibt es in der Gewerbe- und Industrieversicherung in Sachen Digitalisierung bisher eher bei einer Symptomkur.

Dabei ist längst die Zeit gekommen, in der gesammelte digitale Erfahrungen genutzt werden können. Auch weil in anderen Branchen bereits ganz andere Probleme technologisch gelöst werden. Die Digitalisierung ist längst im Industriekundengeschäft angekommen und möglich – und auch nötig, wenn wir einmal von wirklich großen Konzernkunden absehen, deren Absicherungsbedarf in weiten Teilen wirklich noch zu komplex ist.

Wertvolle Erfahrungen

Wenn wir über die Digitalisierung im Industriegeschäft sprechen, geht es nicht um eine künstliche Intelligenz, die sich auf Basis von Big Data die Erfahrungen und Kompetenzen von Underwritern aneignet. Vielmehr sprechen wir darüber, dass die Digitalisierung die Prozesse im Industriekunden­geschäft effizienter machen kann, und zwar bis zu dem Zeitpunkt, wo der Mensch – der Underwriter – aktiv wird, und dann wieder ab einem Zeitpunkt, bis er seine Hauptaufgaben abgeschlossen hat. Bis dahin reicht die Technologie und wird ständig besser.

Einige Beispiele: Durch digitale und strukturierte Risikoerfassungen können relevante Daten erstmalig wiederverwendet werden. Für Renewal-Prozesse ist dies beispielsweise eine enorme Erleichterung. Dabei wird die Risikoerfassung in Zukunft sogar mobil und mit Betriebsbesichtigungen verknüpft. Darüber hinaus sind Ausschreibungen mit Konsortialpartnern sowie spezielle Sonderkonzepte von Industriemaklern mittlerweile ganzheitlich digital darstellbar, und zwar bis zur automatisierten Policenerstellung. Bei Letzterem zeigt sich zudem deutlich, was zuvor als Symptomkur beschrieben wurde: Die Digitalisierung der Police heißt nicht, dass sie jetzt als PDF und per Mail anstatt als Ausdruck per Post verschickt wird. Die Digitalisierung des Prozesses liegt in einem smarten System, das die relevanten Daten automatisiert in die betreffenden Stellen des Policen-Templates überträgt und die fertige Police nach kritischer Würdigung durch den Experten auf Knopfdruck an den Kunden und ins Maklerverwaltungsprogramm bzw. CRM überträgt.

Wechsel ist da

Diese und weitere digitale Möglichkeiten kommen den Industriemaklern zugute. Die meisten sehen sich als Berater auf Augen­höhe, als Partner und Risikomanager der Industrie, die dafür sorgen, dass unternehmerische Risiken von anderen getragen werden. Da spielt eine Menge Vertrauen mit hinein. Die durch die Digitalisierung gewonnenen Kapazitäten lassen sich in die Beratung und Betreuung und damit in das Vertrauen der Kunden investieren. Und das ist von den Industriekunden gewünscht. Sie schätzen die persönliche Beziehung zu ihrem Berater und verlassen sich auf seine Expertise.

Stetig wachsender Datensee

Durch die zunehmende Prozessdigitalisierung steigt allerdings ebenfalls bereits heute das Volumen an digital verfügbaren Daten an. Der sogenannte Data Lake wächst. Und aus den Daten lassen sich neue Erkenntnisse für den Markt ableiten. In Ausschreibungen erzeugen jede Risikoanalyse, jede Anfrage undjede Nachfrage Datenpunkte, die es – unter Wahrung aller Datenschutzrichtlinien – auszuwerten gilt. Die generierten Erkenntnisse können nicht nur zu Zwecken der Performanceevaluation eingesetzt werden, sondern unterstützen die Entwicklung von künstlichen Intelligenzen in der Industrieversicherung. Intelligente Auswertung von Bildmaterial von Betriebsbesichtigungen, Analyse von Risiken in Betriebsprozessen, Vorhersage von Schadenfällen, Empfehlungen dazu, welche Versicherer ein Risiko zeichnen werden – all das ist schon heute oder in Zukunft möglich. Hierin liegen sowohl für Makler wie auch für Underwriter enorme Chancen, sich neu zu erfinden.

Fazit

Es lohnt sich eben doch, die Digitalisierung bei Industrieversicherungen anzugehen und die bestehenden Potenziale endlich zu heben. Und die Technologie macht ja nicht halt. Sie ist keine Person, die sagt: „Jetzt ist es aber genug.“ Ganz im Gegenteil: Wir als Branche werden den eingeschlagenen Weg nicht mehr verlassen. 1903 erhob sich das erste Flugzeug der Gebrüder Wright für einige Meter in die Luft, 1905 flog ein anderes bereits 38 Minuten. Das Tempo ist vergleichbar mit dem Jetzt. Wo wir in zwei Jahren stehen werden, lässt sich heute nur grob erahnen – aber ein Zurück wird es nicht geben.

Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 11/2021, Seite 48 f., und in unserem ePaper.

Bild: © peterschreiber.media – stock.adobe.com

 
Ein Artikel von
Sven Schönfeld