Eine Entscheidung des Kammergerichts Berlin aus dem vergangenen Jahr im Rahmen eines Streitfalls um eine BU-Versicherung bekräftigt, dass die zuletzt ausgeübte Vollzeittätigkeit vor Arbeitslosigkeit und Elternzeit die Lebensstellung eines Versicherten prägt und dass eine Teilzeittätigkeit in der sozialen Wertschätzung einer Vollzeittätigkeit in der Regel nicht gleichwertig ist.
Als weiteren Kernsatz stellen die Richter klar, dass der Versicherungsschutz einer BU-Versicherung nicht dadurch ausgehöhlt werden darf, dass der Vertragszweck aufgehoben wird. Der Versicherer ist deswegen leistungspflichtig, wenn der Versicherungsnehmer zunächst arbeitslos und später in der Weise berufsunfähig wird, dass er seine bisherige Tätigkeit zwar noch ausführen kann, aber aus gesundheitlichen Gründen nur noch in einem Umfang von unter 50% der bisherigen Arbeitszeit.
Versicherer stellt die BU-Leistungen ein
In dem Fall stritt sich ein Versicherungsnehmer um die Berechtigung von zwei Einstellungsmitteilungen seines BU-Versicherers, mit denen dieser seine Leistungspflicht aus einem vorangegangenen Urteil des Landgerichts Berlin vom 31.01.2019 (Az.: 23 O 293/16) beenden will. Eine Mitteilung wurde während des bereits begonnenen Rechtsstreits abgegeben. Es ging zuletzt um einen Streitwert von 60.000 Euro.
Anfechtung des Versicherungsvertrags wegen angeblicher Falschangaben
Der Prozessverlauf: Die Parteien haben vor dem Landgericht Berlin einen Rechtsstreit geführt, in dem der klagende Versicherungsnehmer die Verurteilung seines Versicherers zur Zahlung der vereinbarten Leistungen aus einer BU-Versicherung bis längstens zum Vertragsablauf begehrte. Zuvor hatte der Versicherer die Leistungen vorrangig mit der Begründung verweigert, sie sei wegen Falschangaben des Klägers bei der Antragstellung zu seinem aktuell ausgeübten Beruf wirksam vom Vertrag zurückgetreten und habe auch wirksam die Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung erklärt. Die Berufsunfähigkeit als solches war jedoch unumstritten, der Mann war aufgrund einer Rückenoperation querschnittsgelähmt.
In erster Instanz wurden dem Versicherer Zahlungen auferlegt, ein Teil der Klage wurde aber abgewiesen. Die Abweisung bezog sich auf den Feststellungsantrag des Klägers, dass der BU-Versicherungsvertrag unverändert fortbestehe und nicht durch die Rücktrittserklärung und Anfechtungserklärung der Beklagten wirksam beendet worden sei. Das Landgericht Berlin hielt den Rücktritt für wirksam, weil der Kläger im Antrag verschwiegen hatte, dass er zu diesem Zeitpunkt arbeitslos war. Das Gericht hielt allerdings eine arglistige Täuschung des Klägers nicht für gegeben. Gegen dieses Urteil haben seinerzeit beide Parteien Berufung eingelegt.
Wechselnde Erwerbsbiografie
Im Verlauf des Prozesses ging es in der Kernfrage aber darum, ob eine konkrete Verweisung in der BU-Versicherung auf eine Teilzeittätigkeit auch bei „wechselnder Erwerbsbiografie“ zulässig ist.
Der Kläger, der seit dem 01.08.2019 in Teilzeit mit 15 Stunden pro Woche nach entsprechender Umschulung als Steuerfachgehilfe beschäftigt ist und dafür einen Bruttoarbeitslohn von 1.350 Euro bekommt, hält die vom Versicherer vorgenommene Verweisung des Klägers auf diese Tätigkeit für unberechtigt. Der Versicherer vertritt die Auffassung, dass sie den Kläger auf die konkret ausgeübte Teilzeittätigkeit verweisen dürfe, weil das Einkommen in etwa dem bisherigen Arbeitseinkommen des Klägers unter Berücksichtigung des verminderten Einkommens während Elternzeit und Zeiten der Arbeitslosigkeit entspreche. Es liege eine sogenannte wechselnde Erwerbsbiografie vor, bei der die Lebensstellung des Beklagten eben auch von längeren Zeiten der Arbeitslosigkeit und schließlich Elternzeit geprägt sei.
Das Gericht hatte nun zuletzt über zahlreiche Formalien zur Berufung und zu Anträgen zu entscheiden. Letztlich führten die Einstellungsmitteilungen der Versicherer aus Sicht des Gerichts aber nicht zu einer Beendigung der Leistungspflicht.
Genaue Prüfung der Lebensstellung: Vollzeit vs. Teilzeit
Das Urteil unterstreicht dagegen die Bedeutung einer genauen Prüfung der Lebensstellung und der vergleichbaren Tätigkeiten im Rahmen der BU-Versicherung. Eine wechselnde Erwerbsbiografie und Phasen der Arbeitslosigkeit ändern allerdings nicht die Lebensstellung des Versicherten, die durch die zuletzt ausgeübte Vollzeittätigkeit bestimmt wird, so das Gericht. Hier hatte der Versicherungsnehmer zuletzt 40 Wochenstunden als Vertriebsmitarbeiter bei einer GmbH gearbeitet.
Bei der Beurteilung der bisherigen Lebensstellung werden zudem finanzielle und soziale Aspekte vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung, welche zur Berufsunfähigkeit geführt hat, berücksichtigt. Dabei ist der versicherten Person eine Einkommensreduzierung gemäß den Maßstäben der höchstrichterlichen Rechtsprechung zuzumuten. Eine Einkommensreduzierung von 20% oder mehr im Vergleich zum jährlichen Bruttoeinkommen des zuletzt vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung ausgeübten Berufs gilt als unzumutbar.
Der verständige Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, der diese Bedingungen zur Kenntnis nimmt, wird das Verständnis entwickeln, dass im Normalfall die zuletzt konkret ausgeübte berufliche Tätigkeit die Lebensstellung prägen soll, auch wenn bis zum Eintritt der Berufsunfähigkeit eine vorübergehende Unterbrechung der Berufstätigkeit durch Arbeitslosigkeit und Elternzeit vorausging. Eine derartige Phase im Berufsleben bedeutet kein Ausscheiden aus dem Berufsleben, weil sie nicht auf Dauer geplant ist.
Zudem sei eine Teilzeittätigkeit in der sozialen Wertschätzung mit einer Vollzeittätigkeit in der Regel nicht gleichwertig. Auch sei die Annahme einer „wechselnden Erwerbsbiografie“ nicht gerechtfertigt, so das Gericht.
Leistungspflicht besteht weiterhin
Der Versicherer konnte die Leistungszahlungen also nicht einfach einstellen. Die Revision wird nicht zugelassen. (bh)
KG Berlin, Entscheidung vom 08.08.2023 – Az. 6 U 32/22. Hier geht es zum Urteil.
Bild: © Firma V – stock.adobe.com
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können