AssCompact suche
Home
Vertrieb
1. August 2024
BU-Versicherung: Das spricht gegen Verzicht auf konkrete Verweisung

BU-Versicherung: Das spricht gegen Verzicht auf konkrete Verweisung

Der Verzicht auf die konkrete Verweisung könnte negative Auswirkungen haben, meint Michael Franke, Gründer und Geschäftsführer des Analysehauses Franke und Bornberg. AssCompact hat mit dem Pionier des BU-Ratings darüber gesprochen, warum er die Neuerung skeptisch sieht und welche Folgen sie für das Versichertenkollektiv haben könnte.

Interview mit Michael Franke, Gründer und Geschäftsführer von Franke und Bornberg
Herr Franke, Sie haben ausführlich zum Thema „Verzicht auf die konkrete Verweisung in der Berufsunfähigkeitsversicherung“ recherchiert und Gespräche mit Rückversicherern und Rechtswissenschaftlern geführt. Warum ist eine qualifizierte Beratung bei der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) so wichtig?

Eine qualifizierte Beratung ist essenziell, da sie sicherstellt, dass die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Kunden im Mittelpunkt stehen. Das beginnt mit einer gründlichen Ermittlung der Kundenwünsche, um das passende Produkt zu identifizieren. Mich hat insbesondere die Frage interessiert, ob der Verzicht auf die konkrete Verweisung von Maklern dabei zu berücksichtigen ist. Und wenn ja, in welcher Weise.

Fangen wir mit grundsätzlichen Überlegungen zum Beratungsgespräch an. Der BU-Markt befindet sich schon viele Jahre in einem Leistungswettbewerb. Wie steht es um die finanzielle Realisierbarkeit einer BU für viele Kunden?

Das ist ein heikles Thema. Viele Kunden schließen BU-Verträge mit pauschalen Rentenhöhen von 500 oder 1.000 Euro ab, was in der Realität oft nicht ausreicht, um den Lebensstandard zu halten. Hier sehen wir eine Diskrepanz zwischen der idealen Absicherung und den finanziellen Möglichkeiten der Kunden. Diese Diskrepanz kann sich durch den Verzicht auf die konkrete Verweisung noch verschärfen. Wir sehen aber auch Schwächen in der Beratung, denn zu niedrige BU-Renten bringen kaum Vorteile. Es sei denn, man sieht die Entlastung der Sozialsysteme als einen Vorteil an.

Sie spielen auf die Anrechnung der BU-Rente auf beispielsweise das Bürgergeld an?

Richtig. Bei solch niedrigen Renten wird offensichtlich keine Szenariobetrachtung angestellt und die Anrechenbarkeit von BU-Renten auf die Sozialleistungen außen vorgelassen. Diese Diskrepanz führt regelmäßig zu einer mangelhaften Absicherung, die nicht nur die Kunden in eine schwierige Lage bringen, sondern für Makler auch Haftungsprobleme mit sich bringen kann.

Gibt es Alternativen zur BU, die vielleicht kostengünstiger sind?

Ja, die Grundfähigkeitsversicherung und die private Erwerbsunfähigkeitsversicherung (EU). Vor allem die private EU wird zu selten in Betracht gezogen. Sie ist für viele eine kostengünstigere Option, bietet aber dennoch eine wichtige Absicherung. Beispielsweise ist die Psyche vergleichbar gut abgesichert wie bei der BU. Der Schwerpunkt sollte auf einer Beratung liegen, die die verschiedenen Möglichkeiten aufzeigt und den Kunden über die Konsequenzen seiner Entscheidungen informiert.

Haben Sie eine Faustformel für das Verhältnis von Absicherungsqualität und Absicherungshöhe?

Allerdings. Der neuralgische Punkt ist die Anrechenbarkeit der BU-Rente auf die Sozialleistungen. Daher macht eine Absicherung der Arbeitskraft erst ab einer bestimmten Rentenhöhe Sinn. Diese Höhe muss im Einzelfall errechnet werden, aber in jedem Fall muss sich auch nach Anrechnung auf Sozialleistungen eine spürbare Verbesserung der finanziellen Absicherung im Leistungsfall ergeben. Wenn das Budget für eine ausreichend hohe BU-Rente nicht ausreicht, dann ist beispielsweise eine private EU in angemessener Höhe der bessere Rat. Auch wenn die Leistungen erst bei einem entsprechenden Erkrankungsgrad greifen.

Der Versicherer HDI etwa launchte zu Beginn dieses Jahres eine Neuerung in seinen BU-Bedingungswerken, nämlich der Verzicht auf die konkrete Verweisung. AssCompact hatte darüber kürzlich mit HDI und einem Rechtsexperten gesprochen. Welche Implikationen hat diese Neuerung in der BU aus Ihrer Sicht?

Auf den ersten Blick stellt der Verzicht eine Leistungserweiterung dar, was aus Kundensicht zu begrüßen wäre und damit auch für Makler eine Rolle spielt. Immerhin ist es entscheidend, dass Kunden die bestmögliche Option für ihre Situation wählen können.

Welche Gründe könnten einen Versicherer dazu bewegt haben, auf diese Klausel zu verzichten?

Der Verzicht auf die konkrete Verweisung könnte darauf abzielen, den Versicherten mehr Sicherheit zu bieten und ihnen im Leistungsfall weniger Hürden aufzuerlegen. Allerdings stellt sich die Frage, ob dies tatsächlich die Motivation war und ob dieser Verzicht dem Versicherungsgedanken und Bedarf entspricht. Und nicht zu vernachlässigen ist auch die Frage, ob dadurch möglicherweise die Beiträge aller Versicherten beeinflusst werden.

Was genau meinen Sie mit „ob dieser Verzicht dem Versicherungsgedanken entspricht“?

Der grundlegende Gedanke einer Versicherung ist es, finanzielle Risiken abzusichern, die durch unvorhergesehene Ereignisse entstehen. Wenn nun Versicherte durch den Verzicht auf die konkrete Verweisung seitens des Versicherers in die Lage versetzt werden, sowohl eine BU-Rente als auch volles Erwerbseinkommen zu erzielen, könnte dies dazu führen, dass die Versicherungsleistung nicht mehr nur zur Absicherung eines Einkommensverlusts, sondern zur finanziellen Besserstellung dient. Dies könnte das Versicherungsprinzip auf den Kopf stellen und dazu führen, dass die Beiträge aller Versicherten dafür verwendet werden, um wenigen einen nicht am Bedarf orientierten Vorteil zu verschaffen.

Welche Risiken sehen Sie in Bezug auf die Stabilität der Versicherungsbeiträge?

Auch wenn Rechnungsgrundlagen fehlen, kann als gesichert angesehen werden, dass ein Verzicht auf die konkrete Verweisung nicht kostenneutral ist. Wenn Versicherer also die Beiträge nicht entsprechend anpassen, könnte dies den Druck auf die Überschüsse erhöhen und zu Anpassungen der Zahlbeiträge führen. Dies würde alle Versicherten betreffen, auch jene, die von dieser Regelung nicht profitieren. Langfristig könnte dies die finanzielle Stabilität des Versicherungsportfolios gefährden.

Wie beurteilen Sie die rechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere die Zumutbarkeit einer konkreten Verweisung?

Die Zumutbarkeit ist ein zentrales Kriterium bei der konkreten Verweisung. Gerichtsurteile haben festgelegt, dass eine konkrete Verweisung nur erfolgen kann, wenn durch Versicherte freiwillig eine andere Tätigkeit aufgenommen wird, die in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht vergleichbar mit der vorherigen Tätigkeit ist. Es gibt also in solchen Fällen keinen Bedarf mehr für eine zusätzliche Rentenzahlung und zudem kann kein Versicherer Leistungsempfänger zu der Aufnahme einer Tätigkeit zwingen. Die aktuellen Versicherungsbedingungen berücksichtigen diese Rahmenbedingungen, um eine faire Behandlung der Versicherten zu gewährleisten.

Was wäre Ihre Empfehlung an Versicherer im Umgang mit diesem Thema?

Versicherer sollten sorgfältig abwägen, ob ein Verzicht auf die konkrete Verweisung im Einklang mit dem Versicherungsgedanken steht und wie sich dies auf die Beitragsstabilität auswirkt. Da es weder einen Bedarf für eine solchen Schritt noch belastbare Rechnungsgrundlagen gibt, ist ein solcher Schritt von vornherein infrage zu stellen. Konsequenterweise müssten die Versicherer auch ihre Annahmerichtlinien anpassen, denn bestimmte Berufe oder Zielgruppen sind in diesem Szenario kaum noch versicherbar.

An welche Zielgruppen denken Sie dabei?

Einen nicht geringen Anteil im Neugeschäft vieler Versicherer machen beispielsweise Schüler, Studenten und Auszubildende aus. Man denke nur an solche Fälle, in denen Auszubildende beispielsweise aufgrund von Allergien ihre Ausbildung nicht fortsetzen können. Ebenso könnten Studenten aufgrund von Prüfungsängsten nicht in der Lage sein, ihr Studium zu beenden. Bei der heutigen Tätigkeitsdefinition von diesen Zielgruppen ist es im Extremfall denkbar, dass der Versicherer während der kompletten Leistungsdauer, zumindest aber über viele Jahre, die Renten zahlen muss, während die Versicherten einen anderen Berufsweg einschlagen und die Rente als Zubrot zum Einkommen erhalten. Bisher stellte die vergleichsweise niedrige versicherbare Rente ein Sicherheitsnetz für das Versichertenkollektiv dar. Mit dem Verzicht auf konkrete Verweisung ist dieses Netz verschwunden.

Abschließend noch die Ausgangsfrage: Sehen Sie Makler in der Pflicht, Anbieter mit Verzicht auf konkrete Verweisung zu bevorzugen?

Diese Pflicht sehe ich schon deshalb nicht, da wir hier nicht über einen Bedarf bzw. ein versichertes Interesse reden. Das Ziel der BU-Beratung ist üblicherweise, einen Einkommensverlust bei Verlust oder Beeinträchtigung der Arbeitskraft abzusichern. Mit diesem Bedarf hat der Verzicht auf konkrete Verweisung aber – wie vorhin ausgeführt – nichts zu tun. Ein Haftungsrisiko sehe ich vielmehr in den Fällen, in denen eine Rente zu niedrig abgeschlossen wird, ohne auf die Konsequenzen hinzuweisen.

Michael Franke, Gründer und Geschäftsführer von Franke und Bornberg hat zum Thema bereits spannende Gespräche mit Bettina Bredow, Head of Claims Life & Health – für Continental Europe und Israel bei der MunichRe (Podcast Episode 1), mit Fabian von Löbbecke, Vorstand HDI Lebensversicherung AG (Podcast Episode 2) und Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski, Rechtswissenschaftler, Humboldt-Universität zu Berlin (Podcast Episode 3) geführt.

Bild Newsletter: © pixelkorn –stock.adobe.com; Porträtfoto: © Franke und Bornberg