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11. Juni 2021
BU-Leistungspraxis unter der Lupe

BU-Leistungspraxis unter der Lupe

Die meisten Entscheidungen fallen bei BU-Leistungsprüfungen zugunsten der Versicherten aus. Nach wie vor bleiben psychische Erkrankungen BU-Auslöser Nummer 1. Bei der Bearbeitungsdauer gibt es Luft nach oben. Wie sich die Corona-Krise auf die Leistungspraxis auswirkt, bleibt abzuwarten, so eine Studie von Franke und Bornberg.

Die Arbeitskraftabsicherung ist derzeit in aller Munde. Kaum vergeht ein Tag ohne Studien oder Ratings rund um BU, EU oder Grundfähigkeitstarife. Besonders in der „Königsdisziplin“, der Berufsunfähigkeitsversicherung, kommt es nicht nur auf die Beschaffenheit der Produkte an, sondern es stellt sich auch die Frage, wie es um die Regulierung bestellt ist. Die 6. BU-Leistungspraxisstudie von Franke und Bornberg, die die BU-Leistungsregulierung aktuell unter die Lupe nimmt, basiert auf Daten zur BU-Leistungsprüfung zu Leistungsanträgen aus dem Jahr 2019 von Allianz, ERGO Vorsorge, Generali Deutschland, Gothaer, HDI, Nürnberger und Zurich. Diese BU-Versicherer schützen mehr als sieben Millionen Kunden und Kundinnen vor den finanziellen Folgen einer Berufsunfähigkeit.

Und so schneiden die teilnehmenden Versicherer diesmal ab: Allianz, Zurich und erstmals auch Gothaer sind die Teilnehmer des in die Studie integrierten BU-Leistungspraxisratings. Die Gothaer erreicht hier mit 68% der möglichen Punkte auf Anhieb die Note FF+, die Zurich schneidet vergleichbar ebenfalls mit der Note FF+ ab und die Allianz erzielt mit 90% der möglichen Punkte die Höchstwertung FFF+.

An der BU-Leistungspraxisstudie nehmen darüber hinaus ERGO Vorsorge (82% der möglichen Punkte), Generali Deutschland (vormals AachenMünchener; 81%), HDI und Nürnberger (jeweils 82%) teil. Sie stellen sich der Untersuchung schon seit Jahren im Rahmen des umfassenden BU-Unternehmensratings. In dieser Zeit konnten sie ihre BU-Leistungspraxis den Analysten zufolge kontinuierlich optimieren.

Vier von fünf Entscheidungen zugunsten der Versicherungsnehmer

Laut BU-Leistungspraxisstudie fallen vier von fünf BU-Entscheidungen zugunsten der Versicherten aus. Der pauschale Vorwurf, BU-Versicherer wollten sich vor der Leistung drücken, greife also ins Leere, so die Analyse von Franke und Bornberg. Allerdings sei die Teilnahme an der Untersuchung freiwillig und deshalb eine Positiv-Selektion: „Es spricht viel dafür, dass vor allem besonders leistungsfähige und selbstkritische Versicherer bei unserer BU-Leistungspraxisstudie mitmachen. Sie sehen ihre Teilnahme als Chance, interne Prozesse nach objektiven Kriterien analysieren zu lassen und sich mit anderen Marktteilnehmern zu messen. Unternehmen mit schlechteren Kennzahlen stellen sich einer solchen Untersuchung eher nicht“, kommentiert Michael Franke, geschäftsführender Gesellschafter von Franke und Bornberg.

Bearbeitungsdauer ausbaufähig

Und wie steht es um den oft verlautbarten Vorwurf der Leistungsverzögerung? Franke und Bornberg misst die Regulierungsdauer vom Zeitpunkt der Meldung einer vermuteten Berufsunfähigkeit bis zur Leistungsentscheidung des Versicherers (Datum des Postausgangs). Die durchschnittliche Dauer hat sich in den zurückliegenden Jahren bei fünf bis sechs Monaten eingependelt (2019: 174 Tage bei Ablehnung respektive 159 Tage bei Anerkennung). Nach 100 Tagen sind knapp 40% aller Anerkennungen entschieden Bei psychischen Erkrankungen und Unfällen dauert die Regulierung allerdings deutlich länger, was die Analysten von Franke und Bornberg vor allem auf einen Mangel an Fachärzten für Psychiatrie und Neurologie sowie bei Unfällen auf zeitintensive Stellungnahmen von Polizei und Staatsanwaltschaft zurückführen. Vom Eingang der letzten Unterlage bis zur Leistungsentscheidung dauert es bei den untersuchten Versicherern immerhin noch knapp 20 Tage – und damit mehr, als der aktuelle AVB-Standard von zehn Arbeitstagen respektive 14 Kalendertagen vorsieht.

Hauptgrund für Ablehnungen: BU-Grad nicht erreicht

Nun aber zu den Gründen für die Ablehnungen: Laut Studie wurden knapp zwei Drittel aller Ablehnungen ausgesprochen, weil der vertraglich vereinbarte BU-Grad nicht erreicht wird. Bei psychischen Erkrankungen ist ein zu niedriger BU-Grad sogar für 68% der Ablehnungen verantwortlich. In der Vorjahresstudie war ein zu niedriger BU-Grad lediglich bei 55% aller Ablehnungen ursächlich. Anfechtungen und Rücktritte verlieren hingegen an Bedeutung: Auf sie entfällt aktuell ein Fünftel der Ablehnungen gegenüber einem Viertel im Jahr zuvor. Überproportional hoch ist die Ablehnungsquote allerdings bei jungen Erwachsenen: Fast die Hälfte aller Ablehnungen wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht werden gegenüber Versicherten bis 35 Jahre ausgesprochen. Einen von neun BU-Anträgen haben die untersuchten Versicherer abgelehnt, weil die diagnostizierte Berufsunfähigkeit voraussichtlich weniger als sechs Monate anhält und somit der Prognosezeitraum nicht erfüllt wird.

Psychische Erkrankungen bleiben BU-Auslöser Nummer 1

Bei den Gründen für eine Berufsunfähigkeit zeigt auch die Studie von Franke und Bornberg ein bereits gewohntes Bild: In der gesetzlichen Rentenversicherung waren psychische Erkrankungen für knapp 43% aller Erwerbsminderungsrenten im Rentenzugang 2019 verantwortlich. Bei privaten BU-Verträgen ist der Einfluss nicht ganz so groß, trotzdem haben Krankheiten der Psyche ihre Position als BU-Auslöser Nummer 1 mit knapp 28% der anerkannten BU-Fälle weiter ausgebaut. Laut Michael Franke berge diese Entwicklung für BU-Versicherer „einigen Sprengstoff“, denn auch gut qualifizierte Erwerbstätige in vermeintlich attraktiven Berufsgruppen seien vor psychischen Problemen nicht gefeit.

Krebs: Nahezu alle Fälle anerkannt

Je nach Art der Krankheit variiert der BU-Leistungspraxisstudie zufolge die Anerkennungsquote stark: Während beispielsweise bei Krebs („bösartige Neuerkrankung“) nahezu zehn von zehn Entscheidungen zugunsten der Versicherten ausfallen, beträgt die Positivquote bei psychischen Erkrankungen lediglich 71%. Krankheiten des Nervensystems (beispielsweise Parkinson- und Alzheimer-Erkrankungen, Multiple Sklerose, Epilepsie sowie Lähmungssyndrome) führen immerhin noch in vier von fünf Fällen zur Anerkennung.

Erstmals wurde im Rahmen der BU- Leistungspraxisstudie bei knapp 22.000 Leistungsfällen auch ausgewertet, aus welchen Gründen die BU-Leistung endet. In knapp der Hälfte der Leistungsfälle wurde die BU-Rente bis zum Ablauf der Leistungsdauer gezahlt. Bei etwas mehr als einem Drittel der Fälle verbesserte sich der Gesundheitszustand oder es erfolgte die Aufnahme einer zum Gesundheitszustand passenden Tätigkeit. Der Tod der versicherten Person führte in 12% der Fälle zu einer Leistungseinstellung.

Leistungsverweigerung für Corona-Folgeschäden?

Da es sich um BU-Anträge aus dem Jahr 2019 handelt, kommen Covid-19-Erkrankungen als Leistungsauslöser für Berufsunfähigkeit im Rahmen dieser Untersuchung zwar noch nicht in Betracht, trotzdem gibt es schon jetzt Stimmen, die eine Leistungsverweigerung für Corona-Folgeschäden heraufbeschwören. Angeblich fehlten verbindliche Leitplanken für den Umgang mit Covid-19 im BU-Leistungsprozess. Michael Franke sieht diese Aussagen kritisch. Die BU-Versicherung zeichne sich gerade dadurch aus, dass sie auf die Fähigkeit zur Berufsausübung abstelle. Konkrete Regelungen für einzelne Krankheitsbilder seien wie bisher nicht erforderlich, sogar eher kontraproduktiv. Zudem könnten gesundheitliche Einschränkungen je nach konkreter Tätigkeit völlig unterschiedliche Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit haben. „Die BU-Versicherung hat den großen Vorteil, die Arbeitskraft ohne Einschränkungen auf bestimmte Erkrankungen finanziell abzusichern. Einziger Nachteil dieses einmaligen, offenen Systems ist eine etwas längere, weil individuelle Leistungsprüfungsdauer. Wer lieber Krankheitsbilder oder konkrete Einschränkungen versichern will, sollte eine Dread-Disease-, MultiRisk- oder Grundfähigkeitsversicherung abschließen. Diese können aber eine BU-Versicherung nicht ersetzen“, konstatiert Michael Franke. (ad)

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