Sogenannte Ventillösungen für Ausschließlichkeitsvertreter sind ein kontroverses Thema in der Versicherungswirtschaft. Sie beschreiben die Möglichkeit für die Ausschließlichkeit, Produkte oder Dienstleistungen anderer Versicherer zu vermitteln, wenn zum Beispiel das eigene Unternehmen keine vergleichbaren oder wettbewerbsfähigen Lösungen anbietet. Ziel ist es, dem Kunden dennoch eine passendes Produkt vermitteln zu können. Mögen solche Abweichungen sogar im Kundeninteresse sein, stehen sie doch konträr zum originären Status und oftmals auch zu regulatorischen und vertraglichen Verpflichtungen. Seit geraumer Zeit jedoch zieht ein neues Denken bei Versicherern und Vertretern ein. Versicherer ermöglichen ihren Ausschließlichkeitsorganisationen und Exklusivvertrieben heute häufiger Ventillösungen oder gar den Wechsel in den Mehrfachagentenstatus.
Zurich mit neuen Vermittlungsoptionen für Exklusivpartner
Zurich Deutschland ist einer der Versicherer, der seinen rund 1.400 Vermittlern in einem bestimmtem Rahmen ermöglicht, fremde Versicherungsprodukte zu vermitteln und zu betreuen. Dabei bleiben die Vermittler im Status der Ausschließlichkeit. Die Zurich verspricht sich von der Maßnahme eine Stärkung der Exklusivpartner, so dass diese ihre Gesamtkundenverbindung stabilisieren können. Zurich verfolgt aber auch die Absicht, der Ausschließlichkeit ein optionales Zusatzangebot zu offerieren, wie es vonseiten der Zurich Unternehmenskommunikation heißt. Dieses Modell sieht die Möglichkeiten eines Mehrfachagenten (MFA) als Zusatzangebot zur Nutzung vor. Die einzelne Agentur kann es nutzen oder auch nicht. Der Versicherer geht davon aus, dass sich derartige Modelle künftig häufiger am Markt etablieren werden, und probiert dieses Modell exklusiv für die Ausschließlichkeit in einem Piloten aus.
Vermittler treiben Modell selbst voran
Doch wie sieht die Entwicklung aus Sicht der Vermittler aus? Marco Seuffert, Vorstandsvorsitzender des Arbeitskreis Vertretervereinigungen der Deutschen Assekuranz (AVV) und Geschäftsführer einer Zurich Versicherungsagentur, erklärt: „Wir haben selbst eine Modernisierung der bisherigen Ventillösungen gefordert und sind daher auch von Anfang an mit Teil der Entwicklung gewesen. Wir unterstützen die teilweise Öffnung der Exklusivvermittlung, weil wir damit sowohl eine höhere Kundenbindung als auch mehr Chancen im Neugeschäft sehen.“ Grenzen sieht der AVV-Vorsitzende aber zum einen in der gewerberechtlichen Registrierung. Ohne eine eigene Erlaubnis nach §34d Abs. 1 GewO sei maximal eine Tippgeberlösung möglich. „Das halten wir für weniger sinnvoll,“ so Seuffert. Insofern müsste der Ausschließlichkeitsstatus aufgebohrt werden und sich das Denken in den Köpfen von Versicherern und Vermittlern weiter ändern. Seuffert konnte selbst Erfahrungen während der Pilotphase bei Zurich sammeln. Die Kunden fänden die Entwicklung gut.
In der Außendarstellung bleibt es zunächst mal beim Exklusivstatus, erläutert Seuffert, jedoch mit dem Hinweis, dass man Fremdverträge mitbetreuen und in Teilbereichen Produkte am Markt platzieren kann, wenn der eigene Versicherer hierfür kein geeignetes Produkt im Angebot hat oder im Einzelfall eine Zeichnung ablehnt. Hier lesen Sie das komplette Interview mit Marco Seuffert.
Alte Leipziger wandelt Ausschließlichkeit um
Bei der ALH-Gruppe geht man schon einen Schritt weiter. Sie überführt ihre Ausschließlichkeitsorganisation in Mehrfachagenturen. Betroffen sind ungefähr 180 Agenturen, von denen heute schon 120 das Angebot angenommen haben, wie Vertriebsvorstand Frank Kettnaker erklärt. „Wir gehen davon aus, dass maximal 10% der Vermittler sich gegen eine Umwandlung ihres Geschäftsmodells entscheiden werden,“ so Kettnaker und führt an der Stelle vor allem Altersgründe an. Mit dem neuen Modell werden die Generalagenten in Mehrfachagenten umgewandelt, womit sie ihren Kunden zukünftig ein breites Produktportfolio anbieten können. „Dafür führen wir die Bestände sukzessive in das Verwaltungssystem des Maklerverbunds vfm und schulen die Mitarbeiter entsprechend,“ erklärt Kettnaker weiter und berichtet von bisher guten Erfahrungen. Der Umstellungsprozess mit Unterstützung des Maklerverbunds vfm laufe schneller als gedacht. Er erfahre von Vermittlern, dass sie Kunden halten konnten, die sie als Generalagenten bisher wohl verloren hätten. Kettnaker ist insgesamt optimistisch, dass das Konzept aufgeht, allerdings hat die ALH-Gruppe auch einen eher geringen Ausschließlichkeitsanteil an der Geschäftsproduktion im Vergleich zu anderen Gesellschaften. Hier lesen Sie das komplette Interview mit Frank Kettnaker.
vfm-Gruppe als Partner des Wandels
Sowohl Zurich als auch die ALH-Gruppe vertrauen bei ihren Modellen auf die vfm-Gruppe. Bei dem Verbund für Versicherungsmaklerund Mehrfachagenten läuft das Angebot unter dem Namen „AOplus-Modell“. Derzeit wird das Modell in verschiedenen Ausgestaltungen mit der ALH-Gruppe, der Helvetia, der Zurich und einem weiteren nicht näher benannten Versicherer umgesetzt.Die Umsetzung erfolgt laut vfm-Syndikusanwalt Alexander Retsch individuell je nach Versicherer und Vertriebsorganisation. Retsch erklärt: „Wesentlicher Punkt ist hierbei, dass wir nicht nur das Ventil-Neugeschäft, sondern auch das Einsammeln von Bestandsverträgen, die der Kunde des Generalagenten anderweitig unterhält, technisch und fachlich servicieren.“
Wie die genaue Umsetzung aussieht, hängt sehr von der Organisationsstruktur und der mehr oder minder intensiven Steuerung vonseiten der Versicherer ab. „Organisatorisch kann die Umsetzung durch die Zwischenschaltung einer Vertriebsgesellschaft mit dort tätigen Mitarbeitern, die im Rahmen unseres ADMINOVA-Verbundes als Mehrfachagent Geschäft über eigene Direktvereinbarungen einreicht, erfolgen,“ so Retsch. Dies biete sich insbesondere an, wenn es bereits eine gesellschaftseigene Ventillösung gibt.
Alternativ kann die komplette Abwicklung auch direkt vom hauseigenen Pool vfm Service übernommen werden. Zudem gibt es noch die „große“ Lösung.Retsch: „Bei den oben genannten Modellen bleibt die Ausschließlichkeitsbindung bestehen. Wir bieten aber auch Unterstützung und Support bei der Umgestaltung des Ausschließlichkeitsvertriebes in eine Premiumpartnerschaft im Mehrfachagentenstatus an. Hier ist der Vermittler nach der Transformation als Mehrfachagent tätig und erhält den vollen Support im ADMINOVA-Verbund mit – je nach Bedarf – eigenen Direktvereinbarungen zu einer Vielzahl an Versicherern.“ Hier lesen Sie das komplette Interview mit Alexander Retsch.
JDC-Gruppe mit mehreren Projekten am Start
Auch die JDC-Gruppe ist seit geraumer Zeit auf diesem Feld tätig. Es laufen laut Unternehmen bereits Projekte für den Einsatz der JDC-Plattform mit zwölf Versicherungsunternehmen, die JDC für ihre Ausschließlichkeit oder ihren Bankenkanal nutzen oder bald nutzen werden. Das gelte auch für Banken in allen Konstellationen als Ventil, Mehrfachagenten- oder Maklermodell, so Dr. Sebastian Grabmaier, Vorstandsvorsitzender der Jung, DMS & Cie.. Grabmaier sieht darin einen klaren Trend: „Die Versicherungsindustrie wird dem Investmentfondsgeschäft folgen, und sämtliche Produkte werden an jedem Point-of-Sale verfügbar, mindestens aber anzeigbar sein, unabhängig vom Vertriebskanal. Kunden werden es nicht mehr akzeptieren, dass sie an verschiedenen Verkaufsstellen nur eine sehr eingeschränkte Datensicht und Produktauswahl erhalten und sämtliches Versicherungsgeschäft bei dem Berater des Vertrauens konzentrieren, der sie umfassend beservicen und beraten kann.“
Basis für das JDC-Angebot ist eine umfassende Technologieplattform. Beispielsweise ist eine Datenlieferung direkt in die Agentursysteme der Versicherer möglich. Dazu gibt es aber auch Alternativen in Form von White-Label-Lösungen. Grabmaier betont aber auch die Vielseitigkeit des Angebots, so dass auch hier alles im Rahmen der bestehenden Ausschließlichkeit erfolgen kann, ohne dass AO-Vermittler Mehrfachagenten werden müssen. Die Vorteile der AO würden damit in vollem Umfang erhalten, so Grabmaier. Hier lesen Sie das komplette Interview mit Dr. Sebastian Grabmaier.
Beginn eines Paradigmenwechsels
Ventillösungen und Mehrfachagenten-Modelle markieren einen Paradigmenwechsel in der Versicherungsbranche. Manches davon ist nicht ganz neu, eine strategische Ausrichtung wird nun aber deutlich sichtbar. Weitere Versicherer könnten folgen und ihre Ausschließlichkeitsorganisationen öffnen. Was diese Entwicklung für Versicherungsmakler, Status und Wettbewerbsfähigkeit bedeutet, wird sich noch zeigen müssen und hängt vermutlich auch damit zusammen, wie viel Unabhängigkeit in den neuen Modellen für die Ausschließlichkeit tatsächlich steckt. (bh)
Bild: © Deivison – stock.adobe.com
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können