Ein Artikel von Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte
Die Widerspruchsbelehrung ist wesentlicher Bestandteil eines Versicherungsvertrages. Die bisherige Rechtsprechung hat unter anderem am Beispiel des BGH-Urteils vom 07.05.2014 (Az. IV ZR 76/11) bereits gezeigt, dass eine falsche Widerspruchsbelehrung sogar zum Widerruf der Vertragserklärung führen kann. Im Zuge der Erhöhung des Verbraucherschutzniveaus werden die Anforderungen an eine solche Belehrung immer höher angesetzt. Welche Anforderungen an die Belehrung zu stellen sind, hat das Oberlandesgericht Dresden (OLG) in einem aktuellen Urteil vom 28.04.2022 geklärt (Az. 4 U 2762/21).
Der Sachverhalt vor dem OLG Dresden
Der Versicherungsvermittler vermittelte einen Lebensversicherungsvertrag, der auf Seite 2 des lediglich zwei Seiten umfassenden Versicherungsscheines eine Widerspruchsbelehrung enthielt. Auf dieser Seite war die Belehrung der einzige fett gedruckte Passus und befand sich ganz am Ende der Seite. Die Widerspruchsfrist soll „ab Erhalt“ der Unterlagen zu laufen beginnen. Der Versicherungsnehmer widersprach dem Vertrag nicht binnen der im Vertrag fixierten 14-Tage-Frist.
Der Kläger wollte von der beklagten Versicherung nun die gezahlten Prämien zurück und die hiermit gezogenen geldwerten Nutzungen ersetzt verlangen. Er machte geltend, dass der Vertrag nie wirksam zustande gekommen sei und er somit rechtsgrundlos geleistet hätte.
Rechtliche Wirksamkeit einer Widerrufsbelehrung
Maßgeblich für die Wirksamkeit von Versicherungsverträgen ist, dass nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) „eine deutlich gestaltete Belehrung über das Widerrufsrecht und über die Rechtsfolgen des Widerrufs“ in der Police normiert wird. Nach § 5a Abs. 2 VVG alte Fassung begann eine Widerspruchsfrist erst zu laufen, wenn die Belehrung in der vorgeschriebenen Form erfolgte.
Vor Ausübung des Widerrufsrechts ist der Versicherungsvertrag gemäß Bundestag-Drucksache 15/2946, S. 31 zunächst schwebend wirksam. Das bedeutet, dass, solange kein Widerspruch ausgeübt wurde, die Vertragsparteien jeweils ihre Erfüllungsansprüche geltend machen können. Der Versicherungsnehmer erhält in der Zeit bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist als Gegenleistung für seine Prämienzahlung bereits den Anspruch auf die Versicherungsleistungen. Ebenso erhält der Versicherer seinen Anspruch auf die Prämienzahlung. Wird der Widerspruch ausgeübt, dann erlischt der Vertrag und die empfangenen Leistungen sind zurückzugewähren.
Problematisch sind die Fälle, bei denen eine adäquate Widerspruchsbelehrung nicht erfolgt ist. Entsprechend der vorgenannten Wertung ist der Vertrag in seiner gesamten Laufzeit schwebend wirksam. Die Widerspruchsfrist beginnt nicht zu laufen. Dies hätte zur Folge, dass der Versicherungsnehmer jederzeit sein Widerspruchsrecht geltend machen kann. Im Ergebnis würde der Vertrag ungeachtet seiner Laufzeit und der bereits erbrachten Leistungen gegenstandslos werden. Der Versicherungsnehmer erhält dann ein Rückforderungsrecht nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alternative 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und kann all jenes zurückfordern, was er ohne Rechtsgrund erbracht hat.
Strikte formale Anforderungen
Eine vereinbarte Widerspruchsbelehrung kann im Einzelfall unwirksam sein, wodurch der Vertrag somit jederzeit widerrufbar ist. Es gelten strikte Anforderungen nach § 8 VVG für die Wirksamkeit der Belehrung. Die Belehrung muss in Textform erfolgen. Darüber hinaus muss die Belehrung drucktechnisch deutlich hervorgehoben gestaltet sein.
Im vorliegenden Fall war das Deutlichkeitserfordernis gewahrt. Der Passus war fett gedruckt und eindeutig vom übrigen Vertragsinhalt abgehoben. Er befand sich am Ende der Seite und suggerierte somit eine eigenständige Bedeutung. Im Umkehrschluss lässt sich hieraus folgende Schlussfolgerung ziehen: Die Widerspruchsbelehrung genügt nicht der Deutlichkeit, wenn der Passus irgendwo im Vertrag auftaucht oder sich nach seinem äußeren Erscheinungsbild nicht vom übrigen abgedruckten Text abhebt.
Zudem muss der Beginn der Widerspruchsfrist eindeutig fixiert sein. Die in der Police fixierte Bezeichnung des Fristbeginns „nach Erhalt“ der Bedingungen genügt nach dem OLG Dresden dieser Voraussetzung. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird diese Klausel nach Auffassung des BGH (Beschluss vom 21.03.2018, Az. IV ZR 201/16) so verstehen, dass die Frist durch den Zugang der Unterlagen in Gang gesetzt wird und 14 Tage später am gleichen Wochentag abläuft. Es genügt, dass der Versicherer einen abstrakten Beginn angibt, ohne einen bestimmten Tag zu definieren.
Fazit und Hinweis für die Praxis
Die vertragliche Widerspruchsbelehrung war in diesem Fall nach Auffassung des OLG Dresden wirksam. Für den Versicherungsnehmer hatte dies zur Folge, dass die Widerspruchsfrist ab Erhalt der Unterlagen zu laufen begann und kein Widerspruch nach Ablauf der 14-Tage-Frist mehr geltend gemacht werden konnte.
Im Einzelfall kann es für den Versicherungsnehmer durchaus „günstig“ sein, nicht – bzw. nur unzureichend – bezüglich eines zustehenden Widerspruchsrechts durch die Versicherung belehrt worden zu sein. Der Versicherungsnehmer kann in diesem Fall jederzeit dem Vertrag widersprechen und seine geleisteten Prämien zurückverlangen, samt einem Zuschlag für die hiermit gezogenen Nutzungen. Die Widerspruchsbelehrung ist somit von wesentlicher Bedeutung für die Wirksamkeit des Versicherungsvertrages.
Die Folgen können für ein Versicherungsunternehmen fatal sein, da die Versicherer dieses Problem beim Vertragsschluss nicht als „Risiko“ kalkulieren. Diese Fragen beschäftigen daher viele Gerichte bereits seit einigen Jahren. Viele Versicherte haben bereits ihre Prämien von den Versicherungsunternehmen zurückgefordert, da die Widerspruchsbelehrung einer rechtlichen Überprüfung nicht standgehalten hat.
Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 09/2022, S. 124 f., und in unserem ePaper.
Bild: © Dominik Neudecker – stock.adobe.com
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