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12. Mai 2023
„Rufe nach Standards und Transparenz wurden immer lauter“
„Rufe nach Standards und Transparenz wurden immer lauter“

„Rufe nach Standards und Transparenz wurden immer lauter“

AssCompact feiert die 25 und fragt anlässlich des Jubiläums bei Branchenvertretern nach, die AssCompact schon lange begleiten oder auch erst neu für sich entdecken. Diesmal ist das Dr. Reiner Will, geschäftsführender Gesellschafter der Assekurata Assekuranz Rating-Agentur GmbH.

Interview mit Dr. Reiner Will, geschäftsführender Gesellschafter der Assekurata Assekuranz Rating-Agentur GmbH
Herr Dr. Will, die Assekurata hat die 25 schon hinter sich gelassen. Wie kamen Sie auf die Idee zur Gründung der Assekurata?

Als wir 1996 mit unseren kundenorientierten Unternehmensratings an den Markt gingen, waren die Versicherer erst vor Kurzem in den Wettbewerb um Versicherungsbedingungen entlassen worden. Die Deregulierung 1994 hatte ein neues Versicherungszeitalter in Deutschland eingeläutet, im Zuge dessen sich die Angebots- und Vertriebsvielfalt des Marktes bis heute deutlich erhöht hat.

Die grundlegende Idee zur Gründung einer deutschen Ratingagentur kam von unserem leider 2013 verstorbenen Mitgründer und langjährigen Rating-Komitee-Mitglied Prof. Dr. Dieter Farny. Als Rechnungslegungsexperte zweifelte er zumindest für den deutschen Versicherungsmarkt mit seinen zahlreichen Rechnungslegungsbesonderheiten an der Ratingkompetenz der großen angelsächsischen Ratingagenturen. Dem Thema Rating war er über die Betreuung der Dissertation von meinem ehemaligen Geschäftsführerkollegen Dr. Christoph Sönnichsen nahegekommen. Dieser war nach seiner Promotion als Unternehmensberater bei Mummert und Partner eingestiegen. Dort konnte er dann auch seinen damaligen Chef, Wilhelm Alms, vom Thema Rating begeistern. Alms und Farny hatten dann die Weitsicht, eine deutsche Ratingagentur zu gründen. Ich war zu dieser Zeit Assistent bei Farny und kam über diesen Weg in das Projekt. So erklärt sich dann auch der Kreis der Gründungsgesellschafter bestehend aus Mummert und Partner, Prof. Farny, Christoph Sönnichsen und Reiner Will. Im Kern sind wir damit ein Spin-off, also eine Unternehmensgründung unter indirekter Beteiligung der Universität auf der Basis neuer wissenschaftlicher Arbeiten und Erkenntnisse.

Wie würden Sie den Markt auf Versichererseite damals beschreiben?

Assekurata ist am 01.10.1996 ins Handelsregister eingetragen worden. Davor lagen rund zwei Jahre Entwicklungsarbeit, die in die Zeit der Deregulierung des deutschen Versicherungsmarktes fielen und maßgeblich zur Gründung von Ratingagenturen beigetragen hat. Ab Mitte 1994 war die Vorabgenehmigung der allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) und der Tarife weggefallen. Versicherer konnten danach erstmals ihre Versicherungsbedingungen frei gestalten. Vielfalt statt Standard stand auf dem Programm. Aber gerade diese Vielfalt stellte potenzielle Versicherungskunden und deren Berater zunehmend vor Probleme. Auf welche Kriterien galt es bei der Wahl einer Versicherung zu achten? Somit wurden die Rufe nach Standards und Transparenz immer lauter. Dies betraf sowohl die Qualität der Produkte als auch die der Anbieter. Bei diesen stieg die Sorge um die dauerhafte Leistungsfähigkeit vor dem Hintergrund größerer Freiheiten. Die Zeit war geprägt sowohl von Aufbruchstimmung als auch von Verunsicherung.

Und auf Maklerseite?

Die mussten mit der neuen Vielfalt auch klarkommen und suchten nach Transparenz, Orientierung und Sicherheit. Die DKM als „DeckungsKonzeptMesse“ ist ja auch in dieser Zeit entstanden und ging den gleichen Gedanken und Ansinnen nach. Als Bindeglied zwischen den Gesellschaften und den Kunden haben die Makler dabei maßgeblich Einfluss auf die Entwicklung der Produkte, deren Vergleiche und Bewertungen genommen. Ich erinnere mich noch gut daran, dass wir in der Startphase viel darüber gesprochen haben, dass sich zunächst eine „Rating-Kultur“ entwickeln müsste, die von Vertrauen, Transparenz und Qualität beim Umgang mit Bewertungen geprägt sein muss. Die Vermittler, insbesondere die Makler, haben hier für einen gewissen positiven Marktdruck gesorgt, diese Kultur voranzutreiben. Heute sehe ich bei allen Akteuren, sei es auf der Vertriebsseite, bei den etablierten Bewertern oder den Versicherern, eine ganz überwiegend große Wertschätzung für die geschaffene Transparenz und die Bemühungen darum.

Was hat sich denn auf Ratingseite geändert?

Da sehe ich verschiedene Entwicklungen. Auf den Bereich der Produktbewertungen hat die Digitalisierung massiven Einfluss genommen. Der Vertrieb kommt heute nicht mehr ohne Beratungssoftware aus. Der Produktvergleich ist darin (nur) ein Teil des Prozesses. Dokumentation, Risikoprüfung, Vernetzung mit den Anbietern, Angebotstiefe und -breite sind hier weitere notwendige Anforderungen, die eine Beratungssoftware möglichst umfassend zu erfüllen hat. Es verwundert daher auch nicht, dass sich Maklerpools und Versicherer an entsprechenden Rating- bzw. Softwarehäusern beteiligen, brauchen sie diese doch verstärkt für ihre Geschäftsmodelle. Eine zweite wesentliche Entwicklung ging mit der Finanzmarktkrise 2008 einher. Ein wichtiger Mitauslöser waren zu positive Ratings für Subprime-Kredite in den USA. In der EU hat man darauf mit einer Regulierung von Bonitätsratings reagiert und insbesondere ein Registrierungsverfahren und eine laufende Beaufsichtigung von registrierten Credit Rating Agencys eingeführt.

Nach der Finanzkrise hat die Bedeutung von Bonitätsratings weiter zugenommen, da die hohen Kapitalanlagegewinne der Versicherer sukzessive den sinkenden Zinstrends folgten, wodurch die Versicherer an Kapitalstärke einbüßten. In Zeiten niedrigerer Überschüsse oder höherer Prämien konnten sich überwiegend die Versicherungsunternehmen am Markt beweisen, welche frühzeitig die Unternehmensqualität als Basis des Erfolgs beim Kunden vorausgesetzt und gleichzeitig die bilanzielle Kraft gestärkt hatten.

Aktuell sucht der Markt vor allem nach Orientierung und Standards im Bereich der ESG-Bewertung auf Produkt-, Lieferanten-, Arbeitgeber- oder Anbieterseite. Und auch hier können Ratings eine Hilfestellung leisten.

Fallen Ihnen relativ spontan zwei oder drei Aspekte ein, die heute ganz anders in der Finanz- und Versicherungswirtschaft sind als vor einem Vierteljahrhundert?

Die Krawatten sind weg und die Krawattenträger werden (langsam) weniger. Die Branche wird diverser. Der Umgang miteinander ist lockerer geworden, insbesondere auch über die Hierarchien hinweg. Zugleich hat das Thema Compliance einen hohen Stellenwert. Digitalisierung und die Pandemie sind zwei weitere Aspekte, die maßgeblich und sich auch einander bedingend das Arbeitsumfeld in der Assekuranz verändert haben.

Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Regulierung sind die übergreifenden Themen in der Branche. Wird die Zinswende nun aber der entscheidende Treiber?

Der Zins, das heißt dessen niedriges Niveau, war ein wesentlicher Treiber in den vergangenen fünfzehn Jahren. So lange hat ja die Phase rückläufiger Zinsen gedauert. In der Lebensversicherung hat dies zu einem grundlegenden Wandel in der Produktgestaltung − Stichwort Herabsetzung von Garantien − geführt. In der Kranken- und in der Schaden-/Unfallversicherung ist wiederum die Bedeutung der versicherungstechnischen Ergebnisse deutlich gestiegen, was sich dann auch in Unternehmenskennzahlen spiegelt. Nun haben sich sehr deutlich und vor allem auch kurzfristig die Vorzeichen geändert und damit auch Chancen und Risiken. Von der Dynamik des Inflations- und des Zinsanstiegs ist die gesamte Wirtschaft extrem betroffen. Es droht eine Rezession bzw. zumindest eine Stagflation mit hoher Inflation und niedrigem Wachstum. Die aktuellen Prognosen für das Wachstum in der Versicherungsbranche gehen jedenfalls in diese Richtung.

Was stimmt Sie über die genannten Themen hinaus pessimistisch und was optimistisch?

Pessimismus liegt mir nicht so. Das mag vielleicht daran liegen, dass ich fast mein ganzes Berufsleben unternehmerisch tätig sein durfte, was ich als positiv für das Selbstwertgefühl empfinde. Was ich aber als herausfordernd ansehe, sind die Themen Demografie und Wertewandel. Beides zeigt sich im Arbeitsmarkt. Stichwörter sind hier Fachkräftemangel und Vereinbarkeit von Arbeit sowie Freizeit bzw. Sinnstiftung der Arbeit. Das trifft auch die Versicherungsbranche, die gerade im Vertrieb stark unter Nachwuchssorgen leidet. Vorbildliche Initiativen wie der Jungmakler Award versuchen hier, dem Nachwuchs Unterstützung, Anerkennung und Wertschätzung zukommen zu lassen und somit den Beruf des Versicherungsvermittlers aufzuwerten. Als ein positives Zeichen werte ich auch, dass in der Politik das Thema Finanzbildung angekommen zu sein scheint. Bundesfinanzministerium und Bundesbildungsministerium haben hierzu gerade eine Finanzbildungsstrategie vorgestellt. Interessierte und informierte Kunden bieten den Versicherern Wachstumschancen.

Und wenn wir Sie zum Abschluss noch zum 25-jährigen Bestehen von AssCompact befragen würden, wäre Ihre Antwort?

Viele interessante Begegnungen mit Menschen gepaart mit informativen Berichten rund um das Thema Versicherung und Vertrieb. Danke hierfür und weiter so!

Dieses Interview lesen Sie auch in AssCompact 05/2023, S. 32 f., und in unserem ePaper.

Bild: © Dr. Reiner Will, Assekurata

 
Ein Interview mit
Dr. Reiner Will