„Grün, grün, grün sind alle meine Kleider. Grün, grün, grün ist alles, was ich hab‘.“Das bekannte Kinderlied, das August Heinrich Hoffmann von Fallersleben im 19. Jahrhundert erdachte, könnte aktueller nicht sein. Termini wie „grün“ und „nachhaltig“ sind große Schlagworte unserer Zeit. Egal ob Kosmetik, Strom, Kleidung oder Lebensmittel: Alles ist nachhaltig. Denn den Menschen in Deutschland liegt die Zukunft des Planeten am Herzen, wie aktuelle Zahlen zeigen. Dieser Trend macht auch vor der Finanz- und Versicherungswelt nicht halt. Doch was bedeutet eigentlich „nachhaltig“?
Jeder fünfte Deutsche hält den Klima- und Umweltschutz für eine der drängendsten Herausforderungen dieser Tage, wie eine Befragung des Bundesumweltministeriums und des Umweltbundesamts beweist. Damit rangiert das Thema in der Wahrnehmung der Bürger auf Platz drei der wichtigsten aktuellen Probleme.
Dass Bewusstsein und Konsum der Deutschen deutlich grüner geworden sind, wie aus Untersuchungen des Bundesumweltamts hervorgeht, bestätigt den Trend zusätzlich. Noch vor zehn Jahren bezogen nicht einmal 3% der Befragten Ökostrom. Im Jahr 2016 bejahten bereits 39% aller Studienteilnehmer diese Frage. Ein ähnliches Bild bei der Energieeffizienz von Haushaltsgeräten: 2012 gaben knapp über die Hälfte aller Befragten an, beim Kauf besonders auf dieses Kriterium zu achten. Vier Jahre später lag der Anteil bei 71%.
Auch Finanz- und Versicherungsunternehmen schmücken sich mittlerweile gern mit grünen Federn. Aber was genau verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft und der Assekuranz?
Grün: Die Farbe des Geldes?
Eine AssCompact-Studie aus dem September vergangenen Jahres untersuchte, was Versicherungsvermittler unter Nachhaltigkeit verstehen. Das erstaunliche Ergebnis: Nur etwa die Hälfte der Befragten verbindet mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ soziale und ökologische Aspekte.
Auch in der Finanzwelt fehlt dem Begriff Trennschärfe. 46 angeblich nachhaltige Aktienfonds prüfte die Verbraucherzentrale 2017 auf die Nachhaltigkeit ihrer Investitionskriterien. 39 Fonds verzichten nicht auf Investitionen in die Öl- und Kohleindustrie. Und nur ein Fonds konnte alle Negativkriterien erfüllen. Ein ernüchterndes Ergebnis.
Auch Claudia Tober, Geschäftsführerin des Fachverbands Form Nachhaltig Geldanlage (FNG) sieht in dem breiten Begriffsspektrum ein Kernproblem: „Investor, Manager, Kunde – sie alle haben teils sehr unterschiedliche Vorstellungen in Bezug auf nachhaltige Geldanlage.“
Neue Normen in Sicht?
Das zeigt vor allem Eines: Der Begriff ist aktuell noch sehr diffus und wird vielfach eher zu Marketingzwecken eingesetzt. Kann vielleicht Brüssel Abhilfe schaffen? Die Europäische Kommission stellte im März 2018 einen umfassenden Aktionsplan vor. Dieser sieht unter anderem die Einführung eines einheitlichen Klassifikationssystems, die Einführung eines EU-Kennzeichens und Richtlinien für transparentere Unternehmensbilanzen vor. Doch laut eigenem Zeitplan liegen frühestens Mitte 2019 die Normen für einheitliche nachhaltige Finanzprodukte vor. Die europäischen Mühlen mahlen langsam.
„Wildwuchs“ im nachhaltigen Sektor
Gleichzeitig wächst „der Nachhaltigkeitsbereich im Marktvergleich überproportional“, weiß Claudia Tober. Sie bezieht sich dabei auf den aktuellen Marktbericht „Nachhaltige Geldanlagen“, der Anfang Juni 2018 erscheint. Demnach betrage die Wachstumsrate des Gesamtvolumens derzeit 14%. Das führe aber „auch zu einer Menge Wildwuchs“, so Tober. Ein Aufwärtstrend sogenannter „Asset Overlays“ sei ebenfalls zu beobachten. Diese erfüllen nur partiell nachhaltige Anlagekriterien, etwa den Ausschluss von Streumunition. Insgesamt beläuft sich das nachhaltige Investitionsvolumen im DACH-Raum laut FNG auf 419 Mrd. Euro (Stand 2016). Und hält damit einen Marktanteil von 2,8%.
Aber wie sollen Interessenten erkennen, welche Produkte das Attribut „nachhaltig“ verdienen? Eine Möglichkeit bieten Siegel, wie etwa das des FNG. Der Fachverband vergibt jährlich ein Gütesiegel für nachhaltige Investmentfonds. Was steckt dahinter?
Die Hosen runterlassen
Das FNG versucht mit einem umfangreichen Prüfungsprozess die Spreu vom Weizen zu trennen. Dieser basiere auf drei Säulen: Umweltschutz, soziale Verträglichkeit und gute Unternehmensführung – oder kurz ESG (Environment, Social, Governance), wie Tober ausführt. Daraus habe das Forum Mindestkriterien für die Klassifizierung abgeleitet.
Ebenso müssten die Antragsteller umfassende Informationen zu ihrem Produkt und ihrem Unternehmen angeben. Dazu gehörten unter anderem die Anlagephilosophie im Hinblick auf die ESG-Kriterien und die Unterzeichnung der UN-Prinzipien für verantwortliche Investments (UNPRI). Außerdem sollten die Antragsteller die Nachhaltigkeitsziele ihrer Produkte offenlegen und detaillierte Angaben zur Kontrolle und Berichterstattung der ESG-Compliance machen. Aktuell konnten immerhin 45 Fonds diesen Prozess erfolgreich durchlaufen.
Gemessen an der Gesamtzahl offener deutscher Fonds und solcher deutscher Provenienz, laut eines Berichts von Ernst & Young etwa 12.700, ist der Anteil allerdings noch verschwindend gering. Er liegt bei 0,35%. Trotzdem traut Tober dem „Finanzsektor eine tragende Rolle für die gesamte Nachhaltigkeitswende“ zu. Gerade Deutschland sei als Standort für eine starke nachhaltige Finanzwirtschaft prädestiniert. Mit Finanzzentren wie Frankfurt und als Vorreiter in Sachen Umweltschutz sprächen zwei entscheidende Faktoren dafür.
Gleichwohl bleibt die Vision noch Zukunftsmusik – insbesondere in der Versicherungswelt, zumal in der Assekuranz selbst keine mit der FNG vergleichbaren Siegel existieren. Und auch das FNG Siegel deckt nur einen Bruchteil des Markts. Wer nachhaltige Aktien sucht, kann die Berichte von ISS-oekom als ersten Anhaltspunkt nutzen. Die deutsche Ratingagentur hat sich darauf spezialisiert, Aktien- und Anleiheemittenten hinsichtlich ihrer ESG-Umsetzung zu analysieren und bietet einen eigenen Service für Finanzdienstleister an.
Ein weiteres Analysehaus, das entsprechende Informationen und Nachhaltigkeitsratings zu Unternehmen und Ländern für Finanzdienstleister bereitstellt ist sustainalytics. Auch die Verbraucherzentrale testet regelmäßig deutsche Fonds und Anlageprodukte auf ihre Nachhaltigkeit und veröffentlicht die Ergebnisse. Das klingt erstmal aufwendig. Aber eine lohnenswerte Geldanlage fällt eben nicht in den Schoß. Ganz egal ob grün und nachhaltig, oder nicht.
Text: Konstantin von Essen, Redaktion NewFinance Mediengesellschaft
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können