Ein Artikel von Dr. Linda Dahm Sozialwissenschaftlerin, Beraterin, Trainerin und Coach, Fokus: Personal- und Organisationsentwicklung, gesunde Führung und Gesundheitsmanagement, Resilienz, und Sebastian Heithoff, Versicherungsfachwirt, Branchenkind in 2. Generation, Inhaber von Heithoff Consulting mit Fokus auf Positionierung und Kommunikation im Versicherungsvertrieb
„Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“
Das Bild in der Öffentlichkeit
Das Sokrates zugeschriebene Zitat über die Jugend der Antike könnte ebenso eine Generation beschreiben, die heute wie kaum eine andere in der öffentlichen Diskussion steht: die Generation Z, kurz Gen Z oder auch Zoomer genannt. Diese zwischen 1995 und 2010 Geborenen polarisieren: Die einen beschimpfen sie als faule, (viel zu) anspruchsvolle Job-Hopper, die anderen feiern sie als „Heilsbringer in den Bereichen Nachhaltigkeit, Digitalisierung oder auch Diversität und betrachten sie als größte Chance für den Arbeitsmarkt. Wie so häufig, liegt die Wahrheit wohl irgendwo in der Mitte“ (Esmailzadeh 2023, S. 74).
Wenige Fakten
In ihrem Buch „Von Quotenfrauen und alten weißen Männern – Schluss mit Vorurteilen in der Arbeitswelt“ beschreibt die junge Microsoft Top-Managerin Annahita Esmailzadeh, wie verbreitet Vorurteile sind und welche Mechanismen dazu führen, dass wir Menschen nur allzu leicht in Schubladen sortieren. Mit Martin Seiler, Vorstand Personal und Recht der Deutsche Bahn AG, sind wir der Meinung: „Niemand gehört in eine Schublade, außer Socken“ (zitiert nach Esmailzadeh 2023).
Deshalb orientieren wir uns an den Fakten: Mit 14% Anteil an der Gesamtbevölkerung stellen die zwölf Millionen Mädchen und Frauen, Jungen und Männer eine zentrale Säule des (zukünftigen) Arbeitsmarktes dar. Insofern ist es unabdingbar, fernab von Vorurteilen genauer hinzuschauen und zu fragen: Was kennzeichnet diese Generation tatsächlich und was gilt es, als Arbeitgeber zu beachten?
Spätestens seit den „Sinus-Milieu-Studien“ wissen wir, dass es „die“ Jungen, Alten, Reichen und so weiter nicht gibt. Menschen unterscheiden sich nicht nur in ihrer Herkunft, ihrem Alter oder Einkommen, also ihrer „Sozio-Demografie“, sondern auch in ihrer „Psychografie“, in ihren Vorlieben und in ihrem Lebensstil. Und dies gilt auch für die Gen Z. Insofern bezeichnet der etablierte Generationenforscher Rüdiger Maas bereits die Zuschreibung Gen Z als populärwissenschaftliche Einteilung: „Vorurteile treffen per se nur bedingt zu, sie sind ja Vor-Urteile. Ich höre je nach Akteur und Erhebungsdesigner so viel Verschiedenes, was die Gen Z alles sein soll. Geht man in das Datenmaterial, wird schnell klar, dass vieles, was behauptet wird, so gar nicht messbar und abbildbar ist“ (zitiert in Esmailzadeh 2023, S. 78 f.). Und zu Recht weist Annahita Esmailzadeh darauf hin, dass in der öffentlichen Diskussion oftmals die besonders gut Qualifizierten und auch sozioökonomisch Privilegierten im Fokus stehen. Auch das führt zu einem verzerrten Bild.
Fakt ist: Die Gen Z sind die „Digital Natives“, die mit dem Internet und Social Media groß geworden sind. Rüdiger Maas räumt hier mit positiven Vorurteilen auf: „Wir [sehen] eine Zunahme am Anspruchsverhalten bezogen auf Content, Zeit und Darstellung. […] Wir sehen aber keinen direkten Anstieg an größerem Digitalwissen, sondern nur eine höhere Nutzungsdauer. Also kurz gesagt, die Jungen sind länger im Netz, können dadurch aber nicht automatisch besser programmieren.“ (ebd. S. 79) Maas führt weiter aus, dass die Zoomer toleranter aufwachsen und gleichzeitig ignoranter seien. „Wir haben eine Steigerung des Moralanspruchs, aber auch gleichzeitig einen höheren Empathieverlust“ (ebd. S. 77). Bleiben wir weiter bei den Fakten: Laut Statista 2023 online legen die 14- bis 27-Jährigen großen Wert auf Freunde und enge Beziehungen, Freude am Leben, Abenteuer, Abwechslung und Spannung. Weniger wichtig als anderen Generationen ist ihnen, für die Familie da zu sein, und oft verkannt: Sie legen viel mehr Wert auf materiellen Wohlstand als die älteren Generationen Gen Y und Gen X.
Werte der Gen Z
Die Gen Z steht für ihre Werte ein und wird damit zur Herausforderung für jeden Arbeitgeber. Oder doch nicht?
Der finnische Gesundheitsforscher Prof. Juhani Ilmarinen hat in seiner über 30-jährigen Forschung nachgewiesen, dass die Arbeitsfähigkeit in hohem Maße von den Faktoren Arbeitsbedingungen und Führung, Werte, Kompetenz und Gesundheit abhängt. Sein „Haus der Arbeitsfähigkeit“ findet mittlerweile weltweit Anerkennung und Anwendung. Richten wir unseren Blick auf das Thema Werte:
Werte geben uns Orientierung, sind unser moralischer Kompass, bestimmen unser Denken und unser Handeln. Sind wir außerhalb unserer Werte, werden wir krank oder ärgern uns zumindest und wenden uns ab. In diesem Zusammenhang bezeichnet der international renommierte Resilienz-Experte Sebastian Mauritz Ärger als „Hüter der Werte“ (vgl. Resilienz-Akademie Sebastian Mauritz). Resilienz meint die mentale Widerstandskraft und insbesondere die Fähigkeit des erfolgreichen Umgangs mit Krisen.
Muster brechen und möglich machen
Und was hat das mit der Generation Z zu tun? Die Gen Z achtet sehr darauf, innerhalb der eigenen Werte zu bleiben. Ob sie das mehr macht als andere Generationen, sei dahingestellt. Die Gen Z gleicht die Wertewelt (potenzieller) Arbeitgeber mit der eigenen ab und entscheidet bezüglich der Passung und Akzeptanz. Unternehmen, die in Zeiten des Fachkräftemangels im „War for Talents“ die Nase vorn haben wollen, sind gut beraten, die Werte der Gen Z – wie im Übrigen auch die der anderen Generationen – ernst zu nehmen und sie bestmöglich (entsprechend der eigenen Markenpositionierung und den Rahmenbedingungen) zu bedienen, und zwar ohne übertriebene Wellbeing-Versprechen oder sonstige Lippenbekenntnisse, die sie nicht einhalten können.
Was wir brauchen
Allerdings: Wir glauben, dass viel mehr möglich ist, als Unternehmen bisher faktisch möglich machen. Nach wie vor hören wir: „Das geht nicht, wir müssen alle gleich behandeln“ oder „Das passt nicht in unsere Prozesse und Strukturen“. Wir stellen die Frage, ob es wirklich so schwierig ist, das, was der Gen Z wichtig ist, zu bedienen: Zeit für Freunde, Freude, Abwechslung, Abenteuer und Spannung in der Freizeit und im Beruf. Völlig losgelöst von der Generationendiskussion sind dies menschliche Grundbedürfnisse (vgl. Grawe 2004), die es zu bedienen gilt. Ebenso sind Lernen und Wachstum menschliche Grundbedürfnisse, die auch für die Gen Z zutreffend sind.
Was wir brauchen, ist Vertrauen – allgemein und in eine junge Generation, die – wie viele Generationen vor ihr – den Mut hat, klar und deutlich zu sagen, was ihr wichtig ist. Und wir brauchen Menschen in Unternehmen, die bereit sind, sich mit den Erkenntnissen der Soziologie, Psychologie und Neurowissenschaften auseinanderzusetzen, statt auf ihren subjektiven Erkenntnissen und Befindlichkeiten zu beharren. Wir brauchen Menschen, die bereit sind, alte Muster und verkrustete (Denk-)Strukturen (in der Führung) aufzubrechen. Für eine noch bessere Arbeitswelt und noch mehr Unternehmenserfolg.
Diesen Artikel lesen Sie auch in AssCompact 01/2024 und in unserem ePaper.
Bild: © BillionPhotos.com – stock.adobe.com
Literatur:
Esmailzadeh, Annahita 2023: Von Quotenfrauen und alten weißen Männern. Schluss mit Vorurteilen in der Arbeitswelt. Frankfurt / New York
Esmailzadeh, Annahita et al. 2022: Gen Z für Entscheider:Innen. Frankfurt / New York
Grawe, Klaus 2004: Neuropsychotherapie. Göttingen
Kaduk, Stefan et al. 2020: Musterbrecher. Die Kunst, das Spiel zu drehen. München
Lausch, Karin 2023: Trust Me. Warum Vertrauen die Zukunft der Arbeit ist. Freiburg
Tempel, Jürgen / Ilmarinen, Juhani 2012: Arbeitsfähigkeit 2025. Hamburg
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