Frau Schirpke, Herr Reichenberg, die Greensurance Für Mensch und Umwelt gemeinnützige Gesellschaft mbH engagiert sich für das Thema Nachhaltigkeit. Was sind denn die Ziele Ihrer Stiftung?
Anna Schirpke: Laut unserer Satzung fördern wir den Klimaschutz auf regionaler Ebene, eine nachhaltige Entwicklung in der Gesellschaft und eine zukunftsfähige Finanz- und Versicherungsbranche. Unser Ziel ist ganz klar: Wir wollen die Versicherungsbranche bei ihrer nachhaltigen Transformation unterstützen. Oder einfach gesagt: Die Versicherungsbranche soll grün werden. Dazu möchten wir einen Teil beitragen.
Was bedeutet für Sie Green Insurance konkret?
Anna Schirpke: Wir haben uns 2018 genau zu dieser Frage viele Gedanken gemacht. Denn auf EU-Ebene befindet sich durch den EU-Aktionsplan „Finanzierung nachhaltiges Wachstum“ vieles im Fluss. Über eine Taxonomie, also ein Klassifikationssystem und ein EU-Umweltzeichen für eine nachhaltige Finanzbranche, wird auf EU-Ebene bereits verhandelt. Green Insurance bedeutet für uns, dass alle Akteure der Versicherungsbranche, also Kunden, Berater, Versicherer, Rückversicherer ebenso wie Dienstleister und die Politik, nachhaltig handeln und sich entwickeln. Es hilft nicht, wenn nur einzelne Gruppen aktiv werden. Dennoch sehen wir besonders Versicherer unter Zugzwang. Das Produktangebot und das Schadenmanagement müssen zur großen Transformation einer nachhaltigen Entwicklung beitragen. Und die Versicherer müssen im Gesamten nachhaltiger werden. Nur dann kann die Versicherungsbranche dabei helfen, einen lebenswerten Planeten für unsere Kinder und Enkelkinder zu erhalten.
Rückt das Thema Nachhaltigkeit denn auch bei Versicherern in den Fokus oder bleibt es eher eine Randnotiz?
Anna Schirpke: Ich sehe insbesondere in den letzten drei Jahren, dass sich etwas bewegt. Leider hat die Versicherungsbranche den Trend in der Gesellschaft und die Notwendigkeit zu mehr Nachhaltigkeit verschlafen. Daher gilt es viel nachzuholen. Gleichzeitig liegt hier aber auch ein großes Potenzial. Ein positives Beispiel: Auf der diesjährigen DKM im Oktober hat beispielsweise die Stuttgarter Versicherung offensiv mit der grünen Rente geworben; das war letztes Jahr noch nicht so.
Marcus Reichenberg: Die Versicherer haben noch nicht verstanden, was Nachhaltigkeit wirklich bedeutet. Erste zaghafte Ansätze sind zu sehen, das Sicherungsvermögen auf nachhaltige Kapitalanlagen auszurichten. ESG-Anlagekriterien, Divestment und Engagement halten Einzug in das Investment. Das ist aber nicht genug. Insbesondere das operative Geschäft muss nachhaltiger ausgerichtet werden, vor allem die Wordings und das Schadenmanagement. Der Schadensersatz nach gleicher Art und Güte muss endlich ausgedient haben.
Was sollten Versicherer zum einen als Anbieter und zum anderen unternehmensintern auf der Agenda haben, um sich nachhaltiger aufzustellen?
Anna Schirpke: Die Versicherungswirtschaft hat allein in Deutschland über 1,5 Bio. Euro zur Risikoabsicherung angelegt. Um der gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden, sollten die Gesellschaften ihre Kapitalanlagen im Sinne der Nachhaltigkeit und insbesondere des Klimaschutzes ausrichten. Transparent sollten sie über ihre gewählten Positiv- und Negativkriterien zur Kapitalanlage berichten und den Best-in-Class-Ansatz nicht grundsätzlich zur Entscheidungsfindung heranziehen. Was das genau bedeutet, vermittelt die Greensurance Stiftung unter anderem im Rahmen der Weiterbildung zum/zur ESGberaterIn – FachberaterIn für nachhaltiges Versicherungswesen© (www.esgberater.de).
Marcus Reichenberg: Unternehmensintern sollte auf eine aktuarische Wertigkeit für eine nachhaltige Entwicklung im Produktportfolio gesetzt werden. Damit ändert sich auch das Schadenmanagement. Erste Versicherungen, etwa die Waldenburger Versicherung AG, gewähren beispielsweise Mehrleistungen für nachhaltigen Schadensersatz. Das gilt etwa, wenn das Produkt ein Umweltsiegel trägt oder fair gehandelt ist. Darüber hinaus ist es jedoch sehr wichtig, dass die Versicherer sich im Gesamten nachhaltig entwickeln und nicht nur auf einzelne grüne Produkte für eine Öko-Nische setzen. Die ganzheitliche Ausrichtung sollte ein transparenter, barrierefreier und verbraucherfreundlicher Nachhaltigkeitsbericht erfassen. Dieser berichtet nicht nur über ESG-Kapitalanlagen, sondern auch über die CO2-Bilanz, die Klimafreundlichstellung, über Ökostrom, Mobilität, Gleichbehandlung etc. und beschreibt den kontinuierlichen Fortschrittsprozess einer nachhaltigen Entwicklung.
Versicherern bieten Sie Produktberatung und -entwicklung im Sinne einer Green Insurance. Außerdem unterstützen Sie bei der Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten. Wie ist die Resonanz auf diese Angebote?
Marcus Reichenberg: Sagen wir es einmal so: Wir werden nicht überrannt und es ist ein Unterschied zwischen kleinen und großen Versicherern zu erkennen. Kleine Anbieter können die große Transformation ihrer nachhaltigen Entwicklung übersichtlich erfassen, große Gesellschaften tun sich schwer. Hemmnisse für eine Green Insurance sind insbesondere IT-Implementierungskosten, männliche Vorstandsvorsitzende, Kurzzeitdenken und ein Gesamtverband, der laut eigener Aussage keinen Auftrag von seinen Mitgliedern erhalten hat, sich um die nachhaltige Entwicklung der Branche zu bemühen.
Speziell für Vermittler haben Sie eine Weiterbildung zum Fachberater für nachhaltige Versicherung im Angebot. Was sind hier denn die Schwerpunkte?
Marcus Reichenberg: Wir wollen Maklern einen erweiterten Sinn ihrer Beratung vermitteln und eine gezielte Kundenansprache ermöglichen. Es geht um eine nachhaltige Versicherungsanlageberatung, die neben dem Vorsorgegedanken für Sach- und Vermögenswerte auch auf präventive Risikohandlung, Klimaschutz und Klimaanpassung setzt. Weiterhin sollen ESGberater - Fachberater für nachhaltiges Versicherungswesen© das nachhaltige Angebot von Versicherern erkennen und bewerten können. Aufgrund einer Förderung durch das Umweltbundesamt konnten über 40 externe Dozenten gewonnen werden, um ein diversifiziertes Weiterbildungsangebot zur nachhaltigen Versicherungsberatung zu entwickeln. Die Greensurance Stiftung ist akkreditierter Bildungsdienstleister bei „gut beraten“. Kursteilnehmer erhalten über das berufsbegleitende Angebot ausreichend Zeitstunden für eineinhalb Jahre.
Bislang haben Teilnehmer von zwei Kursen die Qualifizierung zum ESGberater bestanden. Welche Rückmeldung geben die Absolventen?
Anna Schirpke: Die Rückmeldungen sind sehr positiv. So hat der Geschäftsführer eines nachhaltig aufgestellten Maklerbüros aus Hamburg den ersten Kurs 2017 erfolgreich absolviert und für den Kurs 2018 drei weitere ESGberater zur Weiterbildung entsendet. Das ist natürlich die größte Bestätigung. Mit allen ausgebildeten ESGberatern pflegen wir über unsere Alumni-Gruppe einen regen Kontakt und informieren über die nachhaltige Entwicklung der Versicherungsbranche. Wir erkennen, dass die Graswurzelbewegung von unten heraus funktioniert, und sind im Jahr 2018 für das ESG-Weiterbildungsprojekt mit dem vom Rat für nachhaltige Entwicklung initiierten Preis „Projekt Nachhaltigkeit 2018“ ausgezeichnet worden.
Als technischen Support bietet die Stiftung einen nachhaltigen Abschlussrechner. Was verbirgt sich hinter diesem Angebot?
Marcus Reichenberg: Es war mir immer wichtig, dass unsere Erfahrungen und unser Wissen in der praktischen Umsetzung erfolgreich im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung eingesetzt werden können. In Zusammenarbeit mit der JustNow IT GmbH haben wir deshalb einen digitalen Abschlussrechner entwickelt, den ESGberater und Nachhaltigkeitsmakler nutzen können, um dunkelverarbeitet Online-Versicherungsabschlüsse generieren zu können. Über das digitale Angebot können sich Kunden klimafreundlich stellen und Ökopunkte für einen Green-Lifestyle sammeln. Den digitalen Versicherungsmanager wollen wir schrittweise um alle nachhaltigen Versicherungsangebote von nachhaltigen Anbietern erweitern.
Das Interview lesen Sie auch in AssCompact 12/2018, Seite 40 f.
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