Herr Kühl, Sie haben sicherlich die Berichte der Versicherer und die damit erstmals veröffentlichten Solvenzquoten analysiert. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Was die Finanzstärke der Unternehmen betrifft, bestätigt sich die Einschätzung der BaFin. Die Unternehmen können ihre Verpflichtungen voll erfüllen, davon allerdings nur 21 Unternehmen gänzlich ohne Hilfs- und Übergangsmaßnahmen. Die Quoten liefern dafür Anhaltspunkte.
Was aber eine gute Solvenzquote ist, lässt sich auf Anhieb nicht sagen. Eine niedrigere Quote muss nicht zwangsläufig schlecht sein. Wer beispielsweise in riskantere Assets investiert ist, kann tendenziell für seine Kunden mehr herausholen – muss dafür mehr Eigenkapital vorhalten und weist damit tendenziell eine eher schlechtere Quote auf. Gute Quoten sind andererseits zunächst einmal gut. Eine besonders hohe Quote hat aber keinen zusätzlichen Nutzen für den Kunden.
Die Berichte sind für das Fachpublikum ein erster Schritt in Richtung mehr Transparenz. In der Praxis variieren diese stark sowohl im Umfang als auch in der Qualität der Angaben. Manch ein Versicherer überlässt es gar dem Leser, die Solvenzquoten zu berechnen. Noch sind die Berichte in ihrer Ausgestaltung mitunter weit davon entfernt, gut lesbar zu sein und damit die Ergebnisse tatsächlich verständlich wiederzugeben. Darüber hinaus sind die Berichte oft schwer auf der Versicherer-Website zu finden. Wir veröffentlichen daher unter solvenzquoten.de die Quoten und machen Interessenten die Berichte aller Lebensversicherer direkt zugänglich.
Lässt sich daraus etwas für den Policenverkauf ableiten?
Ob jemand seine Lebensversicherung verkauft, hängt in der Regel von individuellen Faktoren ab. Lediglich aufgrund einer mitunter volatilen Solvenzquote sollte keiner diese Entscheidung treffen. Wir kaufen weiter Policen aller Anbieter, auch von den Versicherern, die kein Neugeschäft mehr verzeichnen. Der zeitliche Verlauf der Solvenzquoten wird zeigen, was sich konkret auch für unser Risikomanagement daraus ableiten lässt.
Für Vermittler sind die Solvenzquoten eine wichtige Information. Denn in Zukunft ist nicht ausgeschlossen, dass hier sogar Haftungsfragen aufkommen können.
Wie entwickelt sich denn der Markt? Werden mehr Policen verkauft?
Manch einer spricht schon von einem Comeback des Lebensversicherungszweitmarktes. Der Bundesverband im Zweitmarkt für Lebensversicherungen BVZL hat für 2016 ein Ankaufsvolumen von 275 Mio. Euro gemeldet. Im Vergleich zum Vorjahr mit 175 Mio. Euro stellt das ein deutliches Plus dar. Auch die Preise sind entsprechend: Im Schnitt erzielen Verkäufer 3 bis 5% über dem Rückkaufswert. Und die reifen Lebensversicherungen sind so gut, dass die Nachfrage nach ihnen als alternatives Investmentprodukt steigt. Die Herausforderung allerdings bleibt, an ausreichend Policen für private und institutionelle Anleger zu kommen.
Suchen auch mehr Makler die Zusammenarbeit?
An- und Verkauf erfolgen bei Policen Direkt über ein Netzwerk von über 15.000 Versicherungsmaklern, Banken, Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken. Im Policenankauf ist der maßgebliche Kanal der direkte Draht zum Kunden, während beim Investmentobjekt Lebensversicherung das Geschäft hauptsächlich über professionelle Vermittler erfolgt. Gerade hier ist der Trend positiv, weil es schlicht kaum vergleichbare Investments mit derartigem Rendite-Risiko-Profil gibt.
Werden dabei auch die Möglichkeiten des Policendarlehens öfter ausgeschöpft?
Policendarlehen ergänzen unser Angebot. Vor einer Kündigung sollten alle Alternativen geprüft werden. Wir kommen für 2016 auf ein Darlehensvolumen von 15 Mio. Euro. Hier gibt es deutlichen Spielraum. Besonders auch angesichts der Tatsache, dass Versicherer knapp 600 Mio. Euro vergeben. Und das bei deutlich schlechteren Konditionen. Viele kennen auch hier – wie beim Verkauf der Police – die günstigere Alternative des Zweitmarktes leider nicht. Doch auch die Verbraucherzentralen sehen das Policendarlehen als günstige Alternative zum Konsumenten- und Ratenkredit.
Wann lohnt sich denn ein Darlehen überhaupt? Und macht es tatsächlich Sinn, auf ein solches Darlehen zurückzugreifen, wenn ein neues Auto benötigt wird?
Wer ein neues Auto braucht, kann hierfür auf jeden Fall seine Lebensversicherung beleihen. Braucht man dafür nur einen Teilbetrag, ist ein Darlehen die erste Wahl. Wer jedoch die gesamte Summe benötigt, kann die Police auch gleich verkaufen. Wichtig ist zudem, den richtigen Zeitpunkt im Blick zu haben. Eine vorschnelle Kündigung lässt sich nicht mehr rückgängig machen.
Transparenz fordern Sie bei den Solvency-II-Berichten ein. Das Gleiche tun Sie aber auch bei den Standmitteilungen der Versicherer. Zufrieden sind Sie damit aber nicht?
Durch Prüfung zehntausender Policen jedes Jahr kennen wir sämtliche Standmitteilungen der Lebensversicherer im Detail. Der aktuelle Befund: Standmitteilungen erfüllen ihren Zweck oft nicht. Auch 2017 fehlen weiterhin wichtige Informationen. Es mangelt an Vollständigkeit wie auch an Verständlichkeit. Als größter institutioneller Versicherungsnehmer fordern wir ein Ende des Wildwuchses bei den Standmitteilungen.
Was schlagen Sie vor? Und welche Aussicht auf Realisierung gibt es?
Einige Versicherer müssen deutlich nachbessern. Zusammen mit dem BVZL haben wir eine Muster-Standmitteilung entwickelt, die sowohl inhaltlich als auch formal höchstmögliche Transparenz bietet. Die aktuelle Änderung im Rahmen der IDD-Gesetzgebung ist ein Riesenfortschritt, denn inhaltlich müssen alle Versicherer ab Juli 2018 verpflichtend Rückkaufswert, Todesfallleistung und Ablaufleistung melden. Für Neuabschlüsse sind zudem die eingezahlten Beiträge obligatorisch. In welcher Form dies künftig geschehen soll, schreibt der Gesetzgeber nicht vor. Ob sich hier eine einheitliche und klare Darstellung herausbildet, bleibt daher abzuwarten.
Blicken wir noch einmal allgemein auf den LV-Markt. Es werden insgesamt weniger Lebensversicherungen verkauft, die traditionelle Lebensversicherung wird durch neue Modelle ersetzt. Welche Rolle spielt das für Sie? Welche Perspektiven sehen Sie vor diesem Hintergrund?
Fast die Hälfte aller verkauften Lebensversicherungen waren auch 2016 im Neugeschäft noch klassische Policen. Die meisten von uns erworbenen Policen sind bereits zehn bis 15 Jahre alt, weswegen mittelfristig keine Veränderung für den Zweitmarkt abzusehen ist. Inwieweit Verträge mit reiner Beitragszusage oder noch geringeren Garantien für den Ankauf infrage kommen, wird die weitere Entwicklung auf den Zinsmärkten entscheiden.
Das Interview lesen Sie auch in AssCompact 08/2017, Seite 34 f.
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