Das Thema Digitalisierung hat Konjunktur: Während 2015 noch kaum jemand aus der traditionellen Versicherungswelt etwas mit dem Begriff „FinTech“ anfangen konnte, ist er nun in aller Munde. „InsurTech“ geht schon genauso schnell über die Lippen und neuerdings taucht sogar der Klammerbegriff „FinsurTech“ auf, dem zu wünschen wäre, dass er sich durchsetzt. Der folgende Text bezieht sich auf FinTechs und InsurTechs gleichermaßen, auch wenn ich häufiger zwischen beiden springen muss.
Wie in jedem richtigen Konjunkturzyklus hat bei den neuen Marktakteuren – wenn auch in Rekordgeschwindigkeit – schon der Abschwung vom Boom begonnen. „Wo ist denn Hightech bei den InsurTechs?“ lautet die Kritik, oder: „Die haben von der Branche gar keine Ahnung!“ Dahinter steckt einige Wahrheit. Bei den digitalen Maklern von heute verbirgt sich hinter der schicken Fassade in aller Regel Handarbeit bei der Erfassung der Kundenverträge für den elektronischen Versicherungsordner. BiPRO-Services? Fehlanzeige. Stattdessen kämpfen InsurTechs – wie schon länger die FinTechs im Bankensektor – mit den Anbindungen an die technisch oft veralteten IT-Landschaften der hochregulierten Versicherer. Zum Einwand zwei: Viele FinTech- und InsurTech-Unternehmer verstehen sich als „serielle Gründer“. Ihr einziges Ziel ist es, mindestens einmal einen millionenschweren „Exit“ zu schaffen, also den gewinnbringenden Verkauf an einen Investor. Stallgeruch aus der jeweiligen Branche? Für manchen der Macher nachrangig.
Erster Hype lässt nach
Was den anscheinenden Abschwung der FinTechs und InsurTechs jedoch am meisten verstärkt, ist die ausbleibende Wirkung im Markt. Extremer noch als in anderen Branchen ist die Erfolgsquote von Start-ups im Finanzbereich verschwindend gering. Schon bei der ersten Welle der „New Economy“ war das so – übrig blieben nur Mega-Player wie PayPal. Auch momentan sieht es nicht danach aus, als wäre unter den Knips und Clarks „das nächste große Ding“. Die Gründe liegen mit daran, dass diese Angebote nur Mini-Ausschnitte der Wertschöpfungskette abdecken und für den Kunden damit schlicht nutzlos bleiben. Auch die immensen Kosten der Kundengewinnung macht es den Newcomern schwer. Kein Wunder, dass die FinsurTechs (hier passt der Klammerbegriff) binnen weniger Monate deutlich kleinlauter geworden sind.
Allerdings sollte die traditionelle Versicherungsbranche nicht vorschnell zum Klein-Klein zurückkehren. So wie es in manchen Konzernvorständen immer noch Akteure gibt, die denken (oder hoffen?), „dieses Internet“ werde irgendwann wieder verschwinden, so wiegt sich auch mancher Vermittler angesichts der stümperhaften Praxis vieler InsurTechs voreilig in Sicherheit. Verschenken wir hier die Chance zu lernen, wo ständiges Lernen doch die zentrale Anforderung des Digitalzeitalters ist? Nur Mantra-artig von „Digitalisierung“ zu sprechen, reicht nicht aus. Man muss Digitalisierung verstehen. Und hier machen FinTechs und InsurTechs definitiv etwas richtig.
Im Trend: das Lean Start-up
Vieles wurde geschrieben über die zentralen Stärken der jungen Wilden: Dass sie bewundernswert konsequent den Fokus auf den Kundennutzen setzen. Dass sie die Digitalisierung wirklich verstanden haben, indem sie auf die Summe der Nischenmärkte setzen. Oder dass sie die Wertschöpfungsketten völlig neu zusammensetzen.
Aus meiner Sicht ist etwas anderes aber noch viel zentraler, was man von FinsurTechs lernen kann: ihre neuartige Denk- und Arbeitsweise. Sie unterscheidet sich nicht nur von jener in Großorganisationen, sondern auch von klassischen Gründungen. Praktisch alle FinsurTechs folgen dem „Lean Start-up“-Ansatz („schlankes Gründen“), der seit einigen Jahren aus den USA zu uns herüberschwappt. Er setzt auf das Prinzip „Versuch und Irrtum“ und ermöglicht durch systematisches Ausprobieren, Auswerten und Nachjustieren einen schnellen Markteintritt bei stark verringertem Risiko. Der Online-Makler Clark beispielsweise lobt sich selbst dafür, von der Idee bis zum Markteintritt nur gut 70 Tage benötigt zu haben. Von seinem Basisangebot ausgehend wird nun alles weiterentwickelt, was erwiesenermaßen funktioniert. Der Rest verschwindet. In den Innovationsabteilungen von Großkonzernen ist es zwar schon lange üblich, Businesspläne schreiben zu lassen. Längst aber setzen auch Großunternehmen auf Start-up-Methoden – sie sind schlichtweg effizienter, schneller und näher am Markt.
„Die Schnittstellen-Denke“
Ein anderer Punkt kommt hinzu, den ich dringend zur Nachahmung empfehle: die Schnittstellen- und Plattformdenke. Wo Daten in der digitalisierten Welt permanent zwischen hochspezialisierten Akteuren für kleinste Wertschöpfungsteile hin- und hergeschoben werden müssen, sind Schnittstellen und Webservices der eigentliche Schmierstoff („API Economy“). „Wie würden Google oder Amazon das machen?“ ist zur festen Arbeitsfrage bei FinsurTechs geworden. Die Antwort lautet fast immer: „Baue dein Angebot zu einer Infrastruktur für Dritte aus! Denke in Schnittstellen und Webservices!“ Und übertragen auf Vermittler: „Konzentriere dich auf deine Kernleistung und binde alles andere von Dritten ein!“
Was bleibt?
Wenn die großen Versicherer wie Ergo – analog zu den Banken – nun verstärkt Inkubatoren (also „Brutstätten“ zur Entwicklung und Erprobung von InsurTechs) aufbauen, zeigt das, dass die Branche beginnt, von den disruptiven Akteuren zu lernen. Möglicherweise wird das in der Rückschau einmal der historische Beitrag der FinsurTechs für die Entwicklung der modernen Wirtschaft gewesen sein. Mit den riesigen Kundenzahlen der Konzerne bekommt die dringend überfällige Digitalisierung der Versicherungs- und Finanzwirtschaft jedenfalls eine realistische Chance.
Den Text lesen Sie auch in der in den nächsten Tagen erscheinenden AssCompact 08/2016, Seite 82 f.
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